Hape Kerkeling: „Diktatoren sind humorlos, aber sind sie dumm?“
Der Komiker Hape Kerkeling wird 60. Ein Gespräch über die Bedeutung von Humor in autoritären Zeiten und warum Intelligenz überschätzt ist.
taz: Lieber Herr Kerkeling, zu Ihrem 60. widmet die ARD Ihnen eine umfassende TV-Dokumentation. Die 80er sind ja, räusper, gefühlt noch gar nicht so lange her. Kommt es Ihnen bisweilen komisch vor, auf einmal ein „Urgestein“ der deutschen Fernsehunterhaltung sein zu sollen? Gestern war das ja noch Frank Elstner …
Hape Kerkeling: Isser immer noch. Da ich bereits mit 19 Jahren angefangen habe, ziemlich flott erfolgreich war und viele unterschiedliche Genres bedient habe, ist da in über 40 Jahren ein bunter Flickenteppich entstanden. Filme, Sketche, Shows, Songs und Bücher. Es ist ja alles dabei in meinem künstlerischen Gemischtwarenladen. Anscheinend war das alles auch gar nicht so schlecht, wie ich selbst manchmal – als mein schlimmster Kritiker – angenommen hatte. In meinem Schaffen wollte ich Anarchie. Damit habe ich so den Nerv getroffen, dass ich im Mainstream gelandet bin.
Hans-Peter Wilhelm „Hape“ Kerkeling ist Komiker, Autor, TV-Moderator, Schauspieler, Regisseur und Sänger. 2006 veröffentlichte er mit „Ich bin dann mal weg“ eines der meistverkauften deutschen Sachbücher.
taz: In der Doku werden Sie auf liebevolle Weise von Wegbegleiter:innen, wie zum Beispiel Anke Engelke oder Otto, gewürdigt. Es wirkt, als wären Sie Ihr ganzes Leben lang in ein wertschätzendes Umfeld eingebettet gewesen. Viele Künstler:innen berichten vom Gegenteil und werten diesen Umstand als Antrieb Ihres Schaffens. Wie war das bei Ihnen?
Kerkeling: Kunst ohne Kampf existiert nicht. Ich musste dem Leben so einiges abtrotzen und auch lernen, mich in einer Macho-Medienwelt zu behaupten. Gerade in der Riege der alten weißen Männer hatte ich als Schwuler oft meine natürlichen Gegner. Ich war eigentlich von Natur aus darauf gebucht, den Kürzeren zu ziehen. Das habe ich aber schlicht nicht zugelassen. Meine Familie war dabei immer auf meiner Seite. Mein stärkster Antrieb war es vielleicht, arrogante und selbstverliebte Macht leicht ins Straucheln zu bringen. Das ist oft gelungen.
taz: Anlässlich Ihres Ehrentages habe ich einmal Rückschau gehalten und festgestellt: Sie können eigentlich alles. Schreiben, mehrere Sprachen, schauspielern, singen, auch klare Gedanken zur Weltlage formulieren. Haben Sie sich je auf Hochbegabung testen lassen? Ich habe da so einen Verdacht …
Kerkeling: Meine ehemalige Klassenlehrerin am Marie-Curie-Gymnasium in Recklinghausen, Christa Hupe, Gott hab sie selig, hat auf diese Frage mal im Stern geantwortet: „Nein, hochbegabt war er nicht. Er war geistig hervorragend.“ Keine Ahnung, was sie damit genau gemeint hat. Jedenfalls habe ich mich ganz gut durchgewurstelt mit meinen endlichen Möglichkeiten. Ich wünschte jedenfalls, ich wäre manchmal klüger.
taz: Ist Intelligenz die wichtigste Voraussetzung für Humor oder funktioniert es auch ohne?
Kerkeling: Selbst Affen lachen nachweislich. Womit ich nicht sagen will, dass Affen doof sind. Vielleicht braucht es für Humor geistige Flexibilität und die Fähigkeit, sich in andere hineinversetzen zu können. Empathie spielt dabei eine große Rolle. Diktatoren sind humorlos, aber sind sie dumm? Nein. Intelligenz wird überschätzt.
taz: Wie ernst nehmen Sie Ihre Figuren? Sie hauen Ihre eigenen Kreationen ja nie in die Pfanne. Sie scheinen sie, trotz ihrer Unzulänglichkeiten, zu mögen …
Kerkeling: Grundsätzlich gehe ich mit so viel Liebe wie möglich durchs Leben. Alles andere wäre tatsächlich dumm. So behandle ich auch meine Kunstfiguren mit Respekt und Zuneigung. Der Mensch an sich ist ja fehlerhaft. Fragen Sie mal Mama Erde.
taz: Nachdem Sie die Figur der Uschi Blum, ein flirrendes Hybrid aus Andrea Berg und Hildegard Knef, jahrelang gehörig hyperventilieren ließen, brachten Sie 2021 eine ernsthafte, sehr persönliche Schlagerplatte heraus. Wie tief geht Ihre Liebe zum deutschen Schlager? Man hat den Eindruck, auch dieses Thema wird von Ihnen ohne Ressentiments umarmt …
Kerkeling: Ich liebe es, zu verwirren. Und ja, ich liebe Schlager! Allerdings nur den guten. Ich habe keine Angst vor meinen Gefühlen. Genau genommen sollte ich noch ein Album mit trutschigen Volksliedern und eine Hardrock-Scheibe machen. Der Deutsche ordnet gerne alles, sonst ist er schwer verunsichert; Akten, Unterlagen und Künstler in feste Kategorien. Kategorien versuchen Endgültigkeit vorzutäuschen. Dabei bleibt alles vage und flexibel. Das ist nicht jedem wirklich bewusst. Panta rhei. Alles fließt. Selbst, wenn ich ein Buch schreibe, halte ich mich an keine Regeln. Mein aktuelles Buch, „Gebt mir etwas Zeit“, ist Memoir, Essay, Pamphlet, historische Erzählung, Groschenroman und Sachbuch. Bekloppter geht es nicht. Künstlerisch bin ich eigentlich Südkoreaner. Die mixen auch alles wüst durcheinander.
taz: Sie haben mehrere Bestseller geschrieben. Wie wichtig ist Ihnen Geld? Haben Sie einen Bezug dazu oder könnten Sie auch Unsicherheit aushalten, wozu die meisten Künstler:innen ja immer mal wieder gezwungen sind?
Kerkeling: Chaos und Unsicherheit versuche ich – so weit ich es vermag – zu verhindern. Davon hatte ich mehr als genug in meiner Kindheit. Goethe hat schon gesagt, wenn man nicht vorhat, wenigstens eine Million Bücher zu verkaufen, sollte man gar nicht erst anfangen zu schreiben. Das ist nicht meine Überzeugung und der Geheimrat nicht wirklich mein Vorbild. Das ist dann wohl eher Shakespeare. Aber mein Verhältnis zu Geld ist tiefenentspannt. Meine Großmutter war Inhaberin eines gut gehenden Tante-Emma-Ladens. Nach Ladenschluss habe ich ihr geholfen, das Geld zu zählen. Sie hatte so eine Freude dabei. Ich verbinde mit Geld nichts Negatives. Jeder Geldschein ist ein Kunstwerk. Der Umgang mit den Moneten ist das Problem.
taz: Auch der ein oder andere Karrieretiefpunkt sowie Leerläufe und Flops kommen in der Doku zur Sprache. Was halten Sie von Christoph Schlingensiefs Satz „Scheitern als Chance“?
Kerkeling: Interessant, dass Sie von Christoph sprechen. Wir hatten eine gemeinsame Bekannte, die fand, wir sollten befreundet sein. So gab sie mir seine und ihm meine Nummer. Dann hatten wir über einige Jahre bis zu seinem Tod eine SMS – und intensive Anrufbeantworterfreundschaft. Wir sind uns leider nie persönlich begegnet oder haben direkt miteinander gesprochen. Schlingensief hat recht. Es liegt im Scheitern eine große Chance. Da, wo ich scheitere, bin ich gezwungen, einen neuen Weg zu finden. Aber ich habe nie versucht, mich über meine Kunst zu definieren. Kunst muss ja auch nicht zwingend erfolgreich sein. Es muss dem Künstler selbst und wenigstens einem Betrachter etwas bringen.
taz: Fernsehen, wie wir Kinder der 70er es kannten, hat ausgedient. Interessieren Sie sich für andere Möglichkeiten der Show-Unterhaltung? Kann es sie in traditioneller Form im Netz geben und wenn ja, wie? Trauern Sie den alten Zeiten überhaupt nach?
Kerkeling: Die alten Zeiten habe ich genossen. Aber ich trauere ihnen nicht nach. Ich gucke nach vorn. Jede neue Möglichkeit im Netz ist spannend. Sorgen bereitet mir jedoch die fehlende Kontrolle. Rechtsextreme oder islamistische Inhalte hätte man in den 80ern in Presse oder TV nicht verbreiten können oder dürfen. Heute erreicht dieses Gift selbst Minderjährige. Eine Demokratie braucht zu ihrem Schutz eine klar definierte Zensur.
taz: Sie haben sich in letzter Zeit klar gegen Antisemitismus und Rechtsruck positioniert. Schauen Sie besorgt auf die anstehenden Wahlen 2025?
Kerkeling: Tatsächlich erkenne ich keine Anzeichen dafür, dass sich die politische Lage verbessert. Die Extremisten erstarken, während das Führungspersonal der demokratischen Parteien scheinbar immer fragwürdiger und arroganter wird.
„Hape Kerkeling – Total normal“, ab 5. 12. in der ARD-Mediathek, am 9. 12. im linearen Fernsehen um 20.15 Uhr
taz: Ihr neuestes Buch deckt Ihre Verwandtschaft mit dem englischen Königshaus auf. Jetzt, wo wir wissen, dass Sie im Grunde von Adel sind: Wie stehen Sie zu Dünkel und Arroganz in diesen Kreisen? Können Sie sich darüber amüsieren? Lesen auch Sie das Goldene Blatt, wo Sie es erwischen können?
Kerkeling: Es ist wie überall. Es gibt sone und sone. Natürlich lese ich die Klatschpresse. Da weiß ich wenigstens, woran ich bin. Es ist alles erlogen, aber extrem unterhaltsam.
taz: Zum Schluss noch die Gretchenfrage: Wie halten Sie es eigentlich mit der Religion?
Kerkeling: Wie sollte ich am Göttlichen zweifeln, wenn es mir doch den unendlichen Sternenhimmel wie zum Beweis vor die Nase gepflanzt hat.
taz: Vielen Dank für dieses Gespräch!
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