Halal-Fleisch trotz Betäubung: Ein kurzes Gebet vor dem Tod

Zum Schlachthof von Rolf Piepmeier nahe Bremen kommen überwiegend Muslime. Sie sehen sein Fleisch als halal an, obwohl die Tiere betäubt werden.

Schlachter zieht ein abgezogenes Schaf an einer Leiste unter der Decke durch den Schlachtraum. Es hängt aus

Halal, obwohl das Schaf betäubt wurde: Tier in Elsflether Schlachthof Foto: Kathrin Doepner

ELSFLETH taz | Bereits beim Betreten des Ladens von Schlachthofbesitzer Rolf Piepmeier wird deutlich: Er versteckt nichts, alles ist sichtbar. An der Verkaufstheke stehen zwei Mitarbeiter und schneiden Fleisch klein, direkt hinter ihnen hängen die gehäuteten Körper der einstigen Lebewesen wie an einer Kleiderstange.

Unmittelbar neben ihnen befindet sich der Kühlraum, hier werden die Kadaver bei drei Grad Celsius frisch gehalten. Kunden warten bereits vor der Theke auf ihre Bestellung, rechts daneben befindet sich der Pausenraum, dahinter ist Piepmeiers Büro.

In weißem Kittel und mit mildem Lächeln sitzt Rolf Piepmeier an seinem Schreibtisch. Das Besondere an Piepmeiers Schlachthof in Elsfleth bei Bremen: Er hat überwiegend muslimische Kunden. Denn auch fast alle seine angestellten Schlachter sind gläubige Muslime, daher wird das Fleisch von seinen Kunden als halal, also als erlaubt, angesehen, obwohl es vorher betäubt wurde.

In Deutschland ist das betäubungslose Schlachten – das Schächten – nach dem Tierschutzgesetz verboten, nur mit Ausnahmeregelungen wird es gestattet.

Die Tiere wirken neugierig

Heute werden bei Piepmeier Lämmer und Bullen geschlachtet. Im Hinterhof ist ein Paddock, hier werden die Tiere vor dem Schlachten untergebracht. Im Paddock befinden sich noch zwölf der vier Monate alten Tiere, 70 kamen insgesamt frühmorgens an.

Sie wirken neugierig, aber eher menschenscheu. Beim Betreten des Gatters drängen sie sich in die Ecke, eins hustet laut. „Das tun wir alle mal, vielleicht hat es sich verschluckt“, meint Veterinär Holger Klükas. Er ist fünf Tage die Woche bei Piepmeier. Vier der Lämmer sind bereits in einer engen Schleuse: Sie sterben als nächstes.

Die Tiere kommen aus Wilhelmshaven, ihr Besitzer, Jochen Fass, ist auch da. Sie alle wiegen rund 50 Kilogramm, am Ende kommt etwa die Hälfte als Fleischprodukt heraus. Vorsichtig stupst mich eins der Lämmer mit der Schnauze an, ich halte ihm die Hand hin. Seine Haare kitzeln und es lässt sich am Kopf kraulen. Interessiert werde ich nun auch von den anderen Augenpaaren beäugt. Ein anderes Lamm lutscht an der Metallstange, das Tier beginnt an meinem Fingern zu knabbern.

Bei der Schlachtung ist der Veterinär nicht dabei

Jochen Fass ist Deichpfleger. Nichts schützt den Deich so gut wie Schafe. Dafür waren die Lämmer vier Monate lang da, jetzt sterben sie für den menschlichen Verzehr. Veterinär Klükas überprüft die Tiere vor der Schlachtung und begutachtet das Fleisch danach. Bei der Schlachtung selbst ist er nicht dabei, „die Schlachter können das ja“.

Bei der Lebendbeschau achtet er auf die Stimmung der Tiere, ob sie gestresst sind oder ob ihnen äußerlich etwas fehlt, etwa wenn ein Lamm zu mager ist. Auch den Schlachtabfall muss er später begutachten: Leber, Lunge und die anderen Organe müssen einwandfrei aussehen.

Die Tür zum Schlachtraum geht auf, die vier Schlachter sind bereit. Das erste Tier wird zur Öffnung gedrängt, dann werden die Strompads an die Schläfen gesetzt. 230 Volt schießen durch den jungen Schafskörper, er erschlafft am Boden. Das Tier ist betäubt. Ali Hiyazi, einer der Schlachter, zieht den leblos erscheinenden Körper in den Schlachtraum, mit seinem scharfen Schlachtmesser durchtrennt er in einem Schnitt Speiseröhre und Luftröhre sowie die Jugularvenen und die Karotisarterien.

Davor murmelt er die Worte „Bismillah, allahu akbar.“ Zu deutsch: „Im Namen Gottes, Gott ist groß.“ Ganz leise, denn es sind Ungläubige anwesend. Eines der Tiere zuckt stark, doch Klükas winkt ab: „Das sind nur Nerven und Muskelzuckungen. Die sind hinüber.“

Das Blut flutet den Boden und fließt in den Gitterabfluss, die Schlachter hängen die Tiere auf. Alles geht sehr schnell, die Schlachter sind Profis, das Töten ihr Beruf. Sie entfernen Hufe und Kopf, ziehen die Haut ab: Mit kräftigen Messerhieben trennen sie sie vom Fleisch. Während die Schlachter die Köpfe übereinander aufhängen, steht das nächste Tier bereit, die Prozedur wiederholt sich. Die Stromzange wird angesetzt, vor dem Tier liegen seine toten Gefährten.

„Ich liebe meinen Job. Sonst würde ich ihn nicht mehr machen“, sagt Piepmeier. Sein Job mache ihn glücklich. „Deshalb dürfen auch alle kommen und gucken. Wenn ein Kunde anruft und Fragen hat, sage ich: ‚Komm einfach vorbei!‘. Er kann dann das Tier vorher und danach sehen.“ Bei der Schlachtung seien aber keine Kunden dabei, ergänzt er.

Nur Muslime schlachten

Rolf Piepmeier legt allerdings selbst keine Hand mehr ans Messer. Sonst wäre das Fleisch für manche Muslime nicht mehr halal. Ahmed Ismail, ein langjähriger Kunde Piepmeiers, der in den Verkaufsraum gekommen ist, sagt, ihm sei wichtig, dass ein gläubiger Muslim das Tier schlachte. Von einem Deutschen dürfe er es nach seinem Glaubensverständnis nicht essen, dann sei es unrein.

Manche Muslime lehnen sogar die Betäubung vor dem Schlachten ab, weil sie glauben, das Tier sei dann bereits tot gewesen. Schlachter Ali Hi­yazi erklärt, dass es von den Vorbetern abhängt, ob das Fleisch eines mit Betäubung geschlachteten Tiers erlaubt ist oder eben nicht. Muslime seien nicht eine in sich geschlossene Glaubensgemeinschaft, es gebe unterschiedliche Interpretationen, genauso wie es auch Unterschiede im Christentum gebe.

Im Pausenraum herrscht eine freundliche, aber bedrückte Stimmung. Immer mal wieder kommen Kunden einfach rein, einer bringt Kuchen von seiner Frau mit. Die Arbeiter rauchen hier zwischen den Schlachtungen, Klükas kocht Kaffee. Die einzigen Frauen sind die Kundinnen und eine Schafbesitzerin. Die Männer sind still, so ein Job muss psychisch belastend sein. Einer hat die Hände und den Kittel voller Blut, es scheint ihn nicht zu stören. Ein anderer sagt: „Mit Ziegen könnt ich das nicht, die schreien immer so.“

An der Wand hinter ihnen hängt eine Liste mit 40 Rinderrassen der Welt. Klükas hat sie Piepmeier mal mitgebracht. Die anderen Wände sind übersät mit Piepmeiers Urkunden: zum 60-jährigen Bestehen seines Schlachthofs, sein Meisterbrief hängt da und unzählige Zeitungsartikel, in denen Piepmeier überwiegend gut wegkommt. Er ist stolz auf die mediale Aufmerksamkeit.

Sein Geschäftsmodell habe sich so ergeben, meint Piepmeier. „Ich hatte viele türkische Kunden.“ Dann sei er auf deren zahlreiche Hochzeiten gegangen und habe sich bekannt gemacht. Dort erklärte sich schließlich jemand bereit, für ihn zu schlachten. Seit 1964 wird im Schlachthof Piepmeier halal geschlachtet. Damit fand er seine Nische, in der er überleben konnte. Piepmeier sagt aber auch: „Das war nicht aus Profitinteresse. Ich habe Freude an meiner Arbeit.“

„Underdog“ gegen die großen Schlachtfabriken wie Tönnies

Er versteht sich selbst als „Underdog“ gegenüber den großen Schlachtfabriken wie Tönnies, die den Preis vorgeben. „Ich bin der einzige Qualitätsschlachter im Umkreis“, meint Piepmeier. Er ist von Pegida angefeindet worden, er würde den Tieren einen qualvollen Tod bereiten. In der Umgebung würde er nur der „Türken-Schlachter“ genannt. Stören tut ihn das nicht, „sollen die doch“.

Sein Kunde Ahmed Ismail kauft an manchen Tagen auch Lamm, heute aber gibt es 40 Kilogramm Bulle. Die Tiere kommen gerade an, fünf Schwergewichte sind es, jeder knapp 500 Kilogramm. Sie sind etwa 19 Monate und wollen partout nicht aus dem Transporter hinaus, als ob sie spüren würden, das mit ihnen etwas Schlimmes passieren wird.

Sie sind aufgeregt, schließlich preschen zwei hinunter in die Schleuse. Sie laufen direkt in den Schlachtraum hinein, die anderen drei sind noch im Transporter. Ihr Besitzer macht Krach und bespritzt sie mit Wasser, schließlich drücken sie sich alle gegenseitig in die enge Schleuse. Entspannt sieht anders aus, aber Klükas meint: „Das ist normal, nichts Außergewöhnliches.“

Der erste Koloss will direkt weiterlaufen, doch ein Schlachter schlägt den Kopf weg und schließt die Klappe. Im Schlachtraum kommen die Tiere zuerst in eine Box, die sie im Stehen fixiert. Dort wird der Bolzenschuss gelegt, um das Tier zu betäuben. Dabei bohrt sich der Metallstab durch die Schädeldecke bis ins Gehirn.

Klack – ein Schuss an die Schläfe. Die Boxentür öffnet sich und das Tier fällt zu Boden, landet auf dem Rücken und kippt zur Seite. Danach wird es an einem Hinterlauf hochgezogen, das Bein zuckt heftig dabei. Wieder die Beruhigung des Tierarztes: „Nur Zuckungen.“

Dennoch lebt der Bulle in diesem Moment noch, es dürfen nur wenige Sekunden bis zur Durchtrennung der Kehle vergehen. Die Luft dampft vom warmen Körper, das Blut rinnt in den Abfluss und süßlicher Gestank macht sich breit. „Das Fleisch muss ganz ausbluten, sonst ist es nicht haltbar“, erklärt Klükas.

Was auf Rolf Piepmeiers Schlachthof passiert, wirkt gar nicht so anders als das, was sich in anderen Schlachthöfen abspielt. Es gibt nur kleine Unterschiede wie das Sprechen des Gebets und natürlich die Tatsache, dass nur Muslime das Tier töten. Was nach wenig aussieht, macht das Fleisch für einige erst essbar.

Eine Ausnahmeregelung zum Schächten wäre für Piepmeier „undenkbar“. Das sei Tierquälerei, meint er, seine Kunden erachteten das Fleisch auch so als rein.

Ob die Tiere bei einer betäubungslosen Schlachtung mehr leiden würden? Der Veterinär überlegt kurz. „Das kann ich nicht sagen, das weiß ich nicht“, sagt Holger Klükas.

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