Häuserkampf in Hamburg: Mut zur Lücke
Die Bayerische Hausbau erhöht den Druck: Sie will die „Esso-Häuser“ am Spielbudenplatz auf St. Pauli zwar in Kürze abreißen, aber nur neu bauen, wenn die SPD auf Sozialwohnungen verzichtet.
HAMBURG taz | Die Bayerische Hausbau zieht Konsequenzen aus dem anhaltenden Streit um die „Esso-Häuser“ auf Hamburg-St. Pauli. Sollte die SPD daran festhalten, dem Investor aufzuerlegen, auf dem Areal am Spielbudenplatz mindestens 50 Prozent Sozialwohnungen zu bauen, will die Hausbau zwar abreißen – aber von einem Neubau absehen. Das sagte Hausbau-Sprecher Bernhard Taubenberger am Donnerstag der taz. Die Sozialdemokraten werten diesen Schritt als Erpressungsversuch.
Damit spitzt sich der seit 2010 anhaltende Konflikt um die Zukunft der 50er-Jahre-Häuser erneut zu, der in der Hamburger Gentrifizierungsdebatte von großer symbolischer Bedeutung ist. Die Fronten sind schon länger verhärtet. Der zentrale Streitpunkt zwischen Investor und Bezirk ist die Frage, wie hoch der Anteil öffentlich geförderter Wohnungen wird.
Der Bezirk knüpft die für das geplante Neubauvorhaben notwendige Änderung des Baurechts an die Auflage, dass die Hausbau 50 Prozent Sozialwohnungen baut und den MieterInnen ein Rückkehrrecht nach den gleichen oder besseren Konditionen einräumt. Dabei stützt er sich auf einen Beschluss der Bezirksversammlung aus dem Februar 2012. „Damit haben wir der Bayerischen Hausbau eine klare Ansage gemacht, daran hat sie sich zu halten“, sagt der SPD-Fraktionschef in Hamburg-Mitte, Falko Droßmann.
Die "Esso-Häuser"
Im Mai 2009 verkaufte der Betreiber der Kiez-Tankstelle das Areal am Spielbudenplatz an die Bayerische Hausbau.
Neben dem zur Reeperbahn gelegenen Gewerberiegel, der auch den Livemusikclub Molotow beheimatete, einer Tiefgarage und der Tankstelle befinden sich dort zwei Häuser mit 109 Wohnungen.
Statt der bestehenden 4.800 Wohn- und 2.500 Quadratmeter Gewerbefläche will der Investor dort einen Neubau mit 19.500 Wohnraum und 5.000 Quadratmeter für Gewerbe hochziehen.
Die Bayerische Hausbau ist nur bereit, eine Quote von 33 Prozent zu erfüllen. Deren Sprecher argumentiert, dass das dem Drittelmix entspreche, wonach der SPD-Senat bei entsprechenden Neubauvorhaben Investoren verpflichtet, zu einem Drittel öffentlich geförderte Wohnungen zu bauen. Eine höhere Quote komme einer Benachteiligung gegenüber anderen Eigentümern in der Stadt gleich. „Wenn man diesen Spagat zwischen Bezirk und uns nicht ausräumt, bauen wir eben nicht“, sagt Taubenberger und betont: Ein höherer Anteil sei für die Hausbau wirtschaftlich nicht machbar. Droßmann sagt: „Wir lassen uns von keinem Investor erpressen.“
Mit der Position, eine für den Stadtteil sozialverträgliche Lösung zu finden, nimmt die SPD-Bezirksfraktion eine Forderung von AktivistInnen aus dem Stadtteil auf. Diese haben eine Stadtteilversammlung einberufen und gehen noch einen Schritt weiter: Sie verlangen in einer Resolution, dass der Eigentümer für das „Kaputtbesitzen“ nicht auch noch belohnt werden darf. Auf dem Gelände müssten ausschließlich Sozialwohnungen gebaut und eine genossenschaftliche Lösung angestrebt werden.
Die maroden Häuser wurden Mitte Dezember evakuiert, nachdem Bewohner von bebenden Wänden und rieselnden Decken berichtet hatten. Anschließend genehmigte der Bezirk den vorzeitigen Abriss. Nach Angaben des Investors haben von den 86 Mietparteien, die noch im Herbst in den teilweise entmieteten Häusern lebten, inzwischen 74 eine neue Bleibe gefunden. Viele von ihnen haben befristete Ersatzwohnungen auf St. Pauli. Mit etwa zwei Drittel der MieterInnen hat die Bayerische Hausbau in einer Aufhebungsvereinbarung des Mietvertrags ein Rückkehrrecht vereinbart. „Diejenigen, die zurück wollen, bekommen das Recht“, so Taubenberger.
Bereits vor einer Woche begann die Hausbau mit den vorbereitenden Arbeiten. Ab Anfang März sollen die Bagger rollen. Läuft alles nach den Plänen des Investors, klafft dort, wo jetzt noch die beiden Wohnblöcke und der Gewerberiegel stehen, Mitte April eine Lücke.
Ähnlich wie der SPD-Fraktionschef sagt auch der Bauexperte der SPD-Bürgerschaftsfraktion, Dirk Kienscherf: „Erpressen lassen wir uns nicht, unsere Linie ist also klar.“ Ob am Ende 45 oder 50 Prozent Sozialwohnungen entstehen, darüber könne man reden. Ansonsten bleibe das Projekt eben liegen. Andy Grote (SPD), Bezirksamtleiter Hamburg-Mitte, sieht eine mögliche Annäherung: „Ich finde die Überlegung gut, dass ein Teil der Eigentumswohnungen an Genossenschaften gehen und damit öffentlich gefördert sind.“ Ähnlich sei es im Bernhard-Nocht-Quartier gelaufen.
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