Hamburger Kulturfestival „Easterfield“: Erholung von der Pandemie

Musik und Film, Performances, ein Skulpturenpark und Gespräche zu Themen, die die Stadt bewegen: das interdisziplinäre „Easterfield“-Festival.

Ein weißer Stofftiger auf einem Ast

Wer sich nah genug rantraut, sieht seine Tränen: Gerrit Frohne Brinkmanns „Crying Tiger“ (2021) Foto: aldi

HAMBURG taz | Die Osterfeldstraße in Hamburg ist laut, aber es gibt noch lautere, stärker befahrene in der Gegend. Die Gegend, das ist der äußerste Ausläufer von Eppendorf, eines Stadtteils also, den die örtliche Boulevardpresse selten ohne Zusätze wie „fein“ oder „nobel“ oder „schick“ zu nennen hinbekommt. Aber hier im Eppendorfer Norden – ehe man sich versieht, steht man auch schon im ganz anders beleumundeten Lokstedt – fühlt sich das damit gemeinte Großbürgerliche, Societymeldungstaugliche doch recht weit weg an.

Dafür dürfte die Gegend sein, wovon die Immobilienbranche träumt, in so einer stetig teurer werdenden, mithin Rendite versprechenden Stadt. Denn hier, noch längst nicht am wirklichen Rand des Hafenstadtstaates, gibt es reichlich Potenzial zum lukrativen Nachverdichten: locker und gerade mal eingeschossig bebaute oder gar ganz brach liegende Grundstücke; Gewerbe war hier ansässig und irgendwann auch mal Industrie.

Manche Flächen sind im Lauf der Zeit neu bebaut worden. Oder in die bestehenden Gebäude sind neue Mieter_innen eingezogen, aus neuen, wie man so sagt: wissensbasierten, aus kreativen Branchen; Agenturen und derlei. Den Boden bereitet hat dafür auch die Kunst, könnte man sagen: In einem schönen Gebäude aus Back- und Glasbausteinen war hier bis vor rund zwei Jahren eine traditionsreiche Galerie ansässig. Osterfeldstraße 6, das war die vorerst letzte Adresse der Galerie Levy, die insgesamt fünf Jahrzehnte lang von Hamburg aus mit Kunst handelte, insbesondere der Pop-Art verwandter.

Heute hat in dem Bau, eben, unter anderem eine Agentur für „emotional brand building“ ihren Sitz, aber auch ein „Creative Hub für Strategien, Konzeption und Umsetzung kreativer Projekte in der Lifestylebranche“. Dessen Gründer Florian Berger wiederum war vor ein paar Jahren Vorstandsmitglied des traditionsreichen Hamburger Kunstvereins, und so erklärt sich, dass das Grundstück an der Osterfeldstraße nun Schauplatz des durchaus ambitionierten „Easterfield“-Festivals wird, das Berger zusammen mit Kunstvereins­chefin Bettina Steinbrügge konzipiert und angeschoben hat: Vom 30. Juli bis zum 15. August sollen „die Künste der Stadt Hamburg“ in ihrer Vielfalt gefeiert werden, und das, so der Anspruch, so interdisziplinär, wie den Pandemieverhältnissen angemessen, nämlich unter freiem Himmel.

Kunst im Garten

So wie zu Zeiten des Galeriebetriebs stehen und hängen nun wieder Kunstobjekte zwischen dem alten Baumbestand, die aber niemand kaufen soll: Karo Akpokiere, in Hamburg und dem nigerianischen Lagos wirkend, hat ein vermenschlichtes Europa einen Brief an Afrika schreiben lassen, in dem der vermeintlich so viel fortschrittlichere Kontinent den ach so rückständigen bittet, ihm beizubringen, „offen, selbstlos und gemeinschaftsorientiert“ zu sein. Erst mal ganz anders funktioniert Kerstin Bruchhäusers „Club Tropicana“, ebenfalls flächig an einer Hausfassade angebracht: Zwei mal sechs Meter Polyesterstoff, geradezu rhythmisch angeordnete Streifen in Neongelb und -pink seien eine Hommage an den Sommer, sagt die Hamburgerin – und ganz spezifisch an das Musikvideo zu dem den Titel inspirierenden Wham-Stück aus dem Jahr 1983

Das ist nun in Hamburg nicht zu sehen, wer sich aber die Mühe macht, findet darin nicht nur Streifen und Farbschema wieder, sondern stößt auch wieder auf, sagen wir: eine Variation aufs Thema Europa und das exotisierte Andere.

„Easterfield“-Festival: 30./31. 7., 5./6. 8., 11./12. 8,. Skulpturengarten bis 15. 8., Programm und alle Infos: www.kunstverein.de

Eine Wand ganz hinten auf dem Grundstück haben die Hamburg/Berliner Graffitikünstlerinnen Goodgurlsgang besprüht, mit einem thematisch durchaus aktuellen Triptychon: Von links nach rechts geht es da ums sommerliche Angestarrtwerden aus Männeraugen, um depressive Tage und, schließlich, die Unfreiheit von Brustwarzen. Ferner zu sehen sind unter anderem standortspezifische Hinweisschilder von Ceal Floyer, Axel Loytveds scheinbar unnütze Mülleimer und Gerrit Frohne-Brinkmanns weinender, weißer Flauschtiger.

Bildende Kunst von mehr als einem Dutzend Urheber_innen ist eine der fünf Facetten des „Easterfield“-Programms, und die Objekte im Freien sind auch durchgängig anzusehen. Darüber hinaus werden insgesamt sechs Tage mit anderem Programm bespielt: Dann gibt es jeweils eine Performance und einen Film respektive ein Kurzfilmprogramm zu sehen, so erfährt am 6. August etwa Sven O. Hills schon 2019 abgedrehte, dann aber unter die Corona-Räder gekommene Krimi­komödie „Coup“ eine Art späte Hamburg-Premiere.

Ebenfalls Bestandteil dieser Tage sind Konzerte, unter anderem von Andreas Dorau (31. Juli), der Hamburger Soulsängerin Miu (5. August) und Michela Melián (11. August). Die „Talks“, Gesprächsrunden, schließlich widmen sich Themen wie Rassismus, dem Wert von Ideen, der „gerechten Vergütung von Streams“ – oder auch der (Hamburger) Bodenfrage: „Räume, Kunst & Real Estate“ ist diese Runde am 31. Juli überschrieben, moderiert vom Zeit-Autor und Stadtentwicklungsaktivisten Christoph Twickel; womit sich auch ein Kreis schließt zur möglichen Zukunft der Brachen und Beinahe-Brachen.

Mögen Steinbrügge und Berger auch – streng sprichwörtlich – die Eltern des Ganzen sein: Beteiligt am Zustandekommen, das betonen beide, waren viele andere. Etliche Hamburger Institutionen und Einzelpersonen, von Museen und Galerien über das Abaton-Programmkino bis hin zur Band Deichkind haben in nur fünf Wochen das Programm zusammengestellt und realisiert; ohne jeden Konflikt, so Berger auf Nachfrage – auch das ist vielleicht bemerkenswert in diesen oft so überhitzt scheinenden Zeiten.

Nicht möglich gewesen wäre das „Easterfield“ ohne öffentliche Förderung, auch das war Steinbrügge vorab wichtig – genauer den Töpfen, die die Stadt zur Krisenbewältigung der Kulturbranche stellt. Wer als Veranstalter_in etwa Teil des derzeitigen „Kultursommers“ sein wollte, musste maßgeblich Hamburger_innen beteiligen – das tue das Festival sogar zu 90 Prozent, sagt Steinbrügge, was eine Übererfüllung der Maßgabe wäre. Und für den Anspruch, gerade ansonsten kulturell unterversorgte Teile der Stadt zu berücksichtigen, ist sie ein besonders gutes Beispiel, diese schattig-grüne Ausflugsdestination an der Osterfeldstraße.

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