Handysucht gesetzlich regeln: Verbote gehören in den Verkehrsbereich
Neuerdings halten alle ihr Handy auch beim Gehen in der Hand, um schneller draufschauen zu können. Eine Unfallgefahr, für die es Bußgeld geben sollte.
S eit es das Deutschlandticket gibt, gehe ich mehr zu Fuß. Früher fuhr ich Fahrrad, heute muss ich erst mal zu den Bahnhöfen laufen. Kürzlich trotte ich hinter einer jungen Frau her, als mein Blick von ihrer rechten Hand angezogen wird: Sie trägt ein Handy. Sie trägt es wirklich, also nicht vor dem Gesicht, um darin zu lesen oder zu schreiben. Sie trägt es wie ein Accessoire, wie eine Aktentasche, als wäre es das normalste von der Welt.
Schon sonderbar diese Zeiten, denke ich und merke plötzlich ein Gewicht in meiner rechten Hand. Mein Handy. Shit, stimmt. Auch ich nehme mein Handy mittlerweile an die Hand wie sonst nur Eltern ihre Kinder oder Verliebte ihre Liebe. Meine vier Finger umarmen es von hinten, mein Daumen schmiegt sich von der anderen Seite um die sanft abgerundete Kante. Eng ineinandergeschlungen schlendern wir gemeinsam zur U-Bahn, ins Büro, in die Bar, den Park.
Wir verstecken unsere Beziehung schon lange nicht mehr, zeigen uns als unzertrennliches Paar in aller Öffentlichkeit. In der Anfangsphase hatten wir uns bemüht, das Verlangen zu verstecken, uns heimlich aufs Klo verzogen. Inzwischen sind wir zu einer symbiotischen Einheit verschmolzen. Manchmal aber stecke ich das Handy mitten im Gehen in meine Tasche. Ein erstes Anzeichen für das unausweichliche Ende?
Noch bevor ich mir die Frage ernsthaft stellen kann, hab ich das Handy schon wieder in der Hand. Kribbeln im Bauch, Wiedersehensfreude, hach, es ist doch schön mit dir. Sicher, diese Beziehung ist toxisch, meine emotionale Abhängigkeit längst plus 1000. Doch anstatt einen klaren Trennungsstrich zu ziehen, suche ich nach Mitmenschen, denen es genauso geht und werde natürlich fündig.
Eine symbiotische Einheit
Ich rede mir ein, dass ich das Handy ständig in meiner Hand spüren müsse, weil ich unter einer posttraumatischen Belastungsstörung leide: Ich bin Mehrfachopfer von Handtaschen- und Handyräubern. Aber klar ist das Quatsch. Ich will einfach nur ständig in dieses Ding starren.
Vor ein paar Tagen will ich mit dem umschlungenen Handy in die U-Bahn steigen. Doch eine junge Frau vor mir bleibt an der Bahnsteigkante stehen, um noch irgendwas in ihr Handy zu tippen, bevor sie den Waggon betritt. Tssssss, denke ich, diese rücksichtslose junge Generation.
Am nächsten Tag laufe ich wieder zur U-Bahn und höre plötzlich laut: „Guten Mooooooooorgen!“. Ich muss stehen bleiben, weil ein Mann in orangener Kluft einen großen Mülleimer hinter sich herziehend mir den Weg abschneidet. Er hatte Recht, mich freundlich zu ermahnen. Ich hatte ihn nicht gesehen, weil ich im Laufen in mein …
In schweren Fällen droht ein Handyverbot
Ich halte wenig bis nichts von Verboten im politischen Bereich, glaube mit Ausnahmen nicht an ihre Effektivität. Verbote gehören in den Verkehrsbereich. Da sind sie richtig aufgehoben, machen Sinn und verhindern schmerzhafte bis tödliche Zusammenstöße. Sich an die Regel zu halten, dass man bei Rot nicht über die Ampel geht, ist eine zivilisatorische Errungenschaft. In den vergangenen Jahren verzeichnet die Unfallstatistik einen eklatanten Anstieg an Verkehrsunfällen mit Fußgängerbeteiligung. Der Grund: „Unaufmerksamkeit“.
Aufmerksamkeit lässt sich im intellektuellen Bereich schwer erzwingen, in der Straßenverkehrsordnung aber locker: Analog zum „Rotlichverstoß“ könnte folgender Paragraph eingeführt werden: Wer im Gehen auf öffentlichen Wegen länger als 10 Sekunden auf sein Handy guckt, zahlt mindestens 90 Euro. Statt eines Punktes in Flensburg, wird der Fußabdruck in der individuellen CO2-Bilanz um eine Schuhgröße erhöht – in schweren Fällen droht ein Handyverbot.
Ich fänd’s super, allein um wenigstens mal eine Verbotsdebatte zu führen, die nichts mit Meinungsfreiheit, essen oder rechts zu tun hat.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos