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Hamburg sperrt wieder wegErsatzhaftstrafen zu vollstrecken, ist ein Rückschritt

Kommentar von Robert Matthies

Alle, die Geldstrafen nicht zahlen können, müssen in Hamburg wieder in den Knast. Das ist ein fragwürdiges Instrument, das mehr schadet, als es nützt.

Ein halbes Jahr lang war Pause: Nun müssen alle, die ihre Geldstrafen nicht zahlen können, in Hamburg aber wieder in den Knast Foto: Christian Charisius/dpa

E in halbes Jahr lang war Pause, weil die Gefängnisse überfüllt waren. Seit Anfang Juni müssen Menschen, die ihre Geldstrafen nicht zahlen können, in Hamburg aber wieder in den Knast. Das geht aus der Antwort des Senats auf eine Anfrage des CDU-Bürgerschaftsabgeordneten Richard Seelmaecker hervor.

Die Justizbehörde hatte die Vollstreckung von Ersatzhaftstrafen im November unterbrochen beziehungsweise aufgeschoben. 517 Verurteilte mussten die Strafe laut Senat deshalb zunächst nicht antreten, bei 27 Verurteilten wurde die Vollstreckung unterbrochen. Allen sei ein Aufschub von sechs Monaten gewährt worden.

„Nach Ablauf der jeweiligen Fristen wird die Vollstreckung sukzessiv und nach Priorisierung der Verfahren durch die Staatsanwaltschaft nach dem zugrundeliegenden Delikt und der Person des Verurteilten wieder aufgenommen“, schreibt der Senat nun. Dabei geht er davon aus, dass so „mehr Betroffene die Ladung zum Haftantritt durch die Zahlung ihrer Geldstrafe abwenden“. Die Justizvollzugsanstalten böten außerdem allen Betroffenen an, ihre Ersatzfreiheitsstrafe durch gemeinnützige Arbeit zu tilgen.

Eine Frage der Gerechtigkeit

Aber die Wiederdurchsetzung des Instruments wirft grundlegende Fragen zu seiner Funktion auf – und zu seiner Gerechtigkeit. Die Ersatzhaftstrafe ist ein fragwürdiges Relikt, das mehr schadet, als es nützt. Denn Strafsysteme reproduzieren oft soziale Ungleichheiten, das zeigt kritische kriminologische Forschung. Ersatzfreiheitsstrafen sind ein Paradebeispiel: Sie treffen vor allem Menschen in prekären Lebenslagen, die Geldstrafen nicht zahlen können.

Ersatzhaftstrafen bestrafen Armut, nicht das Delikt selbst. Das Strafrecht fungiert hier als Instrument sozialer Kontrolle, das marginalisierte Gruppen weiter an den Rand drängt. Die Haft führt nicht zur Resozialisierung, sondern verschärft soziale Ausgrenzung und Stigmatisierung, etwa durch Arbeitsplatzverlust oder familiäre Zerwürfnisse.

Selten die gewünschte Abschreckung

Der Senat setzt darauf, dass die Drohung mit Haft mehr Verurteilte zur Zahlung ihrer Strafen bewegt. Doch auch hier zeigen kriminologische Studien, dass repressive Maßnahmen bei finanziell Schwachen selten die gewünschte Abschreckung erzielen. Wer kein Geld hat, kann auch unter Haftdrohung nicht zahlen. Die Ersatzfreiheitsstrafe wird so zu einer Strafe für Zahlungsunfähigkeit, nicht für das ursprüngliche Vergehen. Das untergräbt die Legitimität des Rechtsstaats, weil die Strafe an die soziale Lage der Verurteilten gekoppelt wird.

Und die Überlastung der Gefängnisse, die zur Aussetzung der Vollstreckung führte, ist kein temporäres Problem, sondern ein strukturelles. Wie die CDU nur mehr Haftplätze zu fordern, wird daran nichts ändern. Sinnvoll wäre eine Ausweitung von Programmen wie der gemeinnützigen Arbeit.

Der Senat erwähnt ein „Day-by-Day-Programm“, bleibt aber vage bei dessen Umsetzung. Kriminologische Forschung zeigt, dass solche Alternativen effektiver sind als Haftstrafen, wenn sie flächendeckend und niedrigschwellig angeboten werden. Das ist ein Ansatz, den Hamburg ausbauen muss.

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Redakteur taz nord
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6 Kommentare

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  • Tja, das ist Deutschland.



    Wer die Strafe fürs Schwarzfahren nicht bezahlen kann kommt in den Knast, und bei den skrupellosen Milliardenräubern Cum- ex & Co gibt es erst mal eine sehr hohe Chance, dass sie gar nicht geschnappt werden, und wenn doch gibt es ein kleines Sträfchen zur Bewährung.







    Oder, wie beim Hamburger Steuer - Millionenräuber Olearius wird das Verfahren wegen angeblich zu hohem Blutdruck des Herrn Olearius einfach eingestellt.



    Tja, und seine Kinder und Enkel können sich schon heute darauf freuen, dass sie die geraubten Millionen unter geschickter Umgehung der Erbschaftsteuer ohne lästige Abzüge einsacken dürfen.



    Man schätzt laut der früheren Staatsanwältin Frau Brorhilker 100Mrd€ jährlicher Schaden durch Steuerbetrug.

  • taz: *Ersatzhaftstrafen bestrafen Armut, nicht das Delikt selbst.*

    Natürlich oder ist schon einmal ein reicher Steuerhinterzieher in den Knast gesteckt worden? Nun ja, vielleicht zwei oder drei, aber die meisten lässt man doch ungeschoren.

    Aus einer Untersuchung der University of London im Auftrag der sozialdemokratischen S&D-Fraktion im EU-Parlament geht hervor, dass jedes Jahr (!!!) 125 Milliarden Euro Steuergelder in Deutschland hinterzogen werden. Aber gegen Steuerhinterzieher (Wirtschaftskriminelle) vorzugehen ist wohl zu schwierig, da hält man sich lieber an die Armen und steckt die ins Gefängnis. Außerdem muss man dann auch keine 'Behörde gegen Steuerhinterziehung' aufbauen, solange man mit armen Leuten ablenken kann, die oftmals wegen so einer schlimmen Straftat wie "Schwarzfahren" ins Gefängnis kommen.

    Im Übrigen hat man ja schon eine Behörde mit 100.000 Mitarbeitern, die sich um Bürgergeldempfänger "kümmern", damit die nicht irgendwo 5 Euro zu viel bekommen. Diese "Behörde" nennt sich Jobcenter und ist sicherlich auch viel wichtiger als eine Behörde ins Leben zu rufen, die "nur" dafür sorgen würde, dass dem Staat nicht jährlich 125.000.000.000 Euro "entschwinden".

  • Dann umgehen wir halt das Werkzeug der Geldstrafe und ahnden alles sofort mit Knast. Oder was wäre der Gegenvorschlag?

    Übrigens wird bei Verhängung von Geldstrafen im Allgemeinen das Einkommen des bestraften berücksichtigt, da Tagessätze verhängt werden und keine fixen Beträge. Dadurch sollen Menschen mit unterschiedlichen Einkommen im Verhältnis gleich bestraft werden.

    Und zu guter Letzt. Eine Strafe - auch eine Geldstrafe - fällt nicht vom Himmel sondern setzt bewusstes strafbares Handeln voraus.

    • @Jürgen Meyer:

      Ein mir persönlich bekannter Fall:



      Ein junger Mensch aus prekären Verhältnissen und ohne Schulabschluss hat nach vielen erfolglosen Versuchen in einer Nachbarstadt einen Termin für ein Bewerbungsgespräch erhalten, und stand im Dilemma, sich den Fahrschein nicht leisten zu können, die Arbeit aber zu brauchen - eben weil er sich nicht einmal den Fahrschein leisten könnte.



      Natürlich wurde er erwischt.



      Long Story short - er bekam den Job, verlor ihn aber wieder, weil er wegen mehrfachem Fahren ohne Fahrschein am Ende eine Woche absitzen musste.



      Die Haft kostet uns Steuerzahler übrigens ein Vielfaches des eigentlichen Bußgeldes - welches dann ja auch nicht gezahlt wird.

  • "Ersatzhaftstrafen bestrafen Armut, nicht das Delikt selbst."



    Naja. Aber irgendwo muss das Geld ja herkommen das unsere lieben Politker mit vollsten Händen zum Fenster raushauen. Ich will das hier garnicht nochmal aufwärmen und nur mal "Maskennotstand" und "PKW-Maut-Versehen" erwähnen.

    • @Bolzkopf:

      Thema leider verfehlt! Note 6, setzen.