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Haribo-Werk im Osten vor AusGoldbär in der Krise

Der Weltmarktführer für Fruchtgummi hat sich verzettelt. Das Werk in Wilkau-Haßlau muss dran glauben. Eine bekannte West-Ost-Geschichte.

Als es noch Hoffnung gab: Proteste gegen die Schließung des Haribowerks im November 2020 Foto: dpa

Zwickau taz | Es gibt sie immer noch, diese Geschichten, die mit der Verschleuderung der DDR-Wirtschaft nach der Wende ihren Anfang genommen haben: Fest in der Region verankerte Unternehmen gingen an die westdeutsche Konkurrenz, investiert wurde nur das Nötigste, und irgendwann ist es ganz vorbei. Auch die WeSa hat es nun wohl endgültig getroffen. Die bereits im vergangenen November angekündigte Schließung des Süßigkeiten-Werks in Wilkau-Haßlau wird trotz aller Proteste der Belegschaft und aus der Politik wohl vollzogen. Man habe keinen Käufer gefunden, hieß es Anfang der Woche.

„Wir haben die Entscheidung aus der Presse erfahren“, sagt Betriebsratschef Maik Pörschmann. Es geht um 119 Beschäftigte, von denen nach Unternehmensangaben 80 eine neue Arbeit gefunden haben sollen oder in den Ruhestand gegangen seien.

Wem WeSa nichts sagt – Haribo dürften die meisten kennen: Dem Weltmarktführer für Fruchtgummi und Lakritz gehört das Werk in der Zwickauer Region seit kurz nach der Wende. Die WeSa- abgeleitet von Westsachsen – produzierte seit 1898, zu DDR-Zeiten als VEB, in Wilkau-Haßlau zunächst Lebkuchen und Schokolade, später Lakritz.

Haribo steckt schon des längeren in der Krise. Der Goldbärchenhersteller, der gut 7.000 Menschen in 25 Ländern beschäftigt und laut Handelsblatt einen Umsatz von rund 3 Milliarden Euro machen soll, hat sich verzettelt. Für Trends wie zuckerreduzierte, vegetarische oder vegane Süßigkeiten hatte die Firmenleitung kein gutes Händchen.

Der Weltmarktanteil schrumpfte von 2015 bis 2020 nach Branchenschätzungen von 65 auf 58 Prozent. Genaue Zahlen hält Haribo wie viele Familienunternehmen zurück. Nach unglücklichen Preisverhandlungen haben Lidl und zeitweise auch Edeka die Haribo-Produkte 2020 ausgelistet. Dem Krisenmanagement fiel nun auch das Werk in Wilkau-Haßlau zum Opfer. Bei der Ankündigung der geplanten Schließung Ende 2020 begründete die Geschäftsleitung, es seien zu hohe Investitionen nötig, um den Standort zukunftsfähig zu machen.

„Teil der Identität“

Dass Haribo nun tatsächlich ernst macht, hat nach Ansicht von Bürgermeister Stefan Feustel weitreichende Folgen. Es gibt wenig größere Betriebe in der Gegend. „Das Haribo-Werk ist aus verschiedenen Gründen für Wilkau-Haßlau bedeutsam“, so der CDU-Politiker. Immerhin brächen mit der Schließung 25 Prozent der Gewerbesteuereinnahmen weg, das Werk sei der größte Arbeitgeber der Gemeinde gewesen. „Außerdem gehört die WeSa einfach zu Wilkau-Haßlau“, so Feustel. Sie sei damit auch Teil der Identität der Menschen. Er selbst habe versucht Unternehmen zu finden, die das Werk weiter betreiben.

Die verbliebenen Mitarbeiter hatten große Hoffnung in die Übernahme durch Katjes gesetzt. Das Interesse des Emmericher Unternehmens, das wie Haribo in Familienhand ist, war offenbar dem sächsischen Wirtschaftsminister Martin Dulig und dessen sozialdemokratischen Parteikollegen Norbert Walther Borjans und Barbara Hendriks zu verdanken gewesen. Überhaupt hatte es parteiübergreifendes Engagement gegeben, den Standort Wilkau-Haßlau zu erhalten. Katjes bestätigte, das Werk besichtigt zu haben. Allerdings sei dabei klar geworden, dass die bauliche Substanz nicht ausreiche, um die Produktion dort mit Fruchtgummis fortzuführen.

„Es zeigt sich leider erneut, dass der Osten offenbar jahrelang nur die verlängerte und preiswerte Werkbank von Westunternehmen war und beim kleinsten wirtschaftlichen Gegenwind hier die Segel gestrichen werden, ohne Rücksicht auf Verluste“, so Wirtschaftsminister Dulig. „Das ist verantwortungslos.“ Ähnlich äußerte sich die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG). Der Chef der Linken-Fraktion im Sächsischen Landtag, Rico Gebhardt, bezeichnete es als „eine Schande“, wie Haribo mit seinen ostdeutschen Beschäftigten umgehe.

Stelleninserate in der Kantine

Ein Haribo-Sprecher sagte der taz, es gebe bereits seit dem vergangenen Jahr einen Interessenausgleich und einen Sozialplan. Damit seien die Mitarbeitenden zunächst abgesichert. „Wie in diesen Verhandlungen zusammen mit dem Betriebsrat vereinbart, wurden im Laufe des Januars die Kündigungen ausgesprochen. Erste Fristen greifen damit frühestens zum 31. März 2021, so dass Löhne bis zur Beendigung der Arbeitsverhältnisse weiter bezahlt werden“, so der Sprecher. Weitere Arbeitsverhältnisse endeten erst im Sommer. Außerdem würde Haribo aktuell „die Kolleginnen und Kollegen vor Ort“ bei der Suche nach einem neuen Arbeitsplatz unterstützen. Dazu sei man in Gesprächen mit der zuständigen Agentur für Arbeit und Unternehmen der Region. Gut ein Drittel der Belegschaft habe so bereits einen neuen Arbeitsplatz gefunden.

NGG-Sekretär Thomas Lißner sagt dagegen, der Sozialplan sei keineswegs auf Initiative von Haribo entstanden. Das Verhalten der Geschäftsleitung habe ihn im Gegenteil nachhaltig erschüttert. „Der anfangs vorgelegte Sozialplan war derart grottig, sowas habe ich wirklich noch nicht gesehen“, sagte er der taz. Auch die angeblichen Jobvermittlungsversuche des Unternehmens sieht er anders: „Haribo hat lediglich Stelleninserate in der Kantine aufgehängt.“

Immerhin sei es der NGG gelungen, den Sozialplan nachzubessern. Der jüngsten Erfolgsmeldung von Haribo, 35 seiner ehemaligen Beschäftigen im benachbarten VW Werk unterzubekommen, steht Lißner mehr als skeptisch gegenüber. Die Verträge dort seien auf ein Jahr befristet. Eine Weiterbeschäftigung halte er für unwahrscheinlich. (mit dpa)

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8 Kommentare

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  • 1G
    17900 (Profil gelöscht)

    Die Kündigungen sind sehr bedauerlich. Das Arbeitsamt wird da kaum helfen meiner Erfahrung nach.

  • Zunächst mal muss man ja Haribo zu Gute halten, dass sie über 30 Jahre lang 120 Leute in diesem Werk beschäftigt haben, statt ihnen das zum Vorwurf zu machen.



    Wahrscheinlich gilt auch in der Süßwaren-Branche, dass man aufgrund der Automatisierung immer weniger Leute in der Produktion benötigt, während andere Bereiche wie Management, Entwicklung oder Marketing gleichbleibend viele oder mehr Arbeitskräfte brauchen. Deswegen stehen reine Produkionsstandorte schlechter da, wenn es um Stellenabbau geht.



    Warum das den Osten stärker betrifft liegt einerseits in der Geschichte der Unternehmen begründet, zum anderen dürfte es auch so sein, dass man passende Fachkräfte in Bonn leichter bekommt, als in Wilkau-Haßlau, selbst Ostdeutsche Akademiker gehen wahrscheinlich lieber nach Bonn.

  • "Fest in der Region verankerte Unternehmen gingen an die westdeutsche Konkurrenz, ...", ich gaube diese Wahrnehmung das ist das Kernproblem: Das war gar keine Konkurrenz, denn sonst hätten viel mehr Ostdeutsche Unternehmen diesen Konkurrenzkampf gewonnen. Die wurden durch kapitalstarke Unternehmen übernommen und wie das nun mal so ist, liegen zugekaufte Standorte einem Unternehmer nicht so sehr am Herzen wie das Stammhaus.



    Was ist zu tun: Mehr Unternehmergeist entwickeln und die Dinge selbst in die Hand nehmen. Natürlich in 2021 schwieriger als ggf. direkt nach der Wende; wobei, da wollten die Ostdeutschen auch lieber Westware kaufen.



    Fazit: Großer Schlamassel, wobei klar: Rummotzen und beleidigt sein bringt meist am allerwenigsten.

    • @Tom Farmer:

      Was ist zu tun: Mehr Unternehmergeist entwickeln und die Dinge selbst in die Hand nehmen.

      Haben Sie eine Ahnung, wie viel Kapital es in ostdeutschen Familien gibt? Nein? Dann schauen Sie doch mal in Statistiken. Und das ist gar nicht motzig gemeint. Immer wieder wird so getan, als hätten Ostdeutsche die gleichen Möglichkeiten wie Westdeutsche. Und ich bezweifle, dass das die Realität ist.

    • @Tom Farmer:

      So ist es.



      30 Jahre später von Verschleuderung zu sprechen hat was motziges. Immerhin hatte fast eine Generation Arbeit.

      • @fly:

        Die Unternehmefamilie hatte vor allem 30 Jahre Gewinne ohne selbst nennenswerte Investitionen tätigen zu müssen. Obendrein ein Werk, welches aus Steuergeldern gebaut wurde.

        Hier eine Eignerfamilie zum Wohltäter einer Arbeitergeneration zu stilisieren hat etwas geschichtsvergessenes und ziemlich verachtendes.

  • Wie sieht’s aus mit einer Genossenschaft der dort Arbeitenden — und einer Abnahmegarantie durch die Kommunalverwaltung und das Land (Fruchtgummi aus lokaler Produktion), die die Grundkosten des Betriebs absichert?

    • @Arne Babenhauserheide:

      Abnahmegarantie des Landes für Weingummi etc.? Dann kann man ja gleich den VEB Gummibonbons drausmachen ohne den Umweg über eine Genossenschaft zu gehen. Da das Gebäude aufgrund des Zustands auch nur noch eine begrenzte Produktionsperspektive aufweist, wäre man hier ja zumindest gleich von Beginn auf dem Niveau der Betriebsanlagen zur Wendezeit.