piwik no script img

Grünen-Landesparteitag am 9. Dezember„18,4 Prozent sind nicht das Ende“

Tanja Prinz, Grünen-Vorsitzkandidatin aus dem Realo-Lager, sieht mehr Potenzial für ihre Partei und will auch vom linken Flügel gewählt werden.

Wenn die Berliner Grünen ihren Parteivorstand neu wählen, will Tanja Prinz Landesvorsitzende werden
Interview von Stefan Alberti

taz: Frau Prinz, sitzt vor uns nun die offizielle Kandidatin des Realo-Flügels?

Tanja Prinz: Ich bewerbe mich als Vorsitzende der Berliner Grünen und das ist auch mein Anspruch: das Ganze im Blick haben. Aber ja, der realpolitisch orientierte Teil der Partei hat mir am Ende des Tages mehrheitlich sein Vertrauen geschenkt und dafür bin ich sehr dankbar.

Im Interview: Tanja Prinz

Tanja Prinz, 44, ist dreifache Mutter und seit Ende 2022 Referats­leiterin in der damals grün, nun SPD-geführten Senatsverwaltung für Gesundheit. Sie studierte in Bamberg und Bremen, war einige Jahre PR-Beraterin und dann fast 14 Jahre lang Referentin in der Bremer Landesvertretung in Berlin. Sie ist Mitglied im Grünen-Kreisvorstand von Tempelhof-Schöneberg. Am Freitagabend setzte sie sich in einer Realo-internen Abstimmung knapp gegen die bisherige Landesvorsitzende Susanne Mertens durch. (sta)

Mehrfach war aber nach ihrem knappen Erfolg gegen die bisherige Landeschefin Susanne Mertens von der Variante zu hören, dass sich noch eine dritte Kandidatin findet. Halten Sie das für ausgeschlossen?

Als Kandidatin fände ich es unangemessen, irgendwas auszuschließen. Es geht doch darum, ob jemand sich engagieren möchte und der Partei ein überzeugendes Angebot machen kann und will. Und das steht allen frei. Wer bin ich, anderen das abzusprechen. Ich für meinen Teil will dazu beitragen, dass wir das Potenzial der Partei voll ausschöpfen und unsere Ideen für ein ökologisches, soziales und wirtschaftlich nachhaltiges Berlin weiterentwickeln. Letztlich geht es doch darum, den Bür­ge­r*in­nen ein überzeugendes Angebot zu machen. Ich kenne die Partei jetzt sehr lange, engagiere mich hier seit vielen Jahren. Und ich glaube, dass wir noch stärker werden können.

Im März waren Sie noch eine wenig beklatschte Stimme beim kleinen Parteitag, die eine kritischere Aufarbeitung des Wahlausgangs forderte. Nur acht Monate später sind Sie die mögliche Landeschefin. Was ist inzwischen passiert?

Ich habe das Wahlergebnis sehr genau durchleuchtet und versucht zu verstehen, warum wir unter unserem Potenzial geblieben sind. Einsicht ist der erste Schritt zur Besserung. Wir wollen doch Berlin gestalten – und das geht nicht von der Seitenlinie. Deswegen war mir wichtig, dass wir nicht gleich zur Tagesordnung übergehen, sondern uns analysieren und vielleicht auch schauen, was andere besser gemacht haben. Die 18,4 Prozent sind noch nicht das Ende der Fahnenstange für uns in Berlin. Ich vergleiche das auch mit den Wahlergebnissen, die wir in anderen großen Städten eingefahren haben, sei es in München, Hamburg oder Hannover.

Der Anspruch vor der Wahl war ja auch, die Regierungschefin zu stellen, was in Umfragen lange möglich schien. Nachher aber hieß es oft nur: „Oh toll, 18,4 Prozent, das zweitbeste Ergebnis, das wir je hatten“.

Das Ergebnis ist ja auch respektabel. Ich sehe für uns aber mehr Potenzial.

Und wer war schuld, dass die Grünen das bei der Wahl nicht ausschöpften?

Es gab unterschiedliche Einschätzungen über die Strategie. Sagt man, dass man natürlich Rot-Grün-Rot fortsetzen will, schließt man andere Koalitionen partout aus – oder geht man den Kurs der Eigenständigkeit? Das bedeutet, als Partei erstmal für uns das beste Ergebnis rauszuholen, für unsere Position zu streiten und nach der Wahl mit den anderen demokratischen Parteien zu reden.

Sie sprechen in Ihrem Bewerbungsvideo von Bündnisfähigkeit und mehr Blick auf die Außenbezirke, wo zwei Drittel aller Berliner wohnen. Die Noch-Vorsitzende Mertens stand mit ihrer Vita genau dafür. Warum wollten Sie sie dann ablösen?

Ich glaube, politisch waren wir schon einmal weiter, was die Bündnisfähigkeit betrifft. Und ja, das ist herausfordernd, sich auch mit ganz anderen Positionen zu beschäftigen und dennoch Gemeinsamkeiten herauszuschälen. Am Ende profitieren aber alle mehr, davon bin ich überzeugt. Die Außenbezirke gehören für mich stärker ins Zentrum der politischen Debatte und noch wichtiger: des tatsächlichen Handelns.

Sie sind da auch zuhause …

Ja, auch ich wohne außerhalb des S-Bahnrings und hatte meinen Wahlkreis in Lichtenrade, wo die CDU ihre höchsten Zustimmungswerte in ganz Berlin bekam. Ich wünsche mir da bei uns Grünen eine andere Dynamik. Das hat auch mit der Perspektive zu tun, aus der heraus man Politik macht. Im Zentrum gibt es andere Bedürfnisse als in den äußeren Stadtteilen.

Was hat denn Frau Mertens aus ihrer Sicht nicht richtig gemacht?

Susanne Mertens hat sich voll in den Dienst der Partei gestellt und ich rechne ihr das hoch an, genauso wie den Schritt zur Seite, den sie nun gemacht hat.

Zur Seite? Sie tritt nicht mehr an und damit nach hinten ab.

Ich möchte eher darüber sprechen, was ich als Vorsitzende vorantreiben würde. Unsere Partei ist in den letzten Jahren stark gewachsen, in allen Bezirken engagieren sich Mitglieder mit viel Herzblut. Ich glaube deshalb, dass ein kritischer Blick wichtig ist, ob unsere Strukturen diese Vielfalt auch abbilden. Ich fände es gut, wenn wir diesen unterschiedlichen Perspektiven aus den Bezirken auch im Landesvorstand mehr Raum einräumen würden.

Der Letzte, der so prominent seine Vorgängerin verdrängt hat, war 2019 Kai Wegner. Der meinte damals, damit Berlin und seine CDU retten zu müssen. Was war denn Ihr Damaskus-Erlebnis für Ihre Kandidatur?

Also retten muss ich die Grünen nicht. Wir sind insgesamt gut aufgestellt, regieren aktuell in elf Bundesländern mit – Hessen noch eingeschlossen. Umso mehr hat es mir weh getan, dass wir ausgerechnet in der Hauptstadt Berlin aus der Regierung gehen mussten, weil wir nicht die Weichen gestellt hatten, weiter Teil der Landesregierung zu sein. Das ist einer der Punkte, die ich ändern will.

Einige hätten jetzt nachgefragt: Damaskus-Erlebnis? Ihnen ist also dieses Bibel-Bild für einen abrupten Wendepunkt nicht fremd. Sie haben ja auch manche Grüne mit der Aufforderung geschockt, zu den katholischen Kolpingsfamilien zu gehen. Welche Rolle spielen Glauben und Kirche bei Ihnen?

In meinem Leben keine zentrale. Aber ich sehe die kirchlichen Gruppen immer noch als starke Ak­teu­r*in­nen in der Zivilgesellschaft. Und da gibt es viele Anknüpfungspunkte. In meinem Wahlkreis gibt es etwa die Ökumenische Umweltgruppe, die sich auch für den Umbau des öffentlichen Raums einsetzt. Und die Salvator-Gemeinde hatte mich als Direktkandidatin zweimal eingeladen.

Die Grünen schienen doch nach der Wahl in den Sondierungen bereits kurz vor einer bürgerlichen Koalition mit der CDU. Oder wäre die bei einem Landesparteitag gegen den linken Flügel nie durchgekommen?

Ich habe auch bei der SPD nicht vermutet, dass es so knapp werden könnte, als die über den Koalitionsvertrag mit der CDU abgestimmt hat. Es hatte ja schon auch etwas Absurdes, dass die SPD vor Schwarz-Grün warnte und dies dann verhinderte, indem sie sich der CDU andiente. Vielleicht ging es dabei dann doch eher um Macherhalt und weniger um Berlin. Selbstkritisch: unsere klare Wahlaussage vorher, die Koalition mit SPD und Linkspartei fortzusetzen, hat nicht dazu beigetragen, unsere grüne Eigenständigkeit zu unterstreichen. Nach der Wahl schaut man, mit wem man grüne Inhalte am besten umsetzen kann. Da ich lange für ein rot-grün regiertes Land gearbeitet habe …

Bremen …

…, ist aber auch klar, dass ich weiterhin viele Schnittmengen mit der SPD sehe.

Das System mit der doppelt quotierten grünen Doppelspitze ist ein sehr fragiles. Beide Spitzenleute sollen ja nicht für ihren Flügel, sondern für die ganze Partei sprechen. Wie geht das, wenn Sie in eine Richtung wollen, die mit dem linken Lager nicht zu machen ist?

Natürlich will ich die ganze Partei vertreten, und ich trete an auf Basis des aktuellen Wahlprogrammes und der aktuellen Beschlusslage. Aber natürlich ist das nicht in Stein gemeißelt: die Stadt entwickelt sich, wir müssen immer mehr mit den Folgen globaler Krisen umgehen, die uns auch hier betreffen.

Konkret welche?

Denken Sie an die Klimaveränderungen, die Geflüchteten infolge des schrecklichen Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine, die Auswirkungen der Inflation, unter der vor allem Menschen mit wenig Geld stärker leiden. Auf all das müssen wir ja auch reagieren und praktikable Lösungen anbieten. Letztlich gilt, wer meint, dass es programmatische Änderungen braucht, muss dafür Mehrheiten organisieren. In Berlin haben wir dafür jetzt ein bisschen Zeit, gewählt wird 2026.

Bundesweit ringen die Grünen gerade um den Kurs in der Migrationspolitik. Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat jüngst in der taz seine Sicht so beschrieben: „Runter von der Bremse bei der Eindämmung der irregulären Migration“. Ist das auch Ihre Haltung?

Das Grundrecht auf Asyl darf nicht angetastet werden. Punkt. Ich sehe allerdings schon, dass wir an gewisse Kapazitäten anstoßen.

Zum jetzigen Asylrecht gehört qua Gesetz auch, dass die wieder gehen müssen, deren Antrag nicht erfolgreich ist. Das lehnen viele in Ihrer Partei ab.

Unsere Bundesvorsitzende Ricarda Lang und Winfried Kretschmann haben die Notwendigkeit von Humanität und Ordnung in einem Gastbeitrag gut beschrieben. Das eine bedingt das andere. Nur so können wir denjenigen Schutz geben, die vor Krieg und Verfolgung geflohen sind, etwa aus der Ukraine, aus Syrien oder Afghanistan.

Kretschmann sagte im taz-Interview auch: „Die Leute haben das Gefühl, die Grünen sagen ihnen, wie sie heizen sollen, wie sie sich fortbewegen sollen, wie sie essen sollen, und wir sagen ihnen zum Schluss sogar, wie sie reden dürfen und wie nicht.“ Das nerve zunehmend. Hat er Recht?

Kretschmanns Beschreibung, dass uns manche das im politischen Wettkampf zuschreiben wollen, ist erst einmal richtig. Und damit müssen wir einen Umgang finden. Ich sehe uns eher als Freiheitspartei, die Chancen aufzeigt und Angebote schafft. Und natürlich sollen alle so reden, wie sie mögen. Ich persönlich achte darauf, dass ich möglichst diskriminierungsfrei spreche, dass ich gendere. Aber das ist meine Entscheidung, die ich mir auch nicht verbieten lassen will. Ich versuche wenig Fleisch, dafür aber bewusst Bio zu essen. Aber das ist meine Entscheidung.

Also kein Veggie-Tag, wie er Renate Künast mal vorschwebte, an dem es in öffentlichen Kantinen kein Fleisch gibt?

Angebote schaffen, damit die Menschen eine echte Wahl haben – darum geht es doch. So wie hier in der taz-Kantine (wo es auch Fleisch gibt, d.Red). Und dazu gehört natürlich, immer mindestens ein vegetarisches Gericht anzubieten, gern auch vegan.

Bei dem, was Sie jetzt so gesagt haben, kann man zumindest bezweifeln, dass eine Katrin Schmidberger oder andere führende Leute vom linken Flügel beim Parteitag für Sie stimmen.

Also, mit Katrin habe ich schon bei der Grünen Jugend angefangen und Politik gemacht. Wir kennen uns lange, haben zusammen in Turnhallen übernachtet. Katrin brennt, setzt sich für ein sozialeres Berlin ein – solche Leute brauchen wir.

Was nichts daran ändert, dass sie einen anderen Blick auf die Welt hat als Sie. Ist es so ausgeschlossen, dass der linke Flügel sagt: Nicht mit Tanja Prinz, dann lieber die Doppelspitze doppelt links besetzen?

Ich halte das für nicht sehr wahrscheinlich.

Die Linken ziehen also mit beim Parteitag am 9. Dezember ?

Davon gehe ich aus. Wir sind eine Partei.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Auch die Grünen wären besser beraten, wenn sie aufhören würden, vom Erfolg der fetten Werbesprüche zu träumen, sondern einsehen würden, daß zunehmend per Saldo des (immer häufiger überzogenen) Bankkontos gewählt werden. Umweltschutz u.v.a. wird recht schnell uninteressant, wenn immer mehr Menschen nicht mehr wissen, wie sie astronomisch hohe Mieten, Strom- und Heizkosten noch bezahlen können.