Parteitag der Berliner Grünen: Blick voraus auf 2026
Grüne halten an Bettina Jarasch als Führungsfigur fest und gucken bereits auf die nächste Wahl. Kritik an ihr bleibt trotz drohender Opposition aus.
Berlin taz | Demonstrierte Einigkeit statt Scherbengericht, Beifall statt Demontage der zum zweiten Mal erfolglosen Spitzenkandidatin Bettina Jarasch, Entschlossenheit statt Verzweiflung: Die Berliner Grünen, überraschend mutmaßlich künftig in der Opposition, haben am Dienstagabend auf die von ihnen verlorene Wahl vom 12. Februar zurück, aber durchaus auch schon auf die nächste Berlin-Wahl 2026 vorausgeschaut. Jarasch soll dabei eine Führungsrolle behalten: Sie will als neue Fraktionschefin kandidieren – die bisherige Vorsitzende Silke Gebel will nicht erneut antreten.
Jarasch war die erste Rednerin bei einem kleinen Parteitag in Friedrichshain, bei dem die Grünen eigentlich nach dem Ende der Sondierungen über mögliche Koalitionsoptionen abstimmen wollten. Das überraschende Angebot der SPD zu einer schwarz-roten Koalition und seine ebenso schnelle Annahme durch den nun designierten künftigen Regierungschef Kai Wegner aber änderten die Tagesordnung grundsätzlich.
Eine Kandidatin, die einen Umfragevorsprung nicht nutzt, einen suboptimalen Wahlkampf hinlegt und so das Ziel verpasst, erste grüne Regierungschefin nicht nur in Berlin, sondern in ganz Deutschland zu werden, das hatte der grüne Landesverband schon mal. 2011 ging die vormalige Bundesministerin und Bundestagsfraktionschefin Renate Künast als Spitzenkandidatin mit großem Vorsprung in den Wahlkampf, doch die Grünen landeten nachher nur auf Platz 3 hinter SPD und CDU. Kurz danach platzte auch noch eine immerhin sicher geglaubte rot-grüne Koalition gleich beim ersten Gespräch mit der SPD darüber.
Eine ähnliche Konstellation also, aber der Umgang der Grünen damit war damals ganz anders: Bei einem zur Aufarbeitung angesetzten Parteitag gab es nicht Beifall für die Spitzenkandidatin, sondern heftige Kritik an ihr. Offene Flügelkämpfe dominierten über Wochen und Monate die Partei, sogar Künasts Karriere im Bundestag schien beendet. „Der große Graben“ überschrieb die taz in Anlehnung an einen Asterix-Titel einen Text vom Parteitag.
Der Dienstagabend bot ein ganz anderes Bild. Schon am Nachmittag hatte die Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus mitgeteilt, dass Silke Gebel, dort bislang Co-Chefin mit Werner Graf, nicht erneut kandidiert und damit Platz macht, um Jarasch, die Noch-Verkehrssenatorin, in einer Führungsrolle zu halten. Sie habe entschieden, „für Bettina einen Schritt zur Seite zu machen“, sagte Gebel am Abend vor knapp 100 Teilnehmern am Parteitag.
Jarasch selbst mühte sich dort als erste Rednerin, einen nur negativen Blick auf den Wahlausgang zu vermeiden. Die Grünen hätten ihr „historisch bestes“ Wahlergebnis gehalten, sagte sie vielmehr. Was nicht ganz stimmt, denn gegenüber der nun wiederholten Wahl vom September 2021 am 12. Februar schnitten die Grünen mit 18,4 Prozent einen halben Prozentpunkt schlechter ab.
Ein anderer Redner wies später darauf hin, dass sich die Grünen schon seit 2011 – als sie nach dem Künast-Wahlkampf bei 17,6 Prozent landeten – auf diesem Niveau bewegen würden, seither aber keine großen Fortschritte gemacht haben. Noch Ende November, zweieinhalb Monate vor der Abgeordnetenhauswahl, hatten die Grünen in einer Umfrage vor CDU und SPD gelegen. In der taz versprach Jarasch damals mit Blick auf die Wahlwiederholung: „Ich werde diese zweite Chance nutzen.“
Kritik an Jarasch aber blieb anders als 2011 nach der Künast-Niederlage aus. Applaus und teilweise Juchzen begleitete ihre Rede. In Richtung einer Analayse, für die sich die Partei Zeit lassen will, sagte sie, man müsse die Menschen mehr mit ihren Lebensbedürfnissen ansprechen. Die außerhalb der Partei stark kritisierte erneute Sperrung der Friedrichstraße kurz vor der Wahl auf Jaraschs Betreiben hin spielte beim Parteitag keine Rolle. Nach Einschätzung vieler Beobachter hat diese Entscheidung die Grünen außerhalb ihres Kernklientels Stimmen gekostet.
Die Ex-Spitzenkandidatin und grüne Verhandlungsführerin bei den Sondierungen wehrte sich gegen Aussagen von SPD-Chefin Franziska Giffey über den Verlauf dieser Gespräche. Anders als von der Sozialdemokratin dargestellt, war eine fortgesetzte rot-grün-rote Koalition laut Jarasch auf dem Weg, alle wesentlichen Punkte seien besprochen worden. „Alles, was die Giffey-SPD erzählt hat, um Schwarz-Rot zu rechtfertigen, ist Unsinn“, sagte Jarasch. Die künftige Koalition stehe „unter keinem guten Stern“.
Mit Blick auf die nächste Berlin-Wahl 2026 regte Jarasch an: „Wir werden uns Machtoptionen jenseits dieser SPD (gemeint ist die weiter von Franziska Giffey geführte, d. taz) erarbeiten müssen – daran führt kein Weg vorbei.“ Darunter versteht sie Gespräche mit liberalen Kräften in der CDU und progressiven in der SPD, aber auch noch mehr: „Wir sollten auch mit der FDP reden, auch die können wieder kommen.“ Die FDP war am 12. Februar an der 5-Prozent-Hürde gescheitert. Die Linkspartei erwähnte Jarasch nicht.
Katrin Schmidberger, führende Kraft des im grünen Landesverband dominierenden linken Parteilagers, ging das hörbar zu weit. „Offenheit zeigen, ja, aber nicht Postionen aufgeben“, sagte sie, als sie kurz nach Jarasch am Mikro stand. Von einer Äquidistanz, einem gleichen Abstand zu anderen demokratischen Parteien, bei den Grünen schon zu Künasts Zeiten umstritten, wollte sie nichts wissen. Wie mehrere andere Grüne beschrieb Schmidberger eine Phase von Schock, Tränen und Entäuschung seit der SPD-Offerte an die CDU vor acht Tage, noch während des letzten schwarz-grünen Sondierungsgesprächs. Den „blanken Horror vor Augen“ hätten viele, mit denen sie danach sprach.
Auch wenn sich die Partei am Dienstag auf Opposition einstellte und bereits auf die – wegen der fortlaufenden, 2021 begonnenen Wahlperiode – schon in dreieinhalb Jahren anstehende nächste Berlin-Wahl schaute: Fraktionschef Werner Graf, der künftig mit Jarasch statt mit Gebel die Doppelspitze bilden will, hatte noch eine Alternative vor Augen. „Ihr habt es noch in der Hand“, sagte er in Richtung der rund 20.000 Berliner SPD-Mitglieder, die über einen schwarz-roten Koalitionsvertrag abstimmen sollen, „sagt Nein zu Benzin und Beton, sagt Nein zu diesen schwarz-roten Koalitionsverhandlungen.“
Leser*innenkommentare
Hans-Jürgen Heusel
Interessant: Die LINKE mit 12,2% spielt für Jarasch keine Rolle mehr.
Die SPD-Mitglieder sollen nach Jaraschs Wunsch die schwarz-rote Koalition verhindern. Und was folgt dann? Die schwarz-grüne.
Steht Jarasch noch zu ihrer Aussage, am 26.3. für "CO²-frei 2030" stimmen zu wollen? Was sagt der zukünftige schwarz-gelbe Koalitionspartner dazu?
Lindenberg
Jarasch blinkt zur FDP und erwähnt die erfolgreiche Politik der Linken in der Koalition überhaupt nicht. Das nährt den Verdacht, dass sich Jarasch am liebsten nach ganz links einmauern würde. Die progressiven Linken bei der SPD und die Linke werden es ihr danken.
Warum mit SPD und CDU sprechen, wenn die den Rand des Tempelhofer Feldes betonieren, die Stadtautobahn weiterbauen, den Volksentscheid zu den Immobilien-Konzernen torpedieren und es ansonsten dem Auto so bequem wie möglich machen?
blutorange
@Lindenberg Ja genau, und mit der FDP sogar auch noch reden wollen, die all das oben genannte auch vertreten und aus gutem Grund über die 5 Prozent nicht mehr hinauskamen. Dagegen die sehr viel erfolgreichere Linkspartei nicht mal als Gesprächspartnerin zu erwähnen, ist schon seltsam.
Philippo1000
Vorausgeschickt:
eine Verlängerung der bestehenden Koalition wäre mein Wunsch gewesen.
Dass bei den Grünen derzeit keinE AnderEr Lust hat, im kommenden inhaltlichen Nachklapp plötzlich für Jaraschs Fehler gerade zu stehen, ist nachvollziehbar.
Das hat weniger mit der Überzeugung für Ihre Person zu tun.
Selbst wenn einE NeueR Kandidatln auftaucht, muss der/ die erstmal aufgebaut werden.
Jarraschs nicht vorhandene Selbstkritik spricht Bände.
Da Sie außerdem nun "für Alle offen" sein will, spricht für eine Anwendung der Grünen von Ihren Inhalten.
Das ist sehr bedauerlich.
Leider stehen die Grünen so nur als " schlechte Verlierer" da, die die CDU Hochzeit nicht als Erste eingegangen sind.
"Moralische Bedenken", lassen sich nun selbst gutmütige Großmütterchen nicht mehr verkaufen.
Andreas_2020
Öffnung zu FDP und CDU, um aus der Falle der SPD zu entweichen. Allerdings frage ich mich dann, was das gemeinsame Projekt mit der bürgerlichen Mitte sein kann.
Ich finde es bemerkenswert, dass die Spitzenkandidatin so schnell aus der Aufarbeitung der Wahl und Regierungsbildung aussteigt. Es wäre jetzt der richtige Zeitpunkt gewesen, offen zu reden. Dass alle es vermeiden wollten, dass sich die Grünen innerlich in Streit verlieren, ist löblich, aber eventuell auch nicht produktiv, weil die Öffnung zu FDP und CDU heißt vor allem, die Stadt für internationale Investoren zu öffnen, sozialen Ausgleich auf dem Wohnungsmarkt zu reduzieren. Bei FDP und CDU geht es darum, Berlin durch den Bau von Eigentumswohnungen und teuren Mietwohnungen zu einer echten Hauptstadt zu machen, so wie in London oder Paris, wo Normalos gar nicht leben können. Solche Käufer und Mieter sind oft auch diejenigen, die nach bestimmten Dingen verlangen, die große SUV fahren etc. Ob das für die Grünen wirklich eine gute Idee ist?
Und dann innere Sicherheit: Die CDU hat wenig Gefallen an einer offenen, liberalen Stadt, die wollten kontrollieren, abschiebend und Knäste befüllen, die wollen offensiv ein Gefühl der Sicherheit herstellen. Ob das zu den Grünen passt?
Es wäre vielleicht gut gewesen, offen zu reden.
Wie soll Berlin 2030 aussehen?
Eine Oase für Investoren, mit Miniklimafreundlichkeit, mit dicken SUVs und ab und an einem Radfahrer, mit armen Menschen im Umland, die dann mit dem €49 manchmal in die Stadt fahren können. Ist das die Version? Dann sollten die Grünen jetzt mal alles sich genau ansehen, was SPD und CDU machen, was die FDP so von sich gibt.