Hamburger Klimaschutz-Gesetz: Hamburg trippelt gen Klimaschutz
Hamburg setzt sich neue ambitionierte Klimaziele. Dass die dafür vorgesehenen Maßnahmen ausreichen, halten Umweltverbände für utopisch.
Viele Einzelmaßnahmen sollen helfen, die Klimaziele zu erreichen. So wird etwa ab dem kommenden Jahr erstmals auch für Bestandsgebäude eine Photovoltaik-Pflicht gelten. Wer sein Dach in größerem Umfang sanieren will oder reparieren muss, muss mindestens 30 Prozent der Fläche mit Solaranlagen versehen. Die Dächer von Neu- wie von Altbauten sollen von 2027 sowohl begrünt als auch mit Solaranlagen bestückt werden. Wenn künftig in größerem Umfang neue Parkplätze entstehen, müssen diese überdacht werden, sodass dort ebenfalls Solarenergie erzeugt werden kann.
Zu den Maßnahmen, die bis 2030 am meisten CO2 einsparen sollen, gehört der Kohleausstieg in der Fernwärme, den Kerstan auf einem guten Weg sieht. Hinzu sollen 80 Prozent der Verkehrswege dann mit dem ÖPNV, Fahrrad oder zu Fuß zurückgelegt werden.
Hinsichtlich des Gebäudesektors will Kerstan bis 2030 die jährliche energetische Sanierungsrate von 1 auf 1,5 Prozent steigern. „Das sind die drei großen Stellschrauben, an denen wir drehen können“, sagte er am Dienstag. Zugleich machte er klar, dass die Hamburger Klimaziele nur erreicht werden, wenn der Umbau der Energieversorgung auf Bundesebene gelingt, sich also der Anteil erneuerbarer Energien bis Ende des Jahrzehnts wie vorgesehen verdoppelt.
Zwischenziele gibt es nicht
Malte Siegert, Vorsitzender des Nabu Hamburg, hält die Maßnahmen „in der Summe kaum dazu geeignet, die Auswirkungen des Klimawandels abzumildern“. An größere, wirksamere Maßnahmen habe sich der Hamburger Senat nicht herangetraut: „Anstatt überhaupt noch neue KFZ-Parkmöglichkeiten zu schaffen, sollten vor allem bestehende Parkplätze etwa von Supermärkten oder schlecht genutzten Hafenflächen mit einer Photovoltaik-Pflicht versehen werden“, sagt Siegert. Und der natürliche Klimaschutz, etwa durch Renaturierung von Gewässern, Wäldern und Mooren, komme im Klimaschutzgesetz viel zu kurz.
Ähnlich kritisch ist der Umweltverband BUND. Auch er hält die Maßnahmen für nicht weitreichend genug. Es sei utopisch zu glauben, dass damit die anvisierten Ziele erreicht werden, so die Vorsitzende des BUND Hamburg, Sabine Sommer. Besonders vermisst Sommer eine Festlegung von Zwischenzielen. Es müsse jährlich überprüft werden, ob Hamburg mit den Maßnahmen den CO2-Reduktionszielen konsequent näherkommt.
Tatsächlich hat Hamburg schon jetzt ein Problem mit der Datenlage: Obwohl das Jahr 2023 weit fortgeschritten ist, liegen noch immer erst die Zahlen zu den CO2-Emissionen für 2021 vor. Bringen Maßnahmen nicht den gewünschten Effekt, wird das also erst mit Verzögerung bekannt. Angesichts der kurzen Zeit bis zum 70-Prozent-Ziel ist kaum noch Zeit, um umzusteuern.
Auch die Opposition in der Bürgerschaft zeigt sich wenig beeindruckt von den Plänen des Umweltsenators. Stephan Jersch, umweltpolitischer Sprecher der Linksfraktion, bemängelt, dass für die anvisierten Ziele bislang keine adäquaten finanziellen Mittel bereitgestellt werden. „So muss den Menschen auch die Angst vor finanziellen Belastungen genommen werden“, sagt Jersch.
Umweltsenator hält die Maßnahmen selbst für unzureichend
Auch glaubt die Linksfraktion nicht, dass der rot-grüne Senat eine grundlegende Verkehrswende weg vom Autoverkehr betreiben werde. Die CDU-Fraktion sieht jegliche Auflagen für die Wirtschaft und die Bürger:innen als Bedrohung.
Dass die Kritik an den Maßnahmen groß ist, überrascht Kerstan nicht. Er hält sie selbst nicht für ausreichend: „Das ist nicht alles, was klimapolitisch nötig ist.“ Mehr sei jedoch angesichts starker Widerstände beim Klimaschutz für den Senat nicht möglich gewesen. Wohl auch deshalb will Hamburg Maßnahmen zur Anpassung an das Klima verstärken. Da sich diese Aufgabe durch bereits spürbare Folgen des Klimawandels stark vergrößert habe, will Kerstan noch in diesem Jahr ein „Extra-Paket schnüren“.
Bis dahin soll auch die Bürgerschaft das vom Senat beschlossene neue Klimaschutzgesetz samt Klimaplan beschlossen haben, sodass es ab dem 1. Januar 2024 gilt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles