Herausragender “Tatort“ aus Hessen: Alles düster im Paradies
Der Plot ist bizarr, manch Witz unnötig, der Kommissar depressiv. Der “Tatort“ mit Ulrich Tukur setzt sich ab – auch visuell ein herausragender Film.
Murot ist einsam – und das kann man riechen. Er müffelt „säuerlich“, bemerkt eine junge Frau, als sie dem LKA-Beamten gegenübersteht, und das käme von der Einsamkeit. Aber da sind wir schon mitten drin im neuen Fall von Murot, dem mittlerweile 12. „Tatort“ mit dem Wiesbadener LKA-Ermittler. Diesmal geht es ums Paradies, dem Verheißungsort schlechthin, wo alle Menschen bis in alle Ewigkeit glücklich sein sollen. Denn Murot, das sieht man gleich, ist alles andere als glücklich. Irgendwie ist der Herr Kommissar (Ulrich Tukur) vom glückseligen, rotweinbeschwipsten, mit Bonmots um sich werfenden, stilvollem Lebemann zu einem Häufchen Elend mutiert. Eine traurige Gestalt.
Das Drehbuch von Florian Gallenberger, der auch Regie führte, schrieb Murot eine Depression an den Hals. Deshalb liegt er bei einem Analytiker (Martin Wuttke) auf einer Couch und gibt sein Innerstes preis. Seine Seelenpein ist ja auch nachvollziehbar: Jeden Tag dieselbe Leier, sinniert Murot, und „schwupps ist man 60 und hat keinen Sex mehr, dafür aber Rentenansprüche“. Und dann singt er ein Lied von früher, weil er sich darin wiederfindet, schließlich suchen wir doch alle nach einem „Stück vom Glück“ – ältere Semester werden es kennen: „Herr Rossi sucht das Glück“ heißt der Song aus dem Jahr 1976.
Von der Therapeutencouch wird Murot zu einem Leichenfund gerufen. Aber das ist ja gar kein Mordfall!, echauffiert sich Murot. Kollegin Wächter (Barbara Philipp) ist sichtlich irritiert über seine miese Laune. Doch die Pathologin (Eva Mattes – die Szenen mit ihr sind wunderbare Kabinettstücken an sich) klärt das Rätsel auf. Das Todesopfer ist verdurstet, steckte aber bis zum Hals in Wasser. Ja, und da wäre noch was: Der Bauchnabel fehlt, stattdessen wurde eine Art Steckdose, so etwas wie ein Port angelegt, so als ob man dort wieder eine Nabelschnur anstecken könnte …
Murot und Wächter plus zwei junge Kollegen ermitteln, dass die junge Frau als Investmentbänkerin arbeitete, so wie ein zweiter Toter – und auch ihm fehlt der Nabel. Es scheint, als ob sich beide einer seltsamen Behandlung unterzogen haben. Oder einer Art Gehirnwäsche. Freiwillig. Und natürlich geht es dabei ums Geld und eine echt perfide Geschäftsidee.
Auf höchstem Niveau visualisiert
Das alles ist toll inszeniert, vor allem weil es im Verlauf zu wirklich unerwarteten Szenen – sie wirken wie kleine Kurzfilme im Film – kommt. Denn Murots Vorstellungen von Glückseligkeit, tief aus seiner Seele hervorgeholt, werden auf höchstem Niveau visualisiert. Ja, „Murot und das Paradies“ ist wieder einer dieser herausragenden Murot-Krimis.
Ein Erzählstrang jedoch mutet seltsam an, das soll wohl lustig sein: Okay, der bizarr anmutende Port sieht eben aus wie ein Schlitz in der Bauchdecke. Aber warum es dann Vulva-Abdrücke der Toten und ihrer Freundin (der eingangs an Murot riechenden Frau) braucht und auch Witzeleien über Vagina-Cupcakes etc.? Das hätte man sich schenken können.
Der Rest des Krimis aber ist sehr zu empfehlen. Weil das Thema Glück so universell ist. Weil es schön absurd wird. Weil es tolle Wendungen gibt und super Einfälle. Und weil selbst ein depressiver Murot geniale Sprüche auf Lager hat. Etwa wenn er vom perfekten Glück, zum Beispiel in einem Traum, erzählt: „Aber wissen Sie was? Dafür sind wir Menschen nicht gemacht“, sagt er zu seinem Analytiker, also fürs perfekte Glück. „Das ist die Hölle.“
So lässt sich dann auch der Titel des Krimis verstehen. Das Paradies liegt ganz plump hinter einer Tür – und ist eben doch alles andere als das, sondern das Gegenteil. Doch Murot wird diese Schwelle überschreiten. Und Magda Wächter – was für ein treffender Nachname! – rettet ihrem Kollegen mal wieder den Arsch. Und ja, über allem weht Abschied. Hoffentlich gibt es noch mehr Fälle mit Murot und Wächter.