Hamburger Deichtorhallen: Erschlagen vom Übermaß der Fragen
Die Ausstellung „Survival in the 21st Century“ will den Informations-Dschungel der Gegenwart lichten, sie reproduziert ihn aber bloß apokalyptisch.
Die Säulen von Palmyra bröckeln vor unseren Augen. Nur, dass der 2.000 Jahre alte syrische Baal-Tempel diesmal nicht, wie 2015, vom IS zerstört wird, sondern von selbst zerfällt, materialbedingt. Aus Stroh, Lehm und Sand hat der Künstler Abbas Akhavan die Säulen in der Hamburger Ausstellung „Survival in the 21st Century“ gefertigt.
Es ist eine Anspielung auf die 3D-Nachbauten des Tempels 2016 in London und New York. Deren Rechtmäßigkeit und Nachhaltigkeit stellt seine Arbeit infrage. Wobei – ökologisch nachhaltig ist dieses Kunstwerk unbedingt. Nach Ende der Ausstellung wird es zerfallen sein. Die Reste einzusammeln, gar zu restaurieren, liefe dem Willen des Künstlers zuwider.
Aufgebaut sind die Säulen auf grün fluoreszierender Folie. Die bildet als künstliches Digital-Ambiente einen krassen Gegensatz zum Material der Säulen. Und doch wird das Fluoreszieren möglich nur dank Europium, das bald auch am Meeresgrund bei Papua-Neuguinea abgebaut werden soll. Diese Unterwasserlandschaft wird den menschlichen Eingriff so wenig überleben wie Palmyra, wie der Mensch.
Das ist das Thema der Schau in den Deichtorhallen Hamburg. Das Wort „Survival“ wurde wegen des russischen Überfalls auf die Ukraine durchgestrichen. Auch generell ist unklar, ob die Menschheit den Klimawandel überlebt und ob das dem Planeten dienlich wäre. Daher haben die Kuratoren Georg Diez und Nicolas Schafhausen eine multimediale, vielstimmige Sammlung aus rund 40 internationalen, auch indigenen und queeren Positionen, Fragen, Deutungen zusammengebracht, die sich jeder Stringenz entzieht.
Hamburger Ausstellung entnebelt nicht
Das irritiert, beziehen sich die Kuratoren doch explizit und gern auf den britischen Technologiekritiker, Aktivisten und Künstler James Bridle. Der schrieb schon 2018 im Buch „New Dark Age“: „Unser Unvermögen, eine komplexe Welt zu begreifen, führt zur Forderung nach immer mehr Informationen, was unser Verständnis nur noch weiter vernebelt“.
Die Hamburger Ausstellung entnebelt nicht. Sie potenziert stattdessen das Angebot. Aus jeder Ecke tönt eine neue Frage: Was ist Gerechtigkeit, was Aktivismus, was ein Werkzeug, was Intelligenz, was ein Atom? Diagramme von Liam Gillick an den Wänden erzählen gewollt Kryptisches über Menschen, Mäuse, Waren, man verfängt sich im Informationsdschungel.
Dabei gibt es durchaus Lichtblicke: Da steht zum Beispiel Bridles „Aegina Battery“, eine selbst gebaute Zitronenbatterie, daneben seine selbst gebaute Windmühle aus Holz und Leinen: Bridle handelt lieber, als auf nachhaltige Politik zu warten.
Er fordert, Intelligenz neu zu denken als Fähigkeit zur Kooperation mit der Natur im Gegensatz zum Ausbeuten von Ressourcen. Diesen Ideen durchaus verwandt regt die kanadische Videokünstlerin Panteha Abareshis mit ihren Arbeiten dazu an, Körper neu zu lernen, ihre Grenzen zur Welt zu hinterfragen.
Resümee bekannter Missstände
Jenseits davon gerät die Ausstellung oft zum Resümee bekannter Missstände. Leon Kahanes Fotos kalter Frontex-Büros verweisen auf illegale Pushbacks Geflüchteter.
Die Gruppe „New Red Order“ von Angehörigen der nordamerikanischen Ojibway und Tlingit-Völker hat eine Installation im Disneyland-Stil aufgebaut, in der ein riesiger Plüschbaum mit einem Plüsch-Eichhorn über den Raub des Landes durch Kanada und die USA redet, während das dazu gestellte Schild „Free Palestine“ das eigene Anliegen eher schmälert. Die Deichtorhallen-Kuratoren haben daneben geschrieben, dass dies nicht ihre Haltung spiegele.
Subtiler kommen Paul Kollings Leuchtkästen mit winzigen Luftaufnahmen der „Neuen Seidenstraße“ daher. Sie zeigen – er ortete sie durch am Zug von Zhenghou nach Hamburg angebrachte Peilsender – Umerziehungslager für Uiguren. Und Emmanuel Van de Auwera zeigt, leicht verfremdet, das Internet-Video eines Bergarbeiters aus dem chinesischen Bayan Obo in der Inneren Mongolei. Dort werden in einer Enklave aus Wohlstandsversprechen, Arbeit und Kontrolle großflächig seltene Erden abgebaut.
All diese Weltzerstörung
Ganz ähnliche Fotos und Videos waren kürzlich erst in der Ausstellung „Man & Mining“ in Hamburgs Museum der Arbeit zu sehen. Auch aus chinesischem radioaktivem Abfall gefertigte Vasen des Kollektivs „Unknown Fields“ gab es da. In den Deichtorhallen steht nun Trevor Pagans Würfel aus Atom-Abfall von Fukushima und Julian Charrières Kokosnüsse von den – durch Atombombentests der USA unbewohnbaren – Bikini-Atollen. Die sind wegen der Strahlung zwar mit Blei ummantelt. Aber sie ähneln aufgeschichteten Kanonenkugeln.
Welche menschlichen Eigenschaften all dieser Weltzerstörung zugrunde liegen, ist bekannt. Eine Installation in der hintersten Ecke der Deichtorhallen findet ein poetisches Bild: Da fährt ein kleiner schwarzer „Meteorit“ von Charles Stankievech auf schwarzem Sand.
Es wirkt, als zerbrösele der Meteorit durch genau dieses Kreisen um sich selbst. Und man schaut und hofft, dass er mal ausbricht aus dem Schema. Aber er tut es nicht. Ein treffendes Sinnbild der Menschheit, die in immer gleichen Denk und Verhaltensmustern nach Auswegen aus selbst erzeugten Problemen sucht.
Ausstellung „Survival in the 21st Century“, Deichtorhallen, Hamburg. Bis 5. 11.
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