Gutgemeinter Rat an Thomas Gottschalk: Ach, Tommy!
Unser Autor ist mit Thomas Gottschalk als Radiomoderator aufgewachsen. Jetzt wünscht er ihm, einen besseren Umgang mit dem Altern zu finden.
A ch, Tommy, was machst du? Hast wieder ein Buch geschrieben, „Ungefiltert“ heißt es, am 16. Oktober erschienen. Und dazu greinst du jetzt Sachen in der Öffentlichkeit, damit die Leute das Buch kaufen. Sagst, dass dein Selbstwertgefühl bröckelt; dass du nicht mit einer Frau allein in den Aufzug steigst, weil die sonst vielleicht MeToo schreit; und dass du dich in eine Ecke gestellt fühlst.
Dabei hat der Herrgott dir doch nun wirklich alles gegeben, Tommy: Geld und Ruhm, Malibu und Haribo. Immer hast du in der Menge gebadet, alle überragend mit deinen blonden Locken.
Und jetzt? Gehen dir nicht nur die Haare aus, Tommy.
Kennst du die kleine Raupe aus dem Kinderbuch? Die nie satt wird, obwohl sie dauernd frisst? Ein bisschen wie du, oder, Tommy? Wie du dich immer immer weiter durch den Diskursjunkfood bohrst, auf der Jagd nach Bestätigung, und immer noch alle berühren möchtest – nur im übertragenen Sinn natürlich! Und dann wunderst du dich, dass dir schlecht wird wie der kleinen Raupe? Dass du wie ein alter Grantler rüberkommst?
Weißt du, was ich glaube, Tommy? Ich glaube, du drehst dich im Kreis. Du bist mit deinem bald Dreivierteljahrhundert auf dem Buckel in einen Strudel geraten. Und an dessen Grund blickt dir der unangenehmste Teil unserer Existenz entgegen. Der Tod, Tommy. Der auch dir – rein dienstlich, versteht sich – in halt nicht mehr so ferner Zukunft seine kalte Hand auf die breite Schulter legen wird.
Fun! Rock ’n’ Roll!
Ich kenne das, Tommy. Ich bin zwar erst Mitte 50. Aber auch ich spüre auf einmal meine Endlichkeit. Das macht mir Angst. Wie dir. Ich bin mit dir aufgewachsen, weißt du? Damals in den 1970ern, im Bayerischen Rundfunk. Für mich warst du eigentlich zu spät auf Sendung, mit deinem „Pop nach acht“, du warst mehr ein großer Bruder, wie meine echten großen Brüder, die dich ganz anhören durften.
Ah, der frische Wind der 70er, das beste Jahrzehnt, das wir erleben durften, oder? Die alten Deppen in ihren steifen Anzügen, die immer wie umgeschneiderte Wehrmachtsuniformen aussahen, sie waren grau und schwach geworden, hatten den Anschluss verloren (bisschen wie wir heute, was meinst du?) an die bunte neue Popwelt. Und die jungen Deppen mit ihrer pseudopolitischen Quarksprache standen zwar weiter auf der Spaßbremse – aber drauf geschissen, oder, Tommy? Fun! Rock ’n’ Roll!
Und dann, zehn Jahre später, „Wetten, dass ..?“ Weißt du, Tommy, dass du uns da als Familie noch mal alle gekriegt hast? Ein letztes Mal saßen wir bei dir zusammen, bis dann jeder seiner eigenen Wege ging. Und alles so schrecklich unübersichtlich wurde, oder, Tommy? Es ist doch jetzt schwierig, sich zurechtzufinden! Wem soll man es recht machen? Du möchtest doch nur, dass alle sich liebhaben. Aber wo sind alle?
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Ich weiß es auch nicht, Tommy. Aber ich weiß: Sie sind nicht mehr da, wo sie früher waren. Und du solltest da auch nicht mehr sein. Du hast mal deine Kinder geschlagen, hast du schon in deinem letzten Buch erzählt. Auch ich war schon mal nahe dran, das zu tun. Aber du brauchst das jetzt nicht mehr verteidigen. Dort, wo du damit punkten kannst, steht nur noch Hubert Aiwanger. Der ist dir jetzt beigesprungen. Glaubst du, dass Hubert Aiwanger dir deine Angst vor dem Tod nehmen kann, Tommy?
Ich seh dich ja mehr wie die Kleine Spinne, im anderen Klassiker von Eric Carle. Vielleicht hast du das mal deinen Buben vorgelesen? Ach, wahrscheinlich hattest du immer zu viel zu tun. Die kleine Spinne ist jedenfalls sehr fleißig. Und am Ende wird sie für ihren Fleiß gelobt. Weißt du, was die kleine Spinne macht mit dem Lob? Sie schweigt, Tommy. Sie schläft. Was meinst du, Tommy: Wäre das nicht auch was für dich?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld