Hamburgs hässliches Erbe: Unsere Kolonien
Hamburg will sich mit seiner Kolonialgeschichte beschäftigen. Doch statt Lob gibt es Kritik von Wissenschaftlern und Verbänden.
HAMBURG taz | Es gibt kein Vergessen. Schon gar nicht bei Erbschaftsfragen. Die Geschichten, die man sich darüber erzählt, wissen das zu verhindern. Weil es in der Natur des Erbens liegt, Ungerechtigkeit zu erzeugen, hatte der französische Soziologe Émile Durkheim einmal vorgeschlagen, diese gesellschaftliche Praxis besser ganz abzuschaffen, um so den Weg frei zu machen für eine egalitäre Gesellschaft.
Nicht abschaffen, sondern beleuchten will nun Hamburg sein koloniales Vermächtnis. Mit einem gesamtstädtischen Erinnerungskonzept wolle die Stadt – als erste in Deutschland – das koloniale Erbe aufarbeiten, gab der Hamburger Senat im Juli bekannt. Denn als große Hafen- und Handelsmetropole habe die Stadt eine besondere Verpflichtung und ein besonderes Interesse, erklärte Kultursenatorin Barbara Kisseler (parteilos): „Wir werden uns der Geschichte mit mehreren Initiativen stellen.“
Handfest sind die noch nicht. Die für das Konzept zuständige Kulturbehörde erklärt, „um eine fundierte wissenschaftliche Grundlage für die Erarbeitung zu haben, bedarf es etwas Forschungszeit“. In einem nächsten Schritt will die Behörde die Ergebnisse im nächsten Jahr in einer öffentlichen Tagung diskutieren. Noch in diesem Jahr soll der Hamburger Historiker Jürgen Zimmerer im Auftrag der Stadt nach Dar es Salaam in Tansania reisen, um den wissenschaftlichen Austausch mit der Hamburger Partnerstadt weiter voranzubringen.
In der wissenschaftlichen Forschungsstelle „Hamburgs koloniales Erbe. Hamburg und die frühe Globalisierung“ will der Professor für afrikanische Geschichte herausarbeiten, wie tief Hamburgs Geschichte überhaupt mit dem Kolonialismus verbunden ist. Für Zimmerer sind das aber nur Bausteine einer Aufarbeitung. Später, wenn der Prozess in Gang gesetzt ist, werde sich zeigen, wie die einzelnen Akteure in der Stadt damit umgehen, wenn beispielsweise die Geschichte der Handelskammer und deren Verstrickungen in den Kolonialismus dokumentiert sind. „Dann beginnt meines Erachtens die eigentliche Aufarbeitung erst“, sagt der Historiker. Hamburg sei mit dem Kolonialismus der letzten 500 Jahre derartig eng verbunden, dass er von einer „Sisyphusarbeit“ spricht.
Dass die wichtig ist, darüber sind sich noch alle einig. Bei der Umsetzung scheiden sich jedoch die Geister. Kritiker wie der Hamburger Migrationsforscher Louis Henri Seukwa bemängeln, dass die Stadt die Kolonialgeschichte viel zu stark auf die Beziehungen zu Tansania reduziere und viel zu einseitig auf die historische Betrachtung setze, die ja nur einer unter vielen Zugängen ist. Die Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland (ISD) ist empört, dass ausgerechnet die Nachfahren der Opfer von Kolonialismus und Rassismus von der Mitarbeit an dem Senatskonzept ausgeschlossen worden seien. Ihr Beiratsmitglied Ginnie Bekoe spricht von einem Skandal, denn es seien gerade jene Selbstorganisationen Schwarzer und afrikanischer Menschen sowie postkoloniale Initiativen gewesen, die das Konzept angeregt hätten.
Die Kulturbehörde weist diese Kritik zurück: Die Einbindung der unterschiedlichsten Gruppen sei ganz klar vorgesehen, erklärt deren Sprecherin Laura-Helen Rüge. „Für die Aufarbeitung des kolonialen Erbes der Stadt soll zunächst vor allem die wissenschaftliche Grundlage geschaffen werden.“
Die Zeiten, in denen Deutsche anderen erklärten, wie sie Geschichte aufzuarbeiten hätten, seien vorbei, sagt der Historiker Zimmerer. Er lehnt es ab, ein altes Narrativ der Geschichtsbetrachtung durch ein neues zu ersetzen und dieses „professoral abzusegnen“, wie er sagt. Bei der Aufarbeitung sei vielmehr der Prozess, also der Weg das Ziel. Und zwar „unter Einbeziehung aller Leute, die sich daran beteiligen wollen“.
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