Grünen-Politikerin über Arbeitsmigration: „Eine Aufgabe für uns alle“
Damit Fachkräfte kommen, brauche es echte Willkommenskultur, sagt Misbah Khan. Ein Gespräch über globale Märkte und rechte Stimmungsmache.
taz: Frau Khan, der Bundesarbeitsminister hat Eckpunkte für die Fachkräfteeinwanderung vorgelegt. Welche Knackpunkte geht die Ampel an?
Misbah Khan: Wir brauchen jährlich 400.000 Arbeitskräfte aus dem Ausland zum Erhalt unseres Wohlstands und Sozialsystems. Also müssen wir Rahmenbedingungen schaffen, damit das möglich ist. Die wichtigsten drei Punkte sind die erleichterte Anerkennung von Qualifikationen aus dem Ausland, eine Verschlankung der Verwaltungsprozesse und eine Stärkung der Willkommenskultur.
Das finale Gesetz wird, anders als geplant, erst 2023 kommen. Gibt es Meinungsverschiedenheiten in der Ampel?
Das sehe ich an dieser Stelle gar nicht. Sicher gibt es Fragen, bei denen die Ampelparteien unterschiedlich ticken. Aber das betrifft eher das Asylrecht und weniger die Arbeits- und Bildungsmigration. Da haben wir alle drei ein sehr ähnliches Interesse und sehen ähnliche Herausforderungen.
Gehört dazu die Sorge vor der sogenannten Einwanderung in die Sozialsysteme?
Das ist eine Scheindebatte aus konservativer und AfD-Ecke und quantitativ überhaupt nicht belegbar. Deswegen bin ich auch wenig bereit, mich darauf einzulassen. Schauen Sie mal die Westbalkanregelung an, die es Menschen aus dieser Region unabhängig von Qualifikation ermöglicht, zur Erwerbsarbeit nach Deutschland zu kommen. Als die eingeführt wurde, wurde auch der Untergang Deutschlands herbeigeredet. Das Gegenteil ist wahr: Ohne diese Menschen wären wir heute in einer noch viel schlimmeren Arbeitsmarktsituation. Deswegen wollen wir diese Regelung entfristen und ausweiten.
Wie stellt man sicher, dass genau die Leute kommen, die die deutsche Wirtschaft braucht?
Es gibt in Deutschland immer noch diese absurde Vorstellung, dass wir uns handverlesen die Besten der Besten auf dem globalen Arbeitsmarkt aussuchen, die dann mit Freudentränen in den Augen zu uns kommen. Wir brauchen jedes Jahr eine sechsstellige Zahl an Menschen, und zwar längst nicht nur qualifizierte Arbeitskräfte. Deutschland buhlt mit vielen Ländern um Arbeitsmigrant*innen – und die sind mitunter attraktiver.
32 Jahre, sitzt seit 2021 für die Grünen im Bundestag. Sie ist Mitglied im Innenausschuss und in der Fraktion zuständig für Arbeits- und Bildungsmigration.
In den Eckpunkten heißt es, Deutschland solle als Einwanderungsland attraktiver werden. Da ist von familienfreundlicheren Verfahren die Rede, von einem „Welcome-Plan“ und einem Kulturwandel.
Das ist ein guter Anfang. Aber wir brauchen viel mehr, das kann nicht nur das Fachkräfteeinwanderungsgesetz lösen. Es braucht eine gesamtgesellschaftliche Kraftanstrengung. Integration darf nicht länger nur eine Bringschuld derer sein, die herkommen, sondern ist eine Aufgabe auch für uns als Aufnahmegesellschaft. Die Menschen müssen sich hier zu Hause fühlen, sonst bleiben sie nicht.
Von branchenspezifischen Akteuren höre ich immer wieder, Deutschland sei für viele Hochqualifizierte wenig attraktiv – eben weil es nicht dieses Signal gibt: Ihr seid hier gewollt, ihr seid willkommen. Populistische Stimmungsmache aus der Opposition und Angriffe auf Geflüchtete haben eine starke Außenwirkung. Und es ist auch nicht hilfreich, wenn Bundesinnenministerin Nancy Faeser vor der vermeintlichen Gefahr durch illegale Migration warnt.
Sie sehen da kein Problem?
Ich halte es für das falsche Signal, zu sagen: Deutschland muss die harte Hand ausfahren, um Migration zu drosseln, weil wir überfordert sind. Wir sind dann überfordert, wenn wir weitermachen wie bisher und keinen deutlichen Zuwachs an Arbeitskräften bekommen.
Beim Thema Grenzschutz geht es aber nicht um Arbeitsmigrant*innen.
Diese Art der Debatten hat aber einen negativen Effekt auf das gesellschaftliche Klima in Gänze, die Konsequenzen tragen dann alle BIPoCs. Wir suchen Arbeitskräfte, und die werden zu einem großen Teil aus Ländern kommen, in denen die Mehrheit nicht-weiß ist. Schon heute haben wir an den Kliniken viele Ärzt*innen aus Syrien. Jede nicht-weiße Person in Deutschland hat Sorgen und Ängste, wenn Unterkünfte von Geflüchteten in Brand gesteckt werden.
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