piwik no script img

Händler nach „Bild“-Boykott bedrängtSpringer oder nichts

Wegen der Berichterstattung zum Germanwings-Absturz boykottieren mehrere Händler die „Bild“. In der Folge wurden sie unter Druck gesetzt.

Ein Kiosk wie dieser kann sich der „Bild“ nicht verweigern. Foto: dpa

BERLIN taz | „Sehr geehrte Kundschaft, auch wir werden unprofessionellem Journalismus keine Plattform mehr geben und haben beschlossen die Bildzeitung ab sofort aus dem Sortiment zu nehmen“, schrieb der Betreiber des Edeka Heymer in Chemnitz am 30. März auf seiner Facebook-Seite. Er sollte nicht der einzige Händler sein, der den Verkauf der Bild einstellte. Eine Aral-Tankstelle in Bendorf, ein Spätverkauf in Marburg, eine Tankstelle in Papenburg, ein Lebensmittelgeschäft in Stuttgart und noch einige weitere Verkaufsstellen zogen mit.

Sie alle waren über die damalige Berichterstattung des Springer-Blattes erzürnt. Der Absturz des Germanwings-Fluges 9525, bei dem am 24. März dieses Jahres 150 Menschen ums Leben kamen, beschäftigte die deutsche Presselandschaft wochenlang.

Jegliches Feingefühl für journalistische Ethik ließ vor allem die Bild vermissen. Bild-NRW-Reporter Frank Schneider twitterte Fotos von Angehörigen, in dem Moment, in dem sie von dem Tod ihrer Familienmitglieder erfuhren. Auch auf der Titelseite der Zeitung wurden weinende Angehörige zur Schau gestellt. Das Privatleben des Co-Piloten wurde bis ins kleinste Detail ausgeleuchtet. Die Händler wollten dies nicht weiterverbreiten – und bekamen dafür die Quittung.

Am 21. Mai schrieb der besagte Edeka-Betreiber auf Facebook: „Sehr geehrte Kundschaft, heute Morgen nun erreichte uns die Kündigung des MITTELDEUTSCHEN PRESSEVERTRIEBES! Mit der Begründung, dass wir uns standhaft weigern die BILD Zeitung zur Auslage zu bringen.“ Vertriebsfirmen liefern für bestimmte Gebiete alle Zeitungen an Händler. Da es ein Gebietsrecht gebe, dürfe der Markt sich von keinem anderen Grossisten beliefern lassen, so der Marktleiter.

„An den Pranger gestellt“

Nicht nur den Edeka-Markt traf es. Auch die Aral-Tankstelle in Bendorf wurde unter Druck gesetzt. Sie entschieden sich dafür, die Bild wieder ins Sortiment aufzunehmen. Anders die Tankstelle in Papenburg und der Späti in Marburg. Auch sie werden nicht mehr beliefert.

Der Papenburger Tankstellenbetreiber Bastian Hogg sagt der taz, dass es ihm nicht gefallen habe, wie der Co-Pilot an den Pranger gestellt wurde. Er habe nicht erwartet, dass es ein Problem sei, die Bild aus dem Verkauf zu nehmen. Schließlich habe er auch zuvor die Möglichkeit gehabt, bestimmte Drucktitel nicht zu verkaufen, wenn „die Sachen nicht laufen“.

Von der Vertriebsfirma „Presseservice Nordwest“ hieß es dann jedoch, er würde die Pressefreiheit gefährden, wenn er die Bild nicht verkaufe. Carolin R. vom „Fireflight“-Späti in Marburg weist im Gespräch mit der taz darauf hin, dass nach Artikel 5 des Grundgesetzes die Berichterstattungsfreiheit dort ihre Grenzen findet, wo das Recht der persönlichen Ehre betroffen ist.

Die Bild überschreite diese Grenze ständig, sagt sie. Alle drei Tage sei ein Vertriebler im Späti vorbeigekommen, um zu kontrollieren, ob die Bild verkauft werde. Es sei massiv Druck ausgeübt worden. Dem Vertriebler hätte es „fast leid getan“.

„Leider für Bild entschieden“

Alex Bonilla-Cardona, Betreiber von Monsieur Renard‘s Garten in Stuttgart, sagt der taz, sein Vertriebler sei eine „relativ coole Socke“. Doch die Süddeutsche Zeitungszentrale habe ihn trotzdem vor die Wahl gestellt, die Zeitung wieder zu verkaufen oder gar keine Zeitungen mehr zu erhalten. „Leider haben wir uns für die Bild entschieden.“ Anfragen der taz zu der Sache wurden von den genannten Vertriebsfirmen bislang nicht beantwortet.

Der Mitteldeutsche Pressevertrieb, der den Chemnitzer Supermarkt bisher belieferte, leitete die Fragen der taz allerdings an den Springer-Verlag weiter. Dort beruft man sich auf das Presse-Grosso-System: „Ein Zeitungshändler hat, abgesehen von seiner persönlichen Meinung, eine wichtige Funktion: Mit seiner Auslage ermöglicht er seinen Kunden, die Medienvielfalt in Deutschland überhaupt in Anspruch zu nehmen und sich ihre eigene Meinung zu bilden.“ Zu den Vorfällen bei den anderen Händlern äußerte sich der Verlag nicht.

Immerhin eine gute Nachricht ist zu vernehmen: Der Supermarkt in Chemnitz entschied sich dafür, die durch die Einstellung der Zeitungslieferung frei gewordene Fläche zum Verkauf von Kinderbüchern, Malbüchern und Bestsellern zu nutzen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

21 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • "Von der Vertriebsfirma „Presseservice Nordwest“ hieß es dann jedoch, er würde die Pressefreiheit gefährden, wenn er die Bild nicht verkaufe."

     

    Wenn dieser Blödsinn Bestand hat vor einem Gericht, dann kann ich also jeden Bäcker, der die BLÖD hat, aber nicht die taz, verklagen?

    Okay, taz habe ich im abo, aber "Jungle World" z.B. nicht und muss immer in Rheine Zwischenhalt machen, um mir die am Bahnhof zu kaufen. Und jeder, der Zeitschriften verkauft, aber konkret und titanic nicht im Angebot hat, gefährdet also die Pressefreiheit.

     

    Ich hoffe, es gibt mal eine Partei, die sich mit diesem "Presseservice Nordwest" mal beschäftigt, denn ich halte sein Verhalten auch mit allen kaufmännischen Gepflogenheiten nicht für tragbar. Der Laden gehört abgemahnt.

  • Was sagen denn die Fans der "freien Marktwirtschaft" zu solchen Vorgängen? Ich meine, in einer "freien Marktwirtschaft" sollte ein Verlag doch nicht Händler zwingen können, seine Zeitung zu verkaufen, oder? Wenn ein Händler an einem Geschäft nicht interessiert ist, dann ist es doch seine Freiheit, dieses Geschäft nicht zu machen.

    • @Sage Ichnicht:

      Auch die Freunde einer (möglichst) freien Marktwirtschaft werden in aller Regel einen wirksamen staatlichen Schutz vor Wettbewerbsbeschränkungen durch Marktmacht - also eine funktionierendes Kartellrecht - stark befürworten. Dass hier möglicherweise ein Angebotsmonopol ausgenutzt wird, um den Händler zu zwingen, eine bestimmte Produktpalette abzunehmen (was in der Regel mit dem deutschen Kartellrecht nicht vereinbar wäre), dürfte auch kaum jemand bestreiten.

       

      Nun kann es aber tatsächlich sein, dass aufgrund der Presse- und Informationsfreiheit bei Zeitungen besondere Regeln gelten. Nur weil der Händler ein Blatt im Angebot hat, muss es ja noch lange keiner kaufen. Boykottiert er es aber, KANN es niemand bei ihm kaufen. Da fragt sich dann schon, inwieweit es dem Händler zusteht, den Informationsfluss seiner Kundschaft in dem Maße zu steuern, oder ob der Staat nicht wirklich einen gewissen Zwang, die wesentlichen Meinungsbildner der Republik auch für den Kunden verfügbar zu machen, sogar gutheißen muss.

       

      Mich würde mal interessieren, wie bei umgekehrten Vorzeichen die Reaktionen wären. Also nehmen wir z. B. an, REWE schmeißt deutschlandweit die taz aus dem Regal, weil dem Konzern deren kritisch-investigative Berichterstattung über die Arbeits- oder Hygieneverhältnisse in Lebensmittelmärkten nicht gefällt. Könnte, sollte und dürfte die taz sich nicht wirksam gegen so eine Meinungsunterdrückung wehren?

       

      Bei Pressefreiheit und anderen Grundpfeilern der Demokratie geht es gerne mal ums Prinzip, nicht darum, wer der "Gute" ist oder wer faktisch am längeren Hebel sitzt.

  • Unlauterer Wettbewerb. Wer ein Monopol hat, wie der Pressegrossist, darf die Händler nicht dazu zwingen bestimmte Titel auszulegen.

    Recht habe und Recht bekommen sind sicherlich zweierlei Dinge - aber hier sollte es doch möglich sein, dies juristisch durchzuziehen.

  • Der Boykott durch einzelne Einzelhändler löst das Problem nicht, solange es nur wenige sind. Schön sind solche Gesten indes doch. Nur wenn genügend mitmachen, hat es auch wirtschaftl. Konsequenzen für den A.-Springer-Verlag. Daher ist zu hoffen, dass die Erpressungsversuche der Vertriebsmonopole eher den Widerspruchsgeist der Einzelhändler weckt und eine Art "Streisand-Effekt" auslöst, womöglich sich gar Einzelhandelskonzerne von Edeka bis Aral beteiligen und ihren Filialen den Rücken stärken.

  • Müsste - nach dieser "Logik" - jeder, der Zeitschriften im Angebot hat, auch "Stahlhelm", "Landser" und "National-Zeitung" (oder wie der Dreck heißen mag) anpreisen?

     

    Mir scheint, da wäre es schon an der Zeit, die rechtlichen Möglichkeiten gegenüber diesen "Presse"vertrieben auszuschöpfen.

  • ich wuerde den grosshaendler wegen erpressung verklagen

  • 9G
    9076 (Profil gelöscht)

    Einfach nicht kaufen das Blatt.

    Oder am Monatsende wenn Geld übrig ist, dem Kioskbesitzer den B..d- Bestand eines Tages abkaufen und im nächsten Altpapier entsorgen. Hab ich auch schon gemacht.

    Das Geld ist es mir Wert.

    • @9076 (Profil gelöscht):

      Gut gemeint, aber schlecht zu Ende gedacht: Jede verkaufte Zeitung steigert Auflage und damit die Webeeinnahmen! Zudem verdient beim Verkaufspreis vor allem auch der Grossist und Springer. Kaufen ist also immer schlecht, auch wenn man sie wegwirft oder als Klopapier verwendet.

       

      Besser wäre es, um 4 Uhr früh einen Zeitungskasten leerzuräumen...ach nee das wäre ja Diebstahl. Dann eben den Geldschlitz verstopfen oder den Deckel vom Zeitungskasten mit Superkleber fixieren...ach nee das wäre ja Sachbeschädigung. Dann eben aus versehen(!) 1 Liter klebrigen Nestle-Tee oder Fischsuppe über die Zeitungen in den Kasten schütten. Sowas kann ja mal am frühen Morgen beim Drüberbücken aus versehen(!) passieren. Der Vorteil wenn die Zeitungen nicht weg sind, ist, dass der Händler sie retour geben kann und sein Geld für die Zeitungen zurückerstattet bekommt.Der zweite Vorteil ist, dass der Müll nicht verkauft wurde und nicht zur verkauften Auflage beiträgt.

  • Es ist unglaublich, dass ein Händler nicht mehr frei entscheiden kann, welche Produkte er verkauft und welche nicht.

     

    Wer in Deutschland noch von Pressefreiheit redet, kann nicht mehr ernst genommen werden. Die Gebietseinteilungen erscheinen mir auch kartellrechtlich fragwürdig. Da sollten die Händler das Kartellamt auch einschalten.

  • Der Käufer hat es doch völlig in der Hand. Wenn niemand mehr dieses Ekel-Blatt kauft, wird es sehr bald vom Markt verschwunden sein. Pressefreiheit kann ja auch die Freiheit von gewissen Presseerzeugnissen bedeuten.

    • @Rainer B.:

      "Ihr habt wohl Recht, ich sehe nicht die Spur

      von etwas Geist - und alles ist Dressur."

      (Goethe)

  • Gab's nicht mal sowas wie ne Handelsfreiheit?

    • @Cpt. Nrk:

      Wenn alle Kioske die BILD boykottierten, wäre der Käs schnell gegessen.

  • "… Springer-Verlag weiter. Dort beruft man sich auf das Presse-Grosso-System: „Ein Zeitungshändler hat, abgesehen von seiner persönlichen Meinung, eine wichtige Funktion: Mit seiner Auslage ermöglicht er seinen Kunden, die Medienvielfalt in Deutschland überhaupt in Anspruch zu nehmen und sich ihre eigene Meinung zu bilden.“…"

     

    Ja - George Orwell - hätte einige Mühe -

    diese Form von Neusprech zu toppen!

    Für gewöhnlich findet sich solche

    anschleimende Spreche/Schreibe mit Nötigung -

    im Gefolge der Drei Betrüger -

    kurz - vergifteter Soutanen-Schmalz;

    unter Androhung von Fegefeuer/Hölle -

    läuft da auch nix.

  • Solidarität: Im selben Moment, da der erste Kiosk die Kündigung des Pressevertriebs bekommt, sollten alle anderen Kioske im Einzugsbereich ihrerseits mit der Aufkündigung des Vertrags drohen.

     

    Unsere Gesellschaft braucht eindeutig mehr Weselskys.

  • Jeder kann in den Zeitschriftenauslagen ganz einfach andere Presseprodukte über die BILD-Zeitung legen. Da geht innerhalb Sekunden, fällt nicht auf und senkt den BILD-Zeitungsverkauf zumindest für die Zeit, bis es dem Verkäufer aufällt....... Zwei Zeitschriften reichen aus, um eine BILD-Zeitung aus dem Blickfeld potentieller Käufer verschwinden zu lassen....

    • @robby:

      Gute Idee. Was macht man allerdings, wenn beim Bäcker nur 2 Zeitungen ausliegen? Außerdem befürchte ich, das bei erkannter Absicht ein Heer von Springer-Anwälten hinter einem her springt. Das kann dann teuer werden.

    • @robby:

      ... leider löst es das Problem der epidemischen Existenz dieses Ekelblattes nicht gänzlich. Aber den Tipp merke ich mir! ;-)

      • @Index:

        Bin dabei.

      • @Index:

        "Liebe Händler, Ihr müsst Euch mehr trauen.

        Zwei Zeitungen reichen aus, um

        Springers Umsatz zu versauen."

        (nach Ringelnatz)