Häusliche Gewalt in Pandemiezeiten: Gewaltiges Ausmaß
Die häusliche Gewalt im Lockdown nimmt zu, die Fälle werden schwerer, sagt die Gewaltschutzambulanz der Charité.
Gemeint sind das Frühjahr 2020 und der zweite Lockdown, der im November begann. Jedes Mal seien die Fallzahlen zu Beginn des Lockdowns im Vergleich zu Normalzeiten deutlich zurückgegangen. Im März um 24 Prozent, im November sogar um 38 Prozent.
„Mit zunehmender Lockerung wird die Gewalterfahrung dann offenbar“, sagt Justizsenator Dirk Behrend (Grüne) am Mittwoch bei der gemeinsamen Pressekonferenz. Etzold bestätigt das: Das Jahr 2020 sei von starken wellenartigen Bewegungen gezeichnet gewesen. Nach dem ersten Lockdown sei die Ambulanz massiv nachgefragt gewesen. In den ersten beiden Wochen nach dem ersten Lockdown seien die Zahlen in der Ambulanz im Vergleich zum Vorjahr um 50 Prozent gestiegen. Im Juni, Juli und August habe die Nachfrage immer noch 30 Prozent über früheren Werten gelegen. Auch diesmal sei nach dem Ende des Lockdowns eine starke Zunahme zu befürchten, sagt der Justizsenator.
Würgemale am Hals
Die Gewaltopfer waren in 900 Fällen Frauen, 352 Männer. Die restlichen Opfer hätten sich keinem Geschlecht zuordnen wollen. 405 der Opfer waren im Kindesalter. Die meisten der Hilfesuchenden waren zwischen 21 und 49 Jahren alt. Nach Auslösern für häusliche Gewalt gefragt, nennt Etzold Stress und finanzielle Sorgen. Beim Lockdown komme hinzu, dass alle Mitglieder der Familie ständig zu Hause seien. Für die Betroffenen sei es da kaum möglich, die Wohnung zu verlassen, um einen Termin bei der Gewaltschutzambulanz zur Dokumentation der Verletzungen wahrzunehmen.
Was die Verletzungen angehe, sehe man eine Verschlimmerung der Gewalt. „Corona hat gesamtgesellschaftlich etwas mit den Menschen gemacht“, sagt Etzold. Neben Hautunterblutungen durch Schläge sei der große Anteil von Würgemalen am Hals auffällig. Wenn die Verletzungen länger als zwei Wochen zurücklagen, ließen sich diese oftmals nicht mehr dokumentieren, weil sie dann verschwunden seien. Je jünger die Kinder seien, umso schneller verschwänden Verletzungsmale.
Die Ärztinnen und Ärzte der Gewaltschutzambulanz unterliegen der Schweigepflicht. Nur wenn die Opfer zustimmen, wird die Polizei informiert. Anders sei es, wenn Kinder misshandelt worden sind. Laut Behrendt wurden 2020 15.871 Verfahren im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt eingeleitet, das waren 1.035 Fälle mehr als 2019. Bei den Wegweisungen – wenn ein Partner beispielsweise der Wohnung verwiesen wird – gab es 2.423 Verfahren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!