piwik no script img

Hamburger Festival „Treffen“Einmal Paralleluniversum und zurück

Die Hamburger Indie-Labels kritisieren, dass sie auf dem Reeperbahn Festival zu wenig vorkommen. Also haben sie ein Alternativfestival organisiert.

Empfang am Nachmittag vor dem abendlichen Konzert: Freun­d*in­nen des Treffens treffen sich vor dem Club Komet auf der Reeperbahn Foto: Lino Doepner

Wo geht’s hier zum Konzert? Wirklich groß ist der Club namens „Komet“ nicht: ein Altbau in einer Parallelstraße zur Reeperbahn, unsaniert, mit einer Patina aus Bier, Nikotin und Stickern, die sich wie eine Kapsel um die Be­su­che­r*in­nen legt. Die Fotos an der Wand sind vergilbt, der Putz blättert, eine lange Bar, ein Flipper und daneben ein zugestickerter Monolith, der sich beim zweiten Blick als Kicker erweist. Und wo soll hier ein Konzert sein?

Die Antwort ist: Im Keller gibt es zwischen den zwei Klos eine schwere Tür. Wer davor steht, denkt an das Getränkelager oder den Heizungsraum. Die Tür ist zu, aber dahinter ist es laut. Öffnet man sie, tut sich ein hutschachtelgroßer Raum auf, gerammelt voll mit Menschen. Die Bühne ist so klein, dass die Bassistin der Band Schnuppe in einer Nische am Bühnenrand verschwindet. Es ist ein Konzert des Festivals „Treffen“, das an diesem Abend im Komet stattfindet. Underground soll es laut Ankündigung sein. Stimmt.

Drei Gehminuten davon entfernt wälzt sich ein Nightliner an der Davidwache vorbei, ein Riesenbus mit der Aufschrift „Reeperbahn Festival“. Auf dem Spielbudenplatz ist „Korea Spotlight“, das heißt, es spielen Bands aus Korea auf einer riesigen Freiluft-Bühne mit LED-Lightshow und Getränke-Werbung.

Menschen tragen Festivalpässe in Klarsichtfolien um ihren Hals und laufen über den Platz, irgendwohin, wo gerade ein Panel, ein Konzert oder ein Empfang beginnt. Das ist das Reeperbahn Festival: ein Mega-Event. 450 Konzerte in 75 Spielstätten, dazu 250 Vorträge, Diskussionen und sonstiges gab es in diesem Jahr.

Wird vom Hamburg Label Stickman verlegt: Angad Berar (links) und Band beim konzertieren im Hafenklang Foto: Klaus Irler

Im Komet trägt niemand einen Festivalpass. Die Leute hoppen auch nicht von Veranstaltung zu Veranstaltung: Die 24 Konzerte und Lesungen verteilen sich auf sieben Clubs, die mitunter weit voneinander entfernt sind. Die MS Stubnitz ist dabei, ein Club in einem Schiff an den Elbbrücken, oder das Hafenklang, ein Club im Fischereihafen. Beides berühmte Läden. Beide nicht dabei beim Reeperbahn Festival, sondern beim Treffen – der Alternativveranstaltung der lokalen Hamburger Szene.

Dass eine solche nötig ist, das finden die Initiatoren schon länger. „Die Präsentationsmöglichkeiten für die Hamburger Szene sind beim Reeperbahn Festival nicht so gegeben, wie es wünschenswert ist“, sagt Gunther Buskies vom Label Tapete Records. Also haben sich 14 Hamburger Independent Labels zusammengetan, um mit dem Treffen ihr eigenes Festival zu veranstalten. Eine Gegenveranstaltung also? „Eine ergänzende, alternative Veranstaltung“, sagt Buskies. Denn das Reeperbahn Festival sei schon gut für Hamburg. Nur die lokalen Labels würden auf der Strecke bleiben.

Das Reeperbahn Festival ist seit seiner Gründung 2006 in Richtung musikwirtschaftliche Fachmesse gewachsen und hat dabei den Anteil der Showcases immer weiter ausgebaut. Showcase bedeutet, dass Agenturen aus aller Welt Auftritte für ihre Bands buchen, um sie auf dem Festival präsentieren zu können. Im Klartext: Wer seine Bands zeigen will, muss zahlen. Dazu sind viele kleine Hamburger Labels weder bereit noch in der Lage.

Beim Reeperbahn Festival ist das Unbehagen der Indie-Labels bekannt. „Nachvollziehbar und legitim“, nennt Festivalleiter Detlef Schwarte deren Kritik. Allerdings sei das Festival eben kein Festival für die Hamburger Szene, sondern gefördert durch Bundesmittel. „Unser Auftrag ist, den Musikstandort Deutschland zu stärken“, sagt Schwarte. Trotzdem wolle man gemeinsam mit der Hamburger Szene überlegen, wie sich die Situation in Zukunft verbessern ließe.

Gestaltungsspielraum vorhanden

Gestaltungsspielraum hat das Reeperbahn Festival. Dieses Jahr kamen von den insgesamt 400 Bands rund 200 über Agenturen, die anderen 200 seien vom eigenen Booking-Team engagiert worden, sagt Schwarte. Unter den selbst engagierten 200 seien rund 170 Nachwuchsbands gewesen, davon wiederum 15 aus Hamburg. „Das ist gar keine so schlechte Quote“, findet Schwarte. Für die Hamburger Labels allerdings ist die Präsenz ihrer Bands entscheidend. Und die kommen nicht zwangsläufig aus Hamburg. Schnuppe zum Beispiel ist eine Band aus Köln, wird aber hier verlegt.

Wie also weiter mit dem Treffen und dem Reeperbahn Festival? Für Kon­zert­gän­ge­r*in­nen wäre schön, wenn es das Treffen weiterhin gibt. So ein Label-Abend mit zwei Konzerten ist finanziell und logistisch ein angenehm niedrigschwelliger Zugang zum Live-Erlebnis. Zumal, wenn man ihn ergänzt durch einen Besuch der Reeperbahn Festival-­Konzerte am Spielbudenplatz mit freiem Eintritt. Denn auch da passieren interessante Sachen. Die Koreaner „Wah Wah Wah“ zum Beispiel machen dort Krautrock mit Querflöte. Frisch aus dem Underground Seouls. Heißt es jedenfalls.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare