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Habeck und der Grünen-ParteitagKeine Zeit für Konflikte

Tobias Schulze
Kommentar von Tobias Schulze

Robert Habeck und die Grünen sind für den Wahlkampf gut aufgestellt. Doch ihre Glaubwürdigkeit leidet, wenn sie die Fehler in der Ampel nicht aufarbeiten.

Baerbock unterstützt Habecks Kanzlerkandidatur Foto: dpa

T rotz der schlechten Ausgangslage könnte dieser Grünen-Wahlkampf richtig gut werden. Der Kandidat Robert Habeck ist nach dem Ampelbruch wieder er selbst, seine Reden reißen mit, seine Positionen sind klar.

Programmatisch ist die Partei auch wieder stärker bei sich, hat sich so weit links aufgestellt, wie es für Grüne im Jahr 2024 nun mal möglich ist: In der Klimapolitik wollen sie gegen den Backlash standhalten, in der Migrationspolitik aus der Verschärfungsspirale aussteigen, und in Verteilungsfragen haben sie ein Konzept, das das Land wirklich gerechter machen könnte. Die Umfragewerte sind zwar mies und der Gegenwind stark, aber von den Parteien links der Mitte haben die Grünen derzeit das rundeste Angebot.

Eigentlich. Das Problem: Ein gutes Programm hatten die Grünen schon zur Wahl 2021, in Teilen war es sogar mutiger als die Beschlüsse, die sie am Wochenende auf dem Parteitag in Wiesbaden verabschiedet haben. Hinterher, in der Regierung, blieben von all den schönen Kapiteln aber oft nur einzelne Silben.

Das lag nicht nur an der Kompromisslogik einer Koalition, dem schwierigen Partner FDP und der rapide veränderten Weltlage. Es hatte auch damit zu tun, dass das oberste Ziel der Grünen in den letzten drei Jahren ein harmonisches Außenbild der Ampel war. Die eigene Konfliktbereitschaft fuhren sie dafür runter.

Viele ungelöste Fragen

Was können die Grünen machen, damit es in einer neuen möglichen Koalition anders läuft? Wie könnten sie mehr Inhalte durchsetzen? Werden sie ihren Robert Habeck auch dann noch wiedererkennen, wenn er den Wahlkampfpulli erneut gegen die Regierungskrawatte eintauscht? Über all diese Fragen hat die Partei in Wiesbaden, im Schatten des beginnenden Wahlkampfs, nur am Rande diskutiert. Stattdessen sind in den Formulierungen ihrer Beschlüsse die nächsten Konflikte angelegt.

Abschiebungen nach Syrien und Afghanistan lehnen die Grünen jetzt beispielsweise offiziell ab. Man muss aber erst mal einen Lesekreis bilden, um diese Positionierung auch wirklich im Text zu erkennen. Das macht es Grünen-Vertreter*innen in der Regierung im Zweifel einfacher.

Es gibt weiterhin ungelöste Fragen in der Partei und für die Reflexion darüber fehlt seit Jahren die Zeit. Auf Parteitagen der letzten drei Jahre gab es Debatten über einzelne, akut anstehende Konflikte, aber nicht über die großen Linien. Und sollten die Grünen nach der Wahl 2025 erneut mitregieren, wird dafür wieder kein Platz sein.

Das könnte nicht nur langfristig zur Belastung für den inneren Zustand der Partei werde. Kurzfristig ist es auch ein Risiko für ihren Wahlkampf: Werden die Wäh­le­r*in­nen den Grünen vertrauen, dass sie ihre schönen Pläne auch wirklich umsetzen wollen?

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Tobias Schulze
Parlamentskorrespondent
Geboren 1988, arbeitet seit 2013 für die taz. Schreibt als Parlamentskorrespondent unter anderem über die Grünen, deutsche Außenpolitik und militärische Themen. Leitete zuvor das Inlandsressort.
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14 Kommentare

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  • Mit diesem Parteitag, nach 3 Jahren mitregieren in der Ampel, müssten die Grünen eigentlich ein Lehrvideo verkaufen mit dem Titel: So verkauft man Misserfolg

  • Die Grünen sind nun mal unsere einzige Partei, die an die drängende Problematik des Klimawandel energischer rangeht, sich nicht drückt. Sie darf nur nicht mit den Neoliberalen koalieren, sondern außerparlamentarische Initiativen fördern - sie haben doch die Kohle. In der Opposition werden sie wieder zu alter Hochform auflaufen!

  • Tja, aus der Ferne besehen ist alles schön. Jetzt geben sie sich links, aber vor wenigen Wochen sind mehrere Vorstände der grünen Jugend ausgetreten weil die Parteispitze eben nicht links gehandelt hat. Ohne auf so etwas einzugehen, fällt es schwer, das als mehr als bloße Lippenbekenntnisse zu akzeptieren.

    Sie wollen ein Miteinander, sie empfinden Migration als etwas Notwendiges etc. pp., aber sie haben Asylgesetze mit durchgewunken, bei denen ich mir eher die Hand abgehackt hätte.

    Genau, wie im Artikel ja auch schon erwähnt, frage ich mich, wie sie in einer neuen Koalition auftreten wollen, um z.B. so etwas gegen einen rassistischen rechtspopulistischen "kleinen Pascha" Merz durchzusetzen.

  • Bei der Partei steht doch noch die Aufarbeitung des letzten Wahldebakels aus. Wie soll da die Aufarneitung der Fehler der Koalition gelingen?

  • schöner nachdenklicher Artikel mit guten Fragen.



    in einer Zeit, in der zackig schnell alles oft abgewertet wird, sehr wohltuend.

  • Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendjemand den Grünen noch ihr blumiges Wahlprogramm abnimmt.



    Es ist ja nicht nur, dass sie in den letzten 3 Jahren in der Bundesregierung nichts Positives in Sachen Umweltschutz, soziale Gerechtigkeit oder Menschenrechte zustande gebracht haben.



    In den meisten Landesregierungen (ergo: überall, wo sie mit der Union koalieren) sieht es nicht anders aus.



    Wenn sie nicht gerade von der Linkspartei in einer RRG Koalition an die Hand genommen werden, verabschieden sich die Grünen direkt nach Regierungseintritt direkt von ihren Zielen vor der Wahl.

  • Ich sehe es wie der Tagesspiegel:



    "Harmoniesüchtig und mit abgeschliffenen Konturen: Den Wahlkampfauftakt haben die Grünen verpatzt. Auf ihrem Parteitag können sie nicht vermitteln, wie sie das Land verändern wollen."



    Reine Show, ohne Substanz, abgeschliffen ohne Perspektiven. Einfach gähnende Leere, nichts ...

  • Solange die Grünen nicht Parteiinterne Skandale wie die um Josefine Paul, Anne Spiegel oder Benjamin Limbach schonungslos aufklären und sich dem stellen, solange wird das nichts.

    • @Andere Meinung:

      Anne Spiegel ist zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt in den Urlaub (den sich aber auch Politiker mal verdient haben) gefahren, hat sich dafür entschuldigt und ist zurückgetreten. Was da noch schonungslos aufgeklärt werden muss ist mir ein Rätsel....am Interessantesten finde ich da noch den Fall Benjamin Limbach, wobei dieser von Hendrik Wüst nach wie vor geschützt und geschätzt wird, was mir zeigt, dass die CDU dieses vorgehen mindestens geduldet hat oder es genauso getan hätte. Andere Parteien haben da wesentlich größere und schlimmere "Skandale" zu Verantworten als die Grünen.

  • "Werden die Wäh­le­r*in­nen den Grünen vertrauen, dass sie ihre schönen Pläne auch wirklich umsetzen wollen?"



    Die Grünen stellten sich hinter die Seenotretter im Mittelmeer und haben doch jede Migrationsverschärfung mitgetragen.



    Ein Abschieben in Kriegsgebiete wurde immer kategorisch ausgeschlossen und solls auch wieder, aber zwischendurch zum Wahlkampf in Thüringen, Sachsen und Brandenburg wars dann doch okay.



    Die Grünen sind für den Taurus für die Ukraine aber laut Homepage ganz oben für Abrüstung.



    Sie haben die Bezahlkarte mitbeschlossen aber helfen umgehend Migranten diese Regelung zu umgehen:



    youtu.be/8pGmrFh1Y...i=beDp-Jp50tQFKDYe



    Man ist für grüne Energie will aber Gaskraftwerke bauen... usw usf...



    Die Grünen wollen einfach auf jeder Hochzeit mittanzen. Zwischen Realos und Linken liegen Welten - der Landesverband der Berliner Grünen und der aus Baden-Württemberg sind bspw in zwei verschiedenen Universen unterwegs. Und die grüne Jugend nochmal ganz woanders. Nach außen hin ergibt sich für mich das Bild das die linke Hand nie weiß was die rechte gerade tut und andersrum.



    Das gibt es so in keiner anderen Partei. Die wollen alles und nichts - DAS glaub ich ihnen🤷‍♂️

    • @Farang:

      >"Man ist für grüne Energie will aber Gaskraftwerke bauen... usw usf... "

      Von wollen kann sicher keine Rede sein. Augenscheinlich wirkt die Grüne Wirtschaftspolitik in der Ampel nachhaltiger als sie es suggerieren wollen.

      Der Spiegel irrt sicher nicht: www.spiegel.de/wis...-a1b8-8c3b5e39645b

      Diese Bewegung wird aber sicher von einer CDU/CSU geführten Regierung aufgehalten werden. Ganz so, wie sie es seinerzeit mit der Photovoltaik gemacht haben - vom Weltmarktführer zum China-Bittsteller.

    • @Farang:

      Ist wohl was dran. Oder um es mit den aus einer Satiresendung zu sagen: "nur ein Fähnchen im Wind"

  • Als es noch Fundis und Realos bei den Grünen gab, hatten die Parteitage einen nicht zu übertreffenden Unterhaltungswert, denn man hat um Standpunkte und Lösungsansätze gestritten, bis der Arzt kam. Das war wirklich noch gelebte Demokratie, auch wenn es den Grünen sicherlich auch Stimmen gekostet hat.

  • Danke fürs Fotto.

    There‘s no biz like Showbiz - kurz vor der -



    Heiligsprechung! Woll



    So hab ich mir immer eine aufgeklärte - zutiefst demokratische Partei dieser Republik vorgestellt.



    Liggers. Hol wiss - lot mi an Lann un rein tonn katolsch warrn.

    Na Mahlzeit



    Ps Da kriegt Peter Unfrieds Slogan - 🧹🧹🧹 -



    Die Krise der Grünen ist unser aller Krise -



    Noch mal nen ganz anderen Drall! Gell