Grundsatzurteil vom Bundesarbeitsgericht: Kündigung wegen Hetze im Chat
Jobverlust bei Rassismus, Hass und Hetze: Das Bundesarbeitsgericht sieht bei Whatsapp-Gruppen keine besonders hohe Vertraulichkeit.
Ein Feindbild scheint der polnische Geschäftsführer gewesen zu sein. Regelmäßig kam es zu Mord- und Vergewaltigungsfantasien. Zitate wie „Unter Hitler würde die Welt besser laufen“ zeigen den politischen Hintergrund der Chat-Teilnehmer. Die Chat-Inhalte wurden bekannt, als ein Mitglied einem außenstehenden Kollegen eine bestimmte Äußerung zeigte. Dieser nahm das Smartphone in die Hand und kopierte den Chatverlauf an seine eigene Adresse. Über Umwege kam die ausgedruckte Chatdokumentation zum Personalleiter, der die drei übelsten Hetzer nach einer Anhörung fristlos kündigte.
Die Betroffenen klagten gegen ihre Kündigung und beriefen sich darauf, dass ihre Chats den Betriebsfrieden nicht gestört hätten. Sie hätten auch nie vorgehabt, jemand zu ermorden, sondern wollten nur unter Vertrauten ihrem Ärger Luft machen. Da sie befreundet seien, hätten sie sich auch darauf verlassen können, dass alles in der Chatgruppe bleibe.
Mit dieser Argumentation hatten sie in den ersten beiden Instanzen Erfolg. Sowohl das Arbeitsgericht Hannover als auch das Landesarbeitsgericht (LAG) Niedersachsen hielten die fristlosen Kündigungen für unwirksam. Es fehle der „wichtige Grund“. In Chatgruppen von sechs bis sieben Personen habe die freie Entfaltung der Persönlichkeit Vorrang vor dem Ehrschutz von Außenstehenden.
Chat ist auf Weiterleitung von Nachrichten ausgelegt
Das sah das Bundesarbeitsgericht anders. In der Regel könne bei Whatsapp-Gruppen nicht darauf vertraut werden, dass nichts nach außen dringe. Das liege schon an der Technik, die auf die schnelle Weiterleitung von Nachrichten ausgelegt ist. Außerdem komme es auf den Inhalt des Chats an. Bei beleidigenden und menschenverachtenden Äußerungen über Betriebsangehörige ist besonders wenig damit zu rechnen, dass niemand etwas weitergibt oder weitererzählt. Dabei müssen die Teilnehmer nicht nur mit Reaktionen aus Empörung oder schlechtem Gewissen rechnen, sondern auch mit Sensationslust und Zeigefreudigkeit.
Das BAG entschied nun nicht abschließend, sondern verwies den Fall ans LAG Niedersachsen zurück. Dort können die drei Mitarbeiter noch einmal Argumente vorbringen, warum im Fall ihrer Gruppe doch mit dauerhafter Vertraulichkeit zu rechnen war.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Biden genehmigt Lieferung von Antipersonenminen
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört
Absagen vor Kunstsymposium
Logiken der Vermeidung