Kaberettist Josef Hader über neuen Film: „Auf dem Land war's mir zu grob“

Mit „Andrea lässt sich scheiden“ legt Josef Hader seine zweite Regiearbeit vor. Es geht um Härten des Landlebens – und die traurigste Landeshauptstadt Österreichs.

Porträt von Josef Hader mit Brille

Sieht sich selbst als „empfindlich und sozial unterbelichtet“: Der Kabarettist Josef Hader Foto: Stefan Fürtbauer

taz: Herr Hader, nach sieben Jahren sind Sie erneut mit einem Film auf der Berlinale vertreten. Anders als in Ihrem Regiedebüt „Wilde Maus“ spielen Sie diesmal aber nur eine Nebenrolle. Warum?

Josef Hader: Vielleicht, weil ich ein bisschen mehr Zeit für die Regie haben wollte. Es hängt aber auch mit der Geschichte zusammen, die ich erzählen wollte. Eine Geschichte, die am Land spielt.

„Andrea lässt sich scheiden“ (Panorama) spielt am Land – oder auf dem Land, wie man hier in Pief­kistan sagt. Das ist in diesem Fall im Bundesland Niederösterreich. Mit Andrea, wunderbar gespielt von Birgit Minichmayr, haben Sie sich für eine weibliche Protagonistin entschieden. Weshalb?

Frauen am Land müssen ganz eigene Strategien entwickeln, um sich durchzusetzen in dieser männlich dominierten Gesellschaft. Eine Frau ist in dem Fall die bessere Hauptfigur. Weil sie es schwerer hat.

Sie selbst spielen den ehemaligen Religionslehrer und mehr oder weniger trockenen Alkoholiker Franz. Im Gegensatz zu Ihren sonstigen Rollen ist dieser Charakter kein Grantler mit cholerischen Tendenzen, sondern reumütig und sensibel. Was entspricht denn eher Ihrem eigenen Gemüt?

Wahrscheinlich eher das Sensible. Wenn ich an meine Kindheit am Land zurückdenke, dann war es mir dort oft zu grob. Ich hatte nicht die besten Voraussetzungen, das zu erfüllen, was man von einem Mann am Land erwartet: Ich hatte eine zu dünne Haut, war zu wenig robust fürs Landleben. Franz ist auch so eine filigrane Figur. Vielleicht ist er jemand, zu dem ich hätte werden können, wenn ich dort geblieben wäre, wo ich aufgewachsen bin.

geboren 1962 in Waldhausen, Niederösterreich, ist einer der populärsten Kabarettisten Österreichs. Er wirkt auch als Hauptdarsteller und Drehbuchautor („Indien“, 1993). Mit „Wilde Maus“ feierte er auf der Berlinale 2017 sein Regiedebüt. Mit seiner zweiten Regiearbeit „Andrea lässt sich scheiden“ ist er auf der diesjährigen 74. Berlinale in der Sektion Panorama vertreten.

Wie sind Sie denn heute?

Noch immer etwas empfindlich und sozial unterentwickelt (grinst verschmitzt).

So wirken Sie auf mich nicht, aber wir kennen uns ja auch erst seit ein paar Minuten. Besonders schön – wobei schön im klassischen Sinne falsch ist – finde ich den Ort der Handlung namens Unterstinkenbrunn. Das ist keine Erfindung ihrerseits: die Gemeinde existiert tatsächlich. Sie ist für ihren Zwiebelanbau bekannt und hat dem Lauchgewächs sogar ein phallisch anmutendes Denkmal inmitten eines Kreisverkehrs gewidmet, auf das Sie im Film wiederholt die Kamera halten. Wie haben Sie diesen Ort gefunden?

Ich bin während des Schreibens am Drehbuch in der Gegend herumgefahren, auf der Suche nach passenden Drehorten. Man hat ja Phasen, in denen einem nichts einfällt, da sucht man dann die Landschaft, in der der Film spielen könnte. Der einzige fixe Drehort war St. Pölten. Dorthin will sich Andrea, die Polizistin ist, versetzen lassen. In Österreich ist das schon Teil der Komödie, wenn man in eine Stadt flüchten will und dann ist das St. Pölten.

St. Pölten ist die Hauptstadt von Niederösterreich.

Genau. Die traurigste Landeshauptstadt, die wir haben. Dort wurde in den Neunzigerjahren ein überdimensioniertes Regierungsviertel hingeknallt: Ein anthrazitfarbener Architektentraum. Das sieht man auch im Film, es sieht aus wie ein kleiner, geschrumpfter Potsdamer Platz ohne Berlinale.

Interessanter Vergleich. Dort spielt aber nur ein kleiner Teil, wenn sich Andrea mit ihrem künftigen Chef Walter, gespielt von Robert Stadlober, trifft. Zurück nach Unterstinkenbrunn:

Richtig. Also zunächst hatte ich den Impuls, dort zu drehen, wo ich herkomme, aber da war es mir zu grün und zu hügelig. Da sähe man dann im Film wenig Horizont, wenig Himmel, keine Weite. So bin ich ins Weinviertel gekommen, da ist es flacher, eine Hochebene, wo immer der Wind weht und die Leute sich nicht voreinander in Wäldern oder hinter Felsen verstecken können. Eine Gegend, wo man nicht umeinander herumkommt.

Worum man in Niederösterreich leider auch nicht herumkommt, ist die, sagen wir sicherheitshalber, in Teilen rechtsextreme FPÖ. Sie koaliert dort mit der ÖVP. Vor einem Jahr haben Sie sich mit anderen Kulturschaffenden in einem offenen Brief an die dortige Landeshauptfrau gewandt, in der Hoffnung, sie würde von einer Koalition mit der FPÖ absehen. Vergeblich. Wäre Ihr Film nicht auch eine gute Gelegenheit gewesen, die rechten Tendenzen dort zu thematisieren?

Ich habe schon früh in meiner kabarettistischen Arbeit entschieden, dass ich das Politische lieber anhand des Privaten untersuchen möchte und nicht anhand von Tagespolitik. Wenn ich mich direkt politisch positioniere, dann außerhalb meiner Arbeit, einfach als Bürger, wie mit dem offenen Brief. Ich kenne auch keinen einzigen guten Film, in dem Politik direkt verhandelt wird. Aber ein Film kann eine gesellschaftliche Stimmung beschreiben, das hab ich versucht. Da gibt es gedankenlose Bemerkungen, als Witze getarnte Gemeinheiten, dahinter könnte man eine latente Aggression vermuten.

Wie in der Szene, wo Andrea einen ehemaligen Schulkollegen und Dorfbewohner wegen Geschwindigkeitsübertretung anhält und er sagt, dass sie sich wie in der SS aufführe?

Ja, das ist ein Beispiel dafür, wie sorglos man mit solchen Vergleichen umgeht. Ein anderes Beispiel ist ein Satz im Film, den ich selbst auch schon so gehört habe und von dem ein Zuschauer nach einer Berlinale-Premiere meinte, er habe ihn auch in Bayern schon mehrmals vernommen: „Hauptsache, es ziehen [ins Nachbarhaus] keine Türken ein.“ Das sagt in meinem Film ein netter alter Herr, und nachher grinst er ­freundlich. War ja nicht so ernst gemeint. So was mag ich gerne, in einem Film ein Bild malen, aus lauter kleinen Pinselstrichen. Für eine Tragikomödie mit tagespolitischen Anspielungen fehlt mir aber die Fantasie. Es gibt aber tolle Filme, die Realpolitisches als echtes Drama erzählen.

Haben Sie ein Beispiel?

„Missing“ (1982) von Constantin Costa-Gavras. Der Film basiert auf dem Fall des US-Journalisten Charles Horman, der 1973 kurz nach dem Militärputsch in Chile vor Ort entführt und ermordet wurde. Hormans Vater reiste nach Chile, um nach ihm zu suchen. Gespielt wird er im Film von Jack Lemmon. Ich kann mich noch gut erinnern, wie beeindruckt ich von dessen Leistung war, wie nah beieinander die schauspielerischen Mittel liegen, wenn man Komisches oder wie hier Tragisches spielt. Man muss beides mit der gleichen Ernsthaftigkeit spielen, die komische oder tragische Wirkung entsteht aus dem Zusammenhang.

In ihrem letzten taz-Interview nannten Sie als Rollenvorbilder James Stewart in „Mein Freund Harvey“ (1950) und Gene Hackman in „French Connection“ (1971). Wer hat Sie dieses Mal zu Franz inspiriert?

Am Ende des Films steht ein Name von jemandem, an den ich erinnern möchte. Ein Mitschüler von mir, der Religionslehrer geworden ist und auch ein bisschen eine zu dünne Haut hatte, also auch das zerbrechliche Wesen vom Franz. Der hat mich inspiriert. Ich habe ihn das Drehbuch lesen lassen und wir haben uns mehrmals getroffen und darüber diskutiert. Leider ist er gestorben, bevor der Film fertig wurde.

Das tut mir leid.

Mir auch.

In Ihrem Bühnenprogramm „Hader on Ice“ verkörpern Sie einen Boomer, der unter anderem seiner Wut im Internet freien Lauf lässt. Sie selbst treten eher moderat in den sozialen Medien auf. Haben Sie schon mal an eine Instagram-Laufbahn gedacht, wie Ihre Kollegin Toxische Pommes?

Während des Schreibens des Programms habe ich so kleine Videos gemacht zum Austesten. Die hab ich im ersten Lockdown hochgeladen und geschaut, was passiert.

Und was ist passiert?

Nicht viel, aber ich habe gemerkt, dass das nervlich zu anstrengend für mich ist. Ich bin jemand, der, wenn er zehn gute Kommentare liest und einen schlechten, aufgrund des Schlechten nicht schlafen kann. Aber ich bewundere Irinas (Hinweis der Redaktion: Toxische Pommes heißt mit bürgerlichem Vornamen Irina) Arbeit. Sie arbeitet sich an einer Migrantenkindheit in Wiener Neustadt ab. Auch so ein St. Pölten, aber vielleicht noch schlimmer. Sie macht das so lustig und herzzerreißend tragisch und gefühlvoll, einfach großartig. Das setzt sie auf der Bühne und auch in ihrem neuen Buch ganz toll um.

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