Grünen-Politiker über Iranpolitik: „Das muss alles auf den Tisch“
Nach der Hinrichtung eines Regimekritikers fordert Omid Nouripour von der Bundesregierung klare Worte. Sie soll Irans Außenminister notfalls ausladen.
taz: Herr Nouripour, vergangene Woche ist die internationale Solidaritätskampagne für Navid Afkari, getragen von Sportler*innen und Verbänden, so richtig angelaufen. Trotzdem richtete der Iran den regimekritischen Ringer am Samstag hin – früher als erwartet. Hat Sie die Nachricht überrascht?
Omid Nouripour: Entsetzt, aber nicht überrascht, denn die Willkür hat System. Drei Wochen vorher gab es drei Todesurteile, die nach internationalem Protest ausgesetzt wurden. Von draußen ist nicht zu durchschauen, wie es dazu kam. Wir reden hier von Millimeterentscheidungen, so dass man die Aufmerksamkeit einfach aufrechterhalten muss – ohne Gewähr, dass man Erfolg hat.
Hat die Bundesregierung dazu im Fall Afkari genug beigetragen?
Ich hätte mir eine frühere und vor allem lautere Stimme gewünscht. Es gab internationale Appelle aller Art, vom Ringerverband über die Fifa bis zum IOC. Auch zahlreiche Staats- und Regierungschefs haben sich geäußert. Man kann darüber räsonieren, ob es hilfreich war, dass sich auch Donald Trump eingeschaltet hat. Das Räsonieren hilft nur nichts, weil das die Verantwortung derjenigen relativiert, die Afkari hingerichtet haben. Aber klar hätte die Bundesregierung mehr tun können und müssen.
45, sitzt seit 2006 für die Grünen im Bundestag und ist außenpolitischer Sprecher seiner Fraktion.
Was denn?
Es gab ein sehr, sehr spätes Statement der Menschenrechtsbeauftragten. Für dieses Statement bin ich dankbar, aber mehr gab es aus der Regierung offiziell nicht. Das Grundproblem ist allerdings nicht die Geschwindigkeit im Einzelfall, sondern die Grundlogik: Wir wollen das Atomabkommen retten – was ich teile –, und deshalb müssen wir jetzt an anderer Stelle leiser sein. Das ist falsch. Es hilft beim Atomabkommen keine Sekunde, die Menschenrechtsfrage nicht zu thematisieren.
Das Abkommen wackelt enorm. Beim Versuch, es zu retten, könnte zu viel Druck doch tatsächlich schaden.
Was heißt zu viel Druck? Die Amerikaner fahren mit ihren Sanktionen die Strategie des Maximum Pressure. Mehr Druck ökonomischer Art geht nicht. Dieser Druck wird im Iran weitgehend weitergegeben an die eigene Bevölkerung. Der Zivilgesellschaft wird zunehmend die Luft zum Atmen genommen. Allein schon, weil wir nicht diese Strategie fahren und im Iran eine ganz andere Glaubwürdigkeit haben als die Amerikaner, wäre es nicht nur sinnvoll, sondern dringend geboten, dass wir die Menschenrechtsfrage deutlich artikulieren.
Iranischen Medien zufolge reist diese Woche Außenminister Sarif nach Berlin. Nach der Hinrichtung Afkaris gibt es Forderungen, ihn auszuladen. Was halten Sie davon?
Ich halte grundsätzlich wenig davon, die diplomatischen Drähte, die gerade für Krisenzeiten da sind, zu kappen. Normalerweise bin ich dafür, dass die Leute kommen und das Richtige zu hören bekommen. Aber mir fehlt das Vertrauen dafür, dass die Bundesregierung die richtigen Themen anspricht. Bevor die Leisetreterei weitergeht, bin ich dafür, dass Sarif nicht kommt.
Was sollte Heiko Maas seinem Amtskollegen sagen?
Das wir nicht auf der amerikanischen Seite des Maximum Pressure stehen, aber auch nicht einfach zuschauen können, wie die Hinrichtungen weitergehen. Im November 2019 sind mehr als 1.500 Menschen auf den Straßen erschossen worden, weil sie gegen die Benzinpreise protestiert haben. Es gibt eine Reihe von Todesurteilen. Die Zahl der politischen Gefangenen ist erheblich. Das muss alles auf den Tisch. Wenn wir nur über das Atomabkommen reden, wird sich an der anderen Baustelle nichts ändern.
Wird sich durch eine klare Ansage allein etwas ändern?
Wir wissen es nicht. Aber wir wissen, dass es Fälle gab, wo internationale Proteste den Unterschied ausgemacht haben. Deswegen muss man es versuchen, wenn man danach noch in den Spiegel schauen will. Der einzige Schutz für die Leute in den Foltergefängnissen ist oft unsere Aufmerksamkeit. Wenn wir ihnen diese nicht schenken, dann haben sie nichts mehr.
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