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HR-Tatort „Wer bin ich?” mit Tukur„Ich bin nur eine Idee“

Von „Casino Kobra“ bis Fellinis „8 ½“: Der Ulrich-Tukur-Tatort feierte die Metaebenen. Ein paar der Referenzen haben wir hier aufgedröselt.

Ist das jetzt noch Ulrich Tukur als Ulrich Tukur? Oder schon Ulrich Tukur als Felix Murot? Foto: dpa/HR

Wir müssen hier gar nicht diskutieren, der HR-Tatort „Wer bin ich?” war schon ab der ersten Minute ein Klassiker. Aber weil wir uns wegen Spoiler-Alarm vorab zurückgehalten hatten, hier noch einmal ein paar Sätze darüber, wieso diese Folge so unfassbar geknallt hat. Und der Versuch, natürlich ohne Anspruch auf Vollständigkeit, ein paar der Anspielungen aufzudröseln.

Dass die kompletten 90 Minuten als Referenz-Spektakel konstruiert waren, hatte vor allem einen Effekt: Der „Tatort“ feierte sich selbst mit jener Folge, in der gleich zwei hessische Tatortfolgen gedreht wurden, in der die Schauspieler sich selbst spielten, sich mittags in der HR-Kantine durch die Bayerische Woche fraßen (Metaebene n+1 hier) und der Kommissardarsteller Tukur zum Mordverdächtigen wurde – und dekonstruierte sich damit zugleich in einer einzigen geschmeidigen Bewegung. Selbstreferentielle Spielereien in Filmen lenken die Aufmerksamkeit immer auf die Gemachtheit dessen, was wir da sehen, die sogenannte Vierte Wand zwischen Realität und Fiktion wird eingerissen. Die Geste ist: Schaut her, Leute, alles nur Show. Allein dass der HR sich zu dieser endlos coolen Selbstironie hinreißen ließ, läßt einen schmachten.

Die Lässigkeit, mit Film- und Popkulturzitaten um sich zu werfen, machte schon das Herz des vorigen Tukur-Tatorts „Im Schmerz geboren“ aus: Shakespeare, Tarantino, Italo-Western, die Folge war vollgestopft wie eine Weihnachtsgans. Aber nun, in „Wer bin ich?“, legten die Kollegen noch eine Schippe „Meta“ drauf.

Genauer: Sie schoben verschiedene Zitat-Kategorien ineinander, verwiesen auf die TV-Gattung „Tatort“ in toto, auf die Murot-Folgen im Speziellen, auf das Œuvre von Ulrich Tukur selbst sowie die ARD-Politik von Spielfilmredaktionen – und natürlich auf das gesamte Genre „Filme über Filme“. Bis hin zu vollkommen abseitigen Referenzen wie sie sich im Spielhallen-Securitytypen Wegmann zeigen, Spitzname „Casino Kobra“ – eine Anspielung auf Jürgen „Kobra“ Wegmann, jenem Fußballprofi aus den 80ern, der für die Borussen, dann Schalke, dann die Bayern legendäre Tore schoss, und für seine giftigen Sprüche bekannt wurde, à la: „Zuerst hatten wir kein Glück, dann kam auch noch Pech dazu“.

Irgendwas zwischen hasenfüßig und opportunistisch

Wie souverän ARD und vor allem Hessischer Rundfunk mit den eigenen Klischees umgehen, ist sagenhaft: Nicht nur dass ein Großteil der Folge im HR spielt, auf den Behördenfluren, in der Kantine, in den Studios von Mittagssendungen wie „Hallo Hessen“, wo sich das neue Kommissarduo Broich und Koch vorstellt. Der mächtige „Tatort“-Entscheider im Haus, der Leiter der Redaktion Fernsehspiel und Spielfilm Jörg Himstedt, ist als „Jens Hochstätt“ (umwerfend karikiert von Michael Rotschopf) zudem eine der Hauptfiguren: irgendwas zwischen hasenfüßig und opportunistisch - ein großer Spaß.

Was die Tatort-Welt angeht, reicht das Spektrum von der schimanskihaften „Scheiße“-Flucherei von Ulrich Tukur als Ulrich Tukur über den geradezu lehrbuchhaft heruntergeklapperten Dialog am inszenierten Tatortdreh mit Leiche: Zeugen, Fundort, Tatzeit, Tatwaffe. So dröge wie eben in den schlechtesten Teilen dieser Reihe üblich.

Dazu kommt die entzückend zur Schau gestellte Hierarchie unter den Kommissardarstellern: denjenigen, die schon länger dabei sind (Tukur und Barbara Philipp), den neuen (Wolfram Koch und Margarita Broich), den gerade frisch geschassten (Martin Wuttke, der einst in Leipzig ermittelte), denjenigen, die ihrem fixen Honorar hinterhertrauern, jenen mit oder ohne festen Vertrag, und dann sind da noch diejenigen, die so einen Posten noch bekommen könnten. Oder wie in „Wer bin ich?“ gemauschelt wird: „Habt Ihr den Schweighöfer schon angerufen?“.

Mehr noch: Andere Tatort-Niederlassungen poppen hier und da auf, sei es, dass der Regisseur beim Dreh nach einer klamaukigen Improvisation von Wolfram Koch als Kommissar Paul Brix brüllt: „Wir sind hier doch nicht in Münster!“, sei es, dass Kabarettist Eisi Gulp einen Barkeeper spielt, wie schon im vorletzten Joachim Król-Tatort; und dann sind da noch die Schweinemasken, mit denen sich die Typen tarnen, die Tukur nachts entführen, und schwer an die Hasenverkleidungen aus dem NDR-Tatort “Frohe Ostern, Falke“ aus dem Frühjahr 2015 erinnern (oder ans „Kettensägenmassaker“).

„Gibt’s nicht irgendeinen schönen Nazifilm?“

Besonders hinreißend sind jene Momente, in denen sich die Schauspieler als sie selbst in Szene setzen – abgesehen von Wuttke, der als Wuttke alle gegen die Wand spielt, allen voran Tukur selbst. Er, der privat und auch in „Wer bin ich?“ in 20er-Jahre-Klamotten rumläuft, und berüchtigt ist für seine Rollen in Historienschinken aus der Nazizeit, wird nicht nur so zu Klump geschlagen, dass er morgens mit einer Schramme in Hitlerbartform aufwacht. Er muss auch noch mit anhören, wie seine Kollegin Barbara Philipp mit ihrem Agenten telephoniert und rummault, sie wolle auch endlich mal einen Preis: „Gibt’s nicht irgendeinen schönen Nazifilm?“ (was wiederum wie ein Zitat jener erstklassigen “Extras”-Folge von Ricky Gervais mit Kate Winslet wirkt).

Die genialsten Momente sind aber fraglos jene, in denen „Wer bin ich?“ jene Filmklassiker zitiert, die vor allem eines tun: ihre eigene Konstruiertheit zur Schau stellen. Da sind die Dreh-Szenen mit Kameramann, Regisseur, Tonangeln wie in “Singin’ in the Rain“, das Nebeneinander von Filmfigur und Schauspieler wie in Woody Allens “Purple Rose of Cairo“ oder “Being John Malkovich”. Und natürlich die Schlusssequenz wie im Finale von Fellinis „8 ½“, in dem das leere Set vom Außendreh vor sich hinstaubt, die Reste des Drehs noch rumstehen.

Nur eines bleibt offen: Wie der HR das nun noch toppen will. Es ist nicht auszudenken, wie Murot weiterexistieren kann, der von Folge Eins an unter den Halluzinationen seines Hirntumors (Anagramm von Murot, schon das eine Metaebene) arbeitete und im aktuellsten Fall nun als Tukur neben dem Dreh im Hotelzimmer seinen eigenen alten Edgar-Wallace-Reminiszenztatort „Das Dorf“ mit den Kesslerzwillingen anschaut, um dann gegen sich selbst zu ermitteln. Bis hin zu jener selbstreferentiellen Descartes-Idee des „Wer bin ich?“, die in der finalen High Noon-Szene geradezu explodiert: Da sitzt Schauspieler Tukur seiner Figur Murot gegenüber, und Murot sagt zu Tukur: „Ich bin doch nur eine Idee“.

Kristallklar ist jedoch: Bitte mehr davon.

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22 Kommentare

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  • Auch wenn ich damit als altmodisch und ewiggestrig gelte: Die Tatorte der 1970er Jahre hatten noch klassische durchaus nachvollziehbare Handlung. Seit den 1980ern ging es permanent bergab. Der beschriebene Tukur-Tatort ist einer von vielen Tiefpunkten.

  • "Wer bin ich?", "Wie kam ich hier rein? Holt mich hier raus am besten vorsorglich in die geschlossene Abteilung einer gemeindenahen Klapse, zwangsweise durch meinen Neben- Zuschauer auf dem Kanapee auf Frist veranlasst?







    Ich will aus dem Horror Tatort- Film "Wer bin ich" aussteigen, der mir hier in laufenden Überwachungskamera Bildern flackernd livehaft als mein scheinbares Leben vor meinen Augen flimmert?



    Vielleicht ist aber alles nur halb so schlimm, wie von mir befürchtet und die Tatort- Familie tritt nur in offensive Konkurrenz zur Ikonisierung der Lindenstraßen- Familien Serie ohne belehrenden Sesamstraßen Charme über die Wirklichkeit der Alarmstimmung der Ermittlungsorgane hierzulande bei ihrer Arbeit kurz nach einem Verbrechen am Tatort und danach im Kommissariat XY, Wiesbaden, Münster, Leipzig, München, Rostock, Hannover, Schwerin, Hamburg, Saarbrücken, Mainz, Potsdam- Babelsberg, Kiel.

     

    Kommentar gekürzt.



     

  • Bei allen kritischen Kommentaren hier und anderswo im Netz nach jedem Tatort frage ich mich immer, warum denn immer noch Millionen Zuschauer sonntags den Tatort anschalten. Masochismus? Wahrscheinlich eher, dass die unterschiedlichen Tatorte ganz unterschiedliche Sehgewohnheiten bedienen - was den einen gefällt, ist dem anderen ein Graus. Und das ist gut so.

  • 5G
    571 (Profil gelöscht)

    Wertvolle Diskussion hier.

    Ich genieße und lerne dazu.

  • Die Marke „Tatort“ demontiert sich immer weiter!

     

    Blöder Klamauk wie in Münster oder mit Striesow, Dekonstruktion wie jetzt mit Tukur, Gefälligkeitsrollen für GALA-Promis wie Furtwängler oder B-Film-Trash wie mit Schweiger, der intern mit seinen höheren Gagen und Etats für Unmut sorgt, lassen die Gesamtqualität, die sich früher durch die Serie zog, immer mehr vermissen.

     

    Die Idee, die diesem Tukur-Tatort zugrundeliegt, ist ja grundsätzlich nicht neu, aber das Metier haben andere schon erheblich besser bedient.

    • 5G
      571 (Profil gelöscht)
      @Khaled Chaabouté:

      Die Idee, ..., aber das Metier ... und das noch nicht gefundene Härchen im Süppchen.

  • Hab ihn gleich gar nicht geguckt und wenn ich mir die Rezi durchlese, weiß ich auch, daß ich damit einaml mehr recht hatte.

  • Ein sagenhaft guter Tatort mit fantastischen Schauspielern. Schön geschrieben, Anne. Bin auch begeistert. Einmal schauen reicht nicht. - Ja, Rainer B., der Tatort hat genallt. Wieso muss man eigentlich "alles" kommentieren?

    • @RPH:

      Da stellen sie schon die richtige Frage.

  • Es war ein superklasse Tatort! man merkte auch den SchauspielerInnen an, wie sehr sie Spaß bei der Arbeit hatten. HR, bitte mehr davon!!

  • Und wiederum zeigt sich: Nur weil etwas so ganz anders ist, ist es nicht automatisch besser. Dies gilt auch für den hier so hoch gelobten Tukur-Tatort.

  • Wie immer: trau keiner guten taz oder Spon Tatort Rezension.

    Ich amüsiere mich meist am besten bzw. findes es oft am spannendsten wenn sie zuvor speziell in diesen Medien Verrisse bekommen haben.

  • Für einen Tatort bestimmt bemerkenswert. Macht nur den Fehler allzuvieler deutscher Filme: die Charaktere - gerade der sich selbst spielenden - sind viel zu überzogen. Meta wird Klamauk ohne Realitätsbezug. Am Abend vorher lief noch der tolle "Friesland" dreimal besser auch ohne Metaebene.

  • Ein Tatort nach dem Motto, ich durchdenke das Chaos, also bin ich Kommissar, ist nun wirklich eine Seltenheit. Wenn es so war, dann war es gut durchdacht. Nach der interessanten Kritik nehme ich mir vor, den Tukur Tatort in voller Länge nachträglich zu genießen.

  • Die Tatorte bestimmter Städte mit ihren entsprechenden Ermittlern scheinen sich immer mehr zu spezialisieren und damit auch zu verengen:

    Tschiller in Hamburg steht für Action, Faber in Dortmund für kaputte Ermittler (-beziehungen), Münster für Komik,

    Köln, München und Ludwigshafen für den "klassischen" Wohlfühl-Tatort, mit einem alternden Ermittlerpärchen und oft künstlich eingewebten Lokalkolorit.

    Und schließlich Murot!

    In diesen Tatorten ist die Devise: Erwarte das Unerwartete!

    Über Geschmack läßt sich nicht streiten, aber diese Tatorte sind sehr experimentierfreudig und wirken neu, anders und frisch. Sie sind allein deshalb schon für mich sehens- und erlebenswert.

    Und die Frage "Wie der HR das nun noch toppen will", habe ich mir bereits nach "Im Schmerz geboren" gestellt.

     

    P.S.: Martin Wuttke sähe ich gerne wieder als Ermittler in einem Tatort.

  • Wenn's denn wirklich "so unfassbar geknallt hat", wieso muss man es dann überhaupt noch groß erklären?

    Was macht eigentlich Vin Diesel jetzt? Ich hab gehört sein neuer Film soll im November 2016 rauskommen. Ab ins Kino - Leute!

    • @Rainer B.:

      Den traurigen Hundeblick hat er doch von Bill Murray. Murray - Murot, kann das alles überhaupt noch Zufall sein?

  • Zugegeben, Frau Haeming hat in ihren Betrachtungen Dinge beleuchtet, die ich nicht wahrgenommen hatte !

    Aus dem Bauch heraus:

    Ich kann mich den "Lobhudeleien" nicht anschließen.

    Ich bin "reingefallen" auf die TAZ-Vorankündigung !

  • Mir hat der tatort nicht gefallen.

    • @nutzer:

      Mir wohl!

      • 3G
        3641 (Profil gelöscht)
        @Ute Krakowski:

        Ich hab ihn nicht gesehen

        • @3641 (Profil gelöscht):

          Nach 15 fragenden "hähähä?"-Minuten habe ich auf die Dart-WM umgeschaltet. War viel prickelnder!