Hamburgs Konzept gegen Jugendgewalt: Für wen Datenschutz nicht gilt
Nach dem eskalierten Konflikt zwischen Schülern und einem Polizisten wussten Medien viel Persönliches über ein Kind. Datenschützer kritisieren das.
Eine vorläufige Beurlaubung dauert laut Schulgesetz bis zu zehn Tage. Sie soll sogar Schüler treffen, die die Auseinandersetzung nur gefilmt hatten. Schulbehördensprecher Peter Albrecht sagte der taz, alle Schüler, die den Anweisungen der Lehrer an jenem Nachmittag umgehend Folge geleistet hätten, seien „nicht suspendiert worden“. An der Nachbarschule sei nur der Schüler beurlaubt worden, „von dem der Vorfall ausging“.
Die Rede ist von einem 13-Jährigen, der auf einem vom NDR veröffentlichen Video zappelnd unter dem Schulpolizisten liegt. Er soll sich laut Polizei zuvor geweigert haben, seine Hände zu zeigen, weswegen der Cop4U ihn fixierte und zu Boden brachte. Dort bekam der Beamte wohl auch Tritte von umstehenden Schülern an den behelmten Kopf.
Über den zu Boden Gebrachten hieß es unter anderem, er sei „Intensivtäter“ und „verhaltensauffällig“ und vom benachbarten Gymnasium einst suspendiert worden. Die Bild gab sogar an, die „Gewaltakte“ dieses Kindes zu haben, mehrere Blätter nannten den Namen der Schule, die der Junge heute besucht. Die Zeitungen berichteten, dass ein Verwandter des Kindes vor Gericht stehe und dass sie wüssten, in welcher Jugendeinrichtung es lebe.
Es stellt sich die Frage, ob Polizei und Schulbehörde in ihrer Pressearbeit angemessen Zurückhaltung übten, da es hier um Kinder geht. Die Polizeimitteilung „Schüler greifen Polizei-Beamten in Hamburg-Eimsbüttel an“ vom 19. August bot den Ausgangsstoff für zahlreiche Berichte. Der Junge sei der Polizei „bereits bekannt“, stand darin.
Polizeisprecherin Sandra Levgrün sagt, es gab die Pressemitteilung, weil hier ein „öffentliches Interesse“ vermutet wurde. Es finde bei der Pressearbeit immer eine Einzelfallprüfung statt „unter Berücksichtigung des besonderen schutzwürdigen Interesses von minderjährigen Beteiligten“.
Kinder unter 14 auf „Obachtliste“
Dennoch besteht in Hamburg seit 2011 eine „Obachtliste“, auch Ampeldatei genannt, die sehr umstritten ist. Auf ihr werden aktuell 159 junge Menschen unter 21 Jahren geführt, die durch eine Straftat auffielen und bei der die Annahme besteht, dass sie weitere begehen. In diese Datei speisen Jugendhilfe, Schulbehörde, Staatsanwaltschaft, Jugendgerichtshilfe und Polizei Daten ein und erzeugen damit in ihren Handlungsfeldern eine der drei Farben Rot, Gelb, Grün.
Zurzeit sind auch sechs Kinder unter 14 Jahren in dieser Datei, die die Polizei koordiniert. Zugriffsberechtigt sind etwa 32 Personen. Die Sache soll auch abschrecken. „Ich kann in die Liste hineinschauen, die die Polizei angelegt hat und immer aktualisiert“, schrieb zum Beispiel ein Mitarbeiter der Gewaltpräventionsstelle der Schulbehörde 2019 in einem Blog.
Nur hatte der Hamburgische Datenschutzbeauftragte von Anfang an starke Bauchschmerzen mit dem Verfahren, das schrieb er 2013 in seinem 24. Tätigkeitsbericht. Denn erfasst wird dort die Wertung, zu den strafrechtlich auffälligsten Gewalttätern unter 21 Jahre zu gehören, und das Merkmal „Intensivtäter“. Und neben diesen in die Vergangenheit gerichteten, aber gleichwohl „höchst sensiblen“ Wertungen, werde in der Datei zugleich eine Prognose in die Zukunft vorgenommen und mit jeder neuen Ampelfarbe wieder eine Wertung getroffen. Die Daten hätten folglich einen „hohen Schutzbedarf“. Statt der Polizei, so empfahl er dringend, sollte die Sozialbehörde das Verfahren koordinieren.
Die taz nahm die jüngsten Medienberichte über ein Kind zum Anlass, beim Datenschutzbeauftragten nachzuhaken, ob die damalige Kritik noch aktuell sei. Die Antwort ist ja. Trotz intensiver Erörterung mit Polizei und Innenbehörde seien die im 24. Tätigkeitsbericht aufgeführten Mängel „nicht beseitigt“, sagt Sprecher Martin Schemm. Man habe die Sache zuletzt 2016 überpüft und sich nicht angenähert, vor allem bei der Einschätzung des „Schutzbedarfs“. Läge die Koordinierung bei der Sozialbehörde, wäre dies „datenschutzrechtlich unkritischer“.
Die Sozialbehörde selbst sagt, sie habe kein Problem damit, dass die Polizei die Sache koordiniere. Die Innenbehörde sagt, der Schutzbedarf der Ampeldaten sei ihrer Einschätzung nach als „normal“ zu bewerten. Sie sehe im Gegensatz zum Datenschützer also keinen „hohen Schutzbedarf“.
Wie aus zwei Briefen von Eltern der Ida-Ehre-Schule hervorgeht, die der taz anonymisiert vorliegen, sehen diese auch ihre Kinder zu wenig geschützt und stigmatisiert. Zum Beispiel weil unterstellt wurde, dass das Filmen mit Handy die Situation eskalierte. Dabei könnte eine bildliche Dokumentation sehr wichtig sein.
„Spontane und reflexhafte Vorverurteilung“
Schulsenator Ties Rabe (SPD) hatte in einem Pressestatement „Konsequenz und Härte“ angekündigt und das Verhalten der Jugendlichen verurteilt. Die Schulpolitikerin Sabine Boeddinghaus (Die Linke) nennt das nun eine „spontane und reflexhafte Vorverurteilung“, mit der Rabe nach dem „Top-Down-Prinzip“ Druck ausübe. „Natürlich ist Gewalt nicht das Mittel der Wahl und muss geahndet werden“, sagt sie. Sie hinterfrage aber diese Suspendierungen. Obwohl bekannt sei, dass nur ein Teil der Schüler von der Ida-Ehre-Schule kam, konzentrierten sich „alle Maßnahmen auf diese Stadtteilschule mit ausgeprägtem politischem Profil“.
Boeddinghaus will nun das gesamte Konzept „Handeln gegen Jugendgewalt“, zu dem auch Cop4U und Obachtslisten gehören, überprüft und mindestens überarbeitet wissen, damit „das Primat der Pädagogik gehört“.
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