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Hamburger Musikerin RosaceaeSich den Kampfpanzer aneignen

Keuchen, Bimmeln und Knistern: Das Album „Efia“ der jungen Hamburger Ambient-Produzentin Rosaceae verstört und betört gleichermaßen.

Ambient mal nicht als Wohlfühlklangtapete: Rosaceae Foto: Katja Ruge

Die US-Science-Fiction-Autorin Ursula K. Le Guin hat einmal beschrieben, wie sie die Felder Technologie und Wissenschaft zur „kulturellen Tragetasche“ umdefiniert hat, „vollgepackt mit Raumschiffen, die Pannen haben, Missionen, die scheitern und Leuten, die nichts verstehen“. Le Guin bewirkt dadurch, dass Technologie und Wissenschaft in den Plots ihrer Romane nicht mehr nur Herrschaftsin­stru­­mente sind. Jenseits von apokalyptischen Settings hat Science-Fiction bei Le Guin großen künstlerischen Freiraum, es wird zum „realistischen Genre“.

Etwas Ähnliches versucht die Hamburger Produzentin Rosaceae mit Ambient, einem Elektronikstil, der seit seinem Auftauchen Mitte der 1970er immer Gefahr lief, zur meditativen Klangwolke zu werden. Anstatt Geräusche der Umwelt mitaufzunehmen, schottete sich Ambient immer weiter im Wohlgefühl dagegen ab.

Die Musik von Rosaceae lebt dagegen maßgeblich vom Bezug zum Außen, das in mächtigen Klängen in den acht Tracks ihres neuen Albums „Efia“ auftaucht: Ob das Bremsenquietschen eines Leopard-2-Panzers, der charakteristische Telekom-Klingelton, oder das Sample einer anonymen Stimme, die „Zugabe“ fordert, dieses Schaben und Keuchen, Bimmeln und Knistern macht der Musik schwer zu schaffen.

Geräusche aus der Alltagswelt

Wie die junge Hamburger Künstlerin die Geräusche aus der Alltagswelt einsetzt, ist spannend. Weil sie die außermusikalischen Klangelemente durch klug arrangierte und sorgfältig sequenzierte Tracks entlang der Melodien und Loops nicht nur wie Marker einsetzt, sondern auch musikalisch gelten lässt.

Rosaceae

Rosaceae: „Efia“ (Pudel Produkte/Word&Sound)

„Mein wichtigstes Instrument ist die Wahrnehmung“, erklärt Rosaceae der taz, „alles andere macht einfach nur Klang, den nehme ich auf und forme Melodien mit Computer und Klavier. Meine Wahrnehmung ist die Grundlage, das Fundament. Mit den Tönen des Klaviers baue ich die Wände und mit den Geräuschen einer Alufolie baue ich zum Beispiel das Dach. Den Computer brauche ich, um den Beton zu mischen.“

Rosaceae möchte ihren bürgerlichen Namen nicht in der Zeitung lesen. Ihren Künstlernamen Rosaceae bezieht sie vom lateinischen Begriff der Familie der Rosengewächse. Rosaceae ist auch der Name einer chronischen Hauterkrankung. „Efia“ ist Rosaceaes zweites Album, nach „Nadia’s Escape“ (2019), und nun ist sie Teil der Familie des Hamburger Pudelclubs, auf dessen Label „Efia“ veröffentlicht wird.

Opfer des Syrienkriegs

Ausgangspunkt von Rosaceaes Überlegungen zu „Efia“ war ein Satz, den der britische Theoretiker Mark Fisher sinnbildlich für einen Übergangszustand nahm, den er „Hauntology“ nannte: „There is no time here, not anymore.“ Von Derrida leitete Fisher das spukhafte Wesen des Kapitalismus ab, nach dem Untergang des real existierenden Sozialismus 1989 spukten die Geister des Kommunismus weiter in der Geschichte herum. Ihnen nachzutrauern, erschien Fisher vergeblich.

In Rosaceaes finalem Track „Çiya“ wiederholt eine Stimme „There is no time here, not anymore“, sie wiederholt den Satz nicht nur, sie sagt auch, „soll ich ihn wiederholen?“ In „Efia“ tauchen Geister als Opfer des Syrienkriegs auf. Entstanden ursprünglich als Auftragsarbeit für das Festival „Noisexistance“, hat Rosaceae die Erfahrungen einer traumatisierten kurdischen Flüchtenden aus Syrien mit in die Klangkulisse gearbeitet.

In dem Track „Six ­Years Old Child“ wiederholt eine durch Effekte unkenntlich gemachte brüchige Stimme Fragen wie „Tell me, who is my murderer“, „How much death suits you“. Dazu ist das Pumpen eines Herzens zu hören, schwere Atmung und der Gesang bei einer kurdischen Hochzeit. Impressionistische Pianocluster prallen auf schroffen Panzerlärm, auch wenn es noch so knallt, es bleibt Musik.

Waffen-Exportschlager

„Die Leopard-2-Panzer verkauft Deutschland an die Türkei und die bringt damit KurdInnen um. Der Exportschlager ist dieses Jahr 40 Jahre alt geworden. Da dachte ich mir, dass kann ich doch mal in meinem Album erwähnen. Ich eigne mir etwas an, was sonst Menschen vernichtet.“

Die deutsche Stimme der Kurdin Efia wird von der Künstlerin Jesseline Preach gesprochen: In „Çiya“ schildert sie zunächst einen Traum von Efia, in dem ihr verschwundener Vater wieder lebendig wird. Gegen Ende des Albums erzählt Preach von ihrer eigenen Großmutter. Rosaceaes Musik spart das Leid nicht aus, sie ist voller Ängste und Zweifel, ihr Ambientsound verunsichert.

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