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Hamburgs Olympiabewerbung„Halten Sie mich für einen Träumer“

Martin Roth, Museumsdirektor und DOSB-Mitglied, will Olympia nicht der Wirtschaft überlassen. Er hält die Spiele für eine Plattform der Völkerverständigung.

Boykott ist schlecht: Den Olympischen Spielen 1980 in Moskau blieben die SportlerInnen vieler westlicher Staaten fern Bild: dpa
Interview von Markus Völker

taz: Herr Roth, in Vorfeld der Kür von Hamburg zur deutschen Bewerbung um die Sommerspiele 2024 war Ihre Expertise gefragt. Denn Sie sind nicht nur Chef des Victoria and Albert Museum in London, sondern auch persönliches Mitglied im Deutschen Olympischen Sportbund. Warum also Hamburg und nicht Berlin?

Martin Roth: Es geht nicht um ein Entweder-oder, sondern darum, dass es überhaupt eine deutsche Bewerbung gibt. Plattformen wie Olympische Spiele werden heute mehr gebraucht als früher.

Warum?

Das betrifft ganz klassische Themen, von Völkerverständigung über Toleranz bis hin zu einer großen Begegnungsplattform, die geschaffen wird. Das klingt alles furchtbar pathetisch, aber es ist wichtiger denn je. Viel hängt natürlich auch davon ab, wie solche Veranstaltungen definiert werden. Olympische Spiele bringen die Möglichkeit, sich darzustellen, anders darzustellen. Das Nationale ist dabei gar nicht so wichtig, sondern die Geste des Einladens. Ich finde, Hamburg hatte im Städtezweikampf einen wirklich starken Auftritt. Das Konzept von Hamburg ist klasse: bescheidener, stadtnäher.

Das klingt alles gut, Völkerverständigung, die Jugend der Welt kommt zusammen und so weiter. Hinter diesen Schlagworten verbirgt sich aber oft auch anderes: Die Spiele sind zu groß geworden, zu teuer. Es heißt, nicht die Bürger profitierten, sondern Immobilienunternehmer und die Wirtschaftselite. Ist das alles nur Miesmacherei?

Es geht um einen Prozess des Abwägens: Was kann ich erreichen, und was muss ich dafür hergeben? Halten sie mich meinetwegen für einen Träumer, aber wenn wir nicht diese klassischen Großveranstaltungen annehmen und so konzipieren, dass sie für viele Menschen ein Erlebnis, einen Austausch darstellen, dann weiß ich nicht, was wir sonst machen sollen. Nur das Digitale ist es nicht! Allein der Tourismus kann es auch nicht sein.

Es muss auch eine Begegnung möglich sein, die eine Bedeutung hat über das reine Sichbegegnen hinaus. Die olympische Plattform muss natürlich von Leuten besetzt werden, die wirklich etwas mit ihr anfangen wollen und sie nicht nur dem Kommerz überlassen. Man muss es anpacken, und sich nicht nur beklagen. Wenn man es den Real-Estate-Leuten überlässt, dann werden es am Ende Spiele von Immobilienunternehmern.

Das Thema dürfte ja in London sehr präsent sein.

dpa
Im Interview: Martin Roth

60, hat Kulturwissenschaft studiert. Seit 2011 leitet er das Victoria and Albert Museum in London. Roth ist persönliches Mitglied des Deutschen Olympischen Sportbunds, und das, obwohl er „nicht mal eine olympische Goldmedaille im Abfahrtslauf“ hat, wie er sagt.

Ich habe es hautnah erlebt. Hier gibt es seit Jahren den großen Aufschrei, dass die Mieten steigen und die Leute immer weiter in den Osten Londons rausziehen müssen. Da ist etwas dran. Aber wer in London-Stratford, wo der Olympiapark eingerichtet wurde, Ende der 70er Jahre unterwegs war, der bekam es mit der Angst zu tun. Mit Olympia ist in London eine Dynamik in Gang gesetzt worden. Kreative zieht es nach Stratford, auch teilweise mein Museum. Natürlich steigen die Mieten.

Im Fall der Spiele wird immer von einem identitätsstiftenden Ereignis gesprochen, das Deutschland wieder dringend brauche. Was ist wohl damit gemeint?

Was viele gern bedienen, ist das Sommermärchen von 2006, die Fußball-WM. Das kommt mir ein bisschen zu den Ohren heraus. Ich bin kein Fan von dieser Art der Selbstdefinition. Aber wenn schon nationaler Taumel, dann lieber in einem Sportstadion als irgendwo anders.

Sie haben als Kulturwissenschaftler an der Agenda 2020 des IOC mitgewirkt.

Ja, und ich hatte den Eindruck, da wurde ernsthaft diskutiert und keine Camouflage betrieben.

Mit der Agenda sind aber noch größere Spiele möglich.

Sie müssen doch einen Diskussionsprozess beginnen, um langfristig etwas zu verändern. Das sind nicht Veränderungen, die morgen schon umgesetzt werden. Das IOC arbeitet daran, sich ein anderes Image zu geben. Es geht um eine neue Dimension der Spiele: stärker teilnehmerorientiert zum Beispiel.

Das klingt alles nicht schlecht, was Sie sagen …

… das ist auch nicht schlecht.

Aber was bleibt davon, wenn das IOC die Spiele in autoritär regierte Staaten vergibt, die auch mal 40 Milliarden Euro ausgeben können und Olympiakritiker mundtot machen?

Deshalb bin ich dafür, wenn wir es machen – wir in Deutschland. Es geht nicht darum, zu sagen, wir können es besser, sondern darum, Olympia mit neuen Inhalten zu füllen. Andererseits kann man Ländern, die, wenn man so will, etwas gelenkter sind als westliche Demokratien, Olympia nicht vorenthalten. Und von einem Boykott halte ich gar nichts. Moskau 1980 war der allergrößte Blödsinn. Ich glaube, wenn man etwas verändern will, muss man sich auf die Situation einlassen und Debatten führen. Eine Demokratie stellt sich nur über den Diskurs dar.

Aber was steckt hinter Ihrer Hoffnung: eine Art Demokratieexport in problematische Olympiametropolen?

Das Wort „Demokratieexport“ wäre falsch. Ein anderes Beispiel: Ich bin in Deutschland hart angegriffen worden wegen einer Ausstellung über die Kunst der Aufklärung, die ich 2011 in Peking gemacht habe.

„Wandel durch Anbiederung?“, titelte zum Beispiel die Zeit, die Bild-Zeitung kürte Sie zum „Verlierer des Tages“.

Trotzdem würde ich es wieder machen. Wenn ich mich abschotte und nur auf die anderen zeige, also auf jene, die es in ihren Ländern nicht richtig hinkriegen, dann wäre mir das zu wenig. Olympische Spiele, aber auch eine Kunstausstellung sind geeignet, Debatten über Zustände im Veranstalterland zu führen.

Aber weil das IOC mit über 200 Nationen ein internationales Unternehmen ist, müssen offenbar immer wieder faule Kompromisse eingegangen werden?

Ich weiß nicht. Ich bin damals bei meiner Ausstellung in Peking keine faulen Kompromisse eingegangen. Wir haben immer mit offenem Visier gekämpft. Und wir hatten 400.000 Besucher zwischen 18 und 25, die sonst nie die Chance gehabt hätten, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Nicht zu vergessen die Blogs und Debatten innerhalb von China. Es gibt auch in der intellektuellen Auseinandersetzung eine Hol- und Bringschuld.

Sollte also auch der olympische Zirkus nach Baku, Doha, Almaty oder Dubai ziehen – wegen des Diskurses vor Ort?

Nein, das habe ich nicht gesagt. Die Debatten werden zunächst im IOC angestoßen. Große internationale Organisationen ändern sich nur langsam.

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