Hamburgs Gängeviertel wird 12: Seltenes Schlangentier

Das ehemals besetzte Gängeviertel wird zwölf Jahre alt und feiert. Es will dabei nicht die Probleme aus dem Blick verlieren, die es in der Stadt gibt.

Grüner Hinterhof: Blick in das Gängeviertel in Hamburg

Durchaus grün, aber auch kein Paradies: Blick ins Gängeviertel Foto: Miguel Ferraz

HAMBURG taz | Die letzten Handgriffe waren noch zu erledigen am späten Donnerstagvormittag. Später am Tag sollten die Feierlichkeiten beginnen, denn das Gängeviertel wird zwölf Jahre alt. So lange stehen die – ebenfalls zwölf – Häuser zwischen Valentinskamp, Caffamacherreihe und Speckstraße „für die erfolgreiche Rückeroberung von Freiräumen“: Das besagt eine frisch verschickte Pressemitteilung.

Bei Eltern gehen die Einschätzungen darüber auseinander, wann Kinder „aus dem Gröbsten raus“ sind. Das ehemals besetze Gängeviertel, diese Enklave in der Investoren- und Projektentwicklerstadt, könnte man durchaus so betrachten. Seit ziemlich genau zwei Jahren existiert ein Erbpachtvertrag mit der Stadt, der das Viertel für 75 Jahre schützt – vor Privatisierung, aber auch vor wechselnden politischen Konstellationen im Rathaus. Auch die Sanierung der Häuser kommt voran – langsamer vielleicht als erhofft, aber dennoch.

Ein Plateau ist erreicht, nach Jahren des teils steilen Aufstiegs: Dieser Beschreibung kann Lena Frommeyer zustimmen. Sie ist zweite Vorsitzende des Gängeviertel-Vereins und eine seiner Presseverantwortlichen. „Wir wollen beweglich bleiben“, fügt sie hinzu. „Und das gelingt nur, wenn wir jetzt nicht stagnieren, sondern uns – wie eine Schlange – immer wieder häuten.“

Damit meint sie, dass immer wieder neue Leute hinzustoßen zum Viertel, dem Verein oder der 2010 gegründeten Genossenschaft, die irgendwann die Verwaltung der Häuser übernehmen wird. „Wir möchten Freiraum sein“, sagt Frommeyer – „für alle. Ein Ort, wo man einfach reinkommen und sich sein Eckchen suchen, miteinander diskutieren kann.“

Keine Toleranz für Rassismus und Sexismus

Das hat seine Grenzen, klar: „Wenn man sich rassistisch, sexistisch und so weiter verhält oder äußert.“ Es gehe um einen respektvollen Umgang. Weil das aber keine Selbstverständlichkeit ist, gibt es dort inzwischen auch eine Awareness-AG. Und bei den Feierlichkeiten werden zwei Menschen als deutlich erkennbare Ansprechpartner unterwegs sein für Gäste, die sich bedroht fühlen.

Der anstehende Geburtstag ist bereits der zweite unter Pandemiebedingungen. Das diesjährige Motto „Access all spaces“, Zugang zu allen Räumen, spielt einerseits darauf an, dass nun wieder für lebendiges Treiben zugänglich ist, was durch Corona so lange verwaist war. Es klingt darin aber auch an, dass die erhofften Be­su­che­r*in­nen­strö­me nun, der Ansteckungsgefahr geschuldet, mehr und andere Teile des Viertels kennenlernen werden.

Mit seinem Hygienekonzept geht das Viertel sogar weiter, als es derzeit die Stadt verlangt: Wer mitfeiern will, braucht einen tagesaktuellen negativen Antigentest und muss stets eine Maske tragen – beides gilt auch für Geimpfte und Genesene.

Das Problem mit der Staatsknete

Auch das Gängeviertel hat mitgemacht beim „Kultursommer“, diesem staatlich alimentierten Ankurbeln des Kulturgeschehens. Staatsknete anzunehmen, brachte für das Viertel und seine Be­woh­ne­r*in­nen offenbar auch Turbulenzen mit sich: „Wie geht man damit um?“, sagt Frommeyer. Das sei eine „interessante Diskussion“ gewesen. Erstmals wurde sogar bezahlt für Arbeit, die dort normalerweise nicht bezahlt würde.

Bei aller Freude über ein erfolgreiches Sommerprogramm und den Geburtstag: Man wolle keinesfalls vergessen, welche Probleme es in der Stadt gibt. „Wir haben Raumnot in der Kultur. Leute verlieren ihre bezahlbaren Flächen“, sagt Frommeyer und verweist etwa auf die unklare Zukunft des Centro ­Sociale.

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