Hamburger Reeperbahn: Bürgerbeteiligung in die Tonne getreten
Die Pläne für ein neues Quartier an der Hamburger Reeperbahn landen zum größten Teil im Papierkorb. Subkultur wird hier doch keinen Platz bekommen.

Wie der Hamburger Senat jetzt der Fraktion der Linken in der Bürgerschaft im Einzelnen bestätigt hat, werden die meisten Ideen aus einem aufwändigen Beteiligungsverfahren für das Neubauquartier Palomaviertel nicht umgesetzt. Der Charme des Projekts bleibt damit auf der Strecke. „Der neue Entwurf wird dumm, brutal und teuer“, urteilte die Planbude, die den Beteiligungsprozess organisiert hatte.
Gegenstand des Streits ist ein großes Grundstück an der Reeperbahn, auf dem bis vor elf Jahren Hochhäuser mit billigen, allerdings baufälligen Mietwohnungen standen. Eine Bürgerinitiative hatte versucht, die „Esso-Häuser“ – genannt nach der benachbarten Tankstelle – im Sinne der Mieter zu erhalten. Stadtteilaktivisten organisierten Proteste, an deren Ende der Bezirk Mitte schließlich die Planbude aufschlagen ließ.
Vorbild war ein Nachbarschaftspark am Hafenrand
Vorbild war ein Beteiligungsprojekt am anderen Ende von St. Pauli, wo ein Nachbarschaftspark am Hafenrand nach Ideen der Anwohnerschaft gestaltet wurde. Die „kollektive Wunschproduktion“ war als Kunstprojekt angelegt, das dessen Initiator Christoph Schäfer 2002 auf der Documenta 11 in Kassel vorstellte.
Ergebnis der Planbude war ein kleinteiliges, stark durchmischtes Quartier, das die Struktur St. Paulis aufgreifen sollte – den St. Pauli-Code, wie Schäfer das nannte. Dabei geht es um eine kleinteilige Strukturen, die Verschränkung öffentlicher und mehr oder weniger privater Räume, Räume für Kleingewerbe und Clubs, für nachbarschaftliche Begegnungen und Sport, nicht zuletzt und Wohnungen aber auch Platz für ein Hotel – schließlich plante man ja für die Reeperbahn.
Der Druck der Öffentlichkeit und das Ergebnis dieses Beteiliungsverfahrens überzeugten auch den Investor Bayerische Hausbau. Der städtebauliche Wettbewerb im Anschluss an die Bürgerbeteiligung endete 2015 mit einem einstimmigen Ergebnis. „Ein kleinteiliges Gesamtkonzept, das Aneignungsmöglichkeiten bietet“, lobte die Initiative Esso-Häuser den Entwurf. Und der Investor Bayerische Hausbau sah seine „Ansprüche an die Wirtschaftlichkeit der Neubebauung erfüllt“.
Eben Letzteres hat sich allerdings mit den explodierenden Baupreisen und steigenden Finanzierungskosten nicht zuletzt in Zusammenhang mit der Corona-Pandemie geändert. Die Bayerische Hausbau verschleppte das Projekt, bis Ende vergangenen Jahres unter tatkräftiger Nachhilfe des Senats das städtische Wohnungsunternehmen Saga und der Privatinvestor Quantum das Areal kauften und die Wunschliste zusammenstrichen.
Fazit der Linken
Ihr Plan sieht nur noch Sozialwohnungen vor, dafür aber ein doppelt so großes Hotel. Nach der Liste, die der Senat der Linken übermittelt hat, soll es zwar zwei Räume für Musikclubs geben, aber keine Räume für Subkultur. Das vorgeschlagene Hostel ist gestrichen; für „stadtteilaffine Nutzungen“ sind noch 213 Quadratmeter vorgesehen. Das geplant Rauhe und Kleinteilige, das dem Quartier Leben einhauchen sollte, bleibt auf der Strecke.
„Die große Herausforderung beim Paloma-Viertel ist es, die Planungen unter den geänderten Marktbedingungen überhaupt umsetzen zu können“, rechtfertigt sich die SPD-geführte Stadtentwicklungsbehörde. Erst nach langen Verhandlungen und durch den Einsatz öffentlicher Mittel sei es gelungen, aus dem Paloma-Viertel ein tragfähiges Vorhaben zu machen.
St. Pauli-Code in die Tonne getreten
Ein Projekt mit ausschließlich geförderten Wohnungen, mit Gemeinschaftsflächen, und einem kompletten Gebäude nur für die Kreativwirtschaft mitten in der Stadt abzusichern – das sei auch für Hamburg außergewöhnlich. „Nach jahrelangem Stillstand wurde damit endlich eine gangbare Lösung gefunden, die weiten Teilen der Bevölkerung zugutekommt“, schreibt die Behörde.
„Es darf nicht sein, dass der Senat den St. Pauli-Code im Profitinteresse des Investors Quantum einfach in die Tonne tritt“, kritisiert dagegen Marco Hosemann von der Linksfraktion. Das schadet auch dem Vertrauen in Politik und Verwaltung und steht im Widerspruch zu allem, was SPD und Grüne zu Bürgerbeteiligung in ihren Koalitionsvertrag geschrieben haben. Die Stadtentwicklungsbehörde äußerte sich zu diesem Vorwurf nicht.
Fazit der Linken: „Das Paloma-Viertel hätte zu einem Ort für alle werden können – nun werden austauschbare Gebäude ohne Bezug zum Stadtteil und Nutzungen für die Nachbarschaft kommen, so wie sie SAGA und Investoren auch andernorts bauen.“
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