Hamburger Cum-Ex-Steuerskandal: Zum Jagen getragen
Die Aussage der Kölner Staatsanwältin Brorhilker im Fall der Pivatbank MM Warburg rückt die Hamburger Steuerverwaltung in ein schiefes Licht.
Der Ausschuss versucht, die Frage zu klären, ob der damalige Hamburger Bürgermeister und designierte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sich für eine Verschonung der Bank stark gemacht hat.
Bei den Steuerforderungen geht es um illegale Cum-Ex-Geschäfte, bei denen sich Banken und Investoren im großen Stil Steuern erstatten ließen, die sie gar nicht gezahlt hatten. Der Betrag an Steuergeld, der auf diese Weise gestohlen wurde, dürfte sich auf 150 Milliarden Euro in 15 Ländern belaufen, schreibt der Journalist Oliver Schröm. Er verweist dabei auf das Zwischenergebnis eines Recherchenetzwerks, das die sogenannten Cum-Ex-Files auswertet, ein mittlerweile 200.000 Seiten starkes Datenkonvolut zum Steuerraub.
Die Staatsanwältin Brorhilker ist seit 2013 mit dem Thema Cum-Ex befasst. In Hamburg machte sie von sich reden, als sie Anfang 2016 eine Durchsuchung der Warburg-Bank in der Hamburger Innenstadt anordnete. Der Verdacht gegen die Bank habe sich aus der Auswertung von Kommunikationsdaten der Kanzlei des Steuerrechtsanwalts Hanno Berger ergeben, sagte Brorhilker. Berger, der sich in die Schweiz abgesetzt hat, ist die schillerndste Figur im Geschäft mit dem Steuerraub.
Von wegen nicht ausermittelt
Bei der Vernehmung Brohilkers ging es unter anderem um ein Treffen im Herbst 2017 im Bundesfinanzministerium, zu dem Verteter der nordrhein-westfälischen sowie der hamburgischen Finanzverwaltung und Brorhilker in Begleitung von Kollegen kamen. Wie bereits 2016 wollten die Hamburger die erstatteten Kapialertragsteuern nicht zurückfordern.
Das Argument der Hamburger, wie es auch im Ausschuss mehrfach vorgetragen wurde: Der Sachverhalt sei nicht ausermittelt. Es lasse sich keine Lieferkette rekonstruieren, also nicht nachweisen wie die Aktien, für die angeblich Kapitalertragssteuer bezahlt worden war, von Hand zu Hand gingen. Allerdings war es ja das Geschäftsmodell der Cum-Ex-Betrügereien, zu verschleiern, wer wann die Aktien besaß.
Die Vertreter der nordrhein-westfälischen Finanzverwaltung hätten argumentiert, dass sich das Geld sehr wohl zurückfordern lasse, sagte Brorhilker. Ihre eigene Aufgabe sei es gewesen, Ermittlungsergebnisse vorzustellen. Anders als andere Zeugen schilderte Brorhilker das Gespräch als sachlich. Es habe „ein ruhiger Gesprächston“ geherrscht.
„Meine Intention war, Sicherheit zu vermitteln“, sagte Brorhilker. Ein Kronzeuge der Staatsanwaltschaft habe zu diesem Zeitpunkt bereits detailliert ausgesagt gehabt, wie der Steuerdiebstahl funktionierte und den nächsten habe die Staatsanwaltschaft schon an der Angel gehabt. „Wenn man zwei Täter hat, die gestehen, ist man auf der sicheren Seite“, sagte Brorhilker. Sie habe dargestellt, dass es deshalb gar nicht nötig sei, die Lieferketten zu ermitteln.
1.000 Seiten Anschauungsmaterial
Zu dieser Zeit lag auch ein 1.000-Seiten-Bericht der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft Deloitte vor, in dem Cum-Ex-Transaktionen detailliert dargestellt wurden. Darin habe sich auch „wirklich markante Kommunikation“ gefunden, sagte Brorhilker, etwa eine Mail, in der erörtert worden sei, ob sich die Cum-Ex-Abzocke wohl auch auf die USA ausdehnen lasse.
Sie habe sich über die Unsicherheit der Hamburger gewundert, sagte Brorhilker. Immerhin hätten die Hamburger Finanzbeamten ja 2014 schon ein Cum-Ex-Verfahren erfolgreich vor Gericht durchgefochten – ohne dass, wie im zur Rede stehenden Fall, sogar noch staatsanwaltschaftliche Ermittlungen liefen.
Brorhilker verwies auf die vielen vorliegenden Indizien: riesige Transaktionsvolumina, hohe Abschläge für Vermittler wirtschaftlich unsinniger Geschäfte, Scheinrechnungen für Berater. Ein Zeuge habe ausgesagt, wie er einen anderen Händler bei der Warburg-Bank für so ein Geschäft unterboten habe. „Dass man da Zweifel hat, kann ich bis heute nicht nachvollziehen“, sagte Brorhilker. Stattdessen Lieferketten zu ermitteln, sei wenig aussichtsreich gewesen. „Das versprach, eine langwierige Angelegenheit zu werden“, sagte Brorhilker.
Die Konferenz beim Bundesfinanzministerium endete mit einer verbindlichen Weisung an die widerstrebenden Hamburger. Brorhilker erinnert das so: „Es fiel irgendwann der Satz: Machen Sie den Sack zu.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Sensationsfund Säbelzahntiger-Baby
Tiefkühlkatze aufgetaut