Grünen-Kandidatin über Wohnungspolitik: „Selbst CDU-Wähler sind für den Mietendeckel“
Die Kreuzberger Grüne Katrin Schmidberger will in den Bundestag. Im taz-Interview fordert sie mehr Umverteilung und kritisiert die Mietenpolitik der Ampel.
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taz: Frau Schmidberger, Berlin-Friedrichshain-Kreuzberg – Prenzlauer Berg Ost gilt als sichere Bank für die Grünen, seit Hans-Christian Ströbele 2002 den Wahlkreis das erste Mal gewonnen hat. Glauben Sie, dass Sie auch dieses Mal das Direktmandat für die Grünen holen werden?
Schmidberger: In der Demokratie ist nichts selbstverständlich. Die Wähler werden das entscheiden. Ich bin täglich im Wahlkreis unterwegs. Wir machen viele Infostände, wir klingeln an den Haustüren. Das Feedback der Menschen ist immer sehr gut. Deshalb bin ich optimistisch.
taz: In der Ampelkoalition standen die Grünen viel in der Kritik, auch von linker Seite. Einmal war da die Räumung Lützeraths, dann Waffenlieferungen im Ukraine- und Gazakrieg, bis hin zur Unterstützung menschenrechtlich fragwürdiger Migrationspolitik. Merken Sie auf der Straße, dass Menschen enttäuscht von den Grünen sind?
Schmidberger: Viele Leute sagen uns, dass sie uns mehr kämpfen sehen wollen. Sie verstehen oft, dass wir Kompromisse machen mussten oder auch einfach keine politische Mehrheit hatten in der Koalition. Das gehört zum Regieren dazu. Aber dieses Schönreden von Kompromissen, das stört viele Menschen. Da fühlen sie sich auch nicht ernst genommen in ihrer Kritik.
sitzt seit 2011 für die Grünen im Abgeordnetenhaus und ist dort Sprecherin ihrer Fraktion für Mieten und Wohnen. Zuvor arbeitete die Kreuzbergerin acht Jahre im Bundestagsbüro von Hans-Christian Ströbele. Die 42-Jährige tritt bei der Bundestagswahl im Wahlkreis Friedrichshain-Kreuzberg – Prenzlauer Berg Ost für die Grünen als Direktkandidatin an.
taz: Wie ginge es besser?
Schmidberger: Ich finde, wir als Grüne hätten noch mehr das Thema Umverteilung ins Zentrum unserer Politik stellen müssen. Die Menschen merken, dass es nicht mehr gerecht zugeht. Und wenn sie dann das Gefühl haben, dass der Staat sich nicht mehr um eine gerechte Verteilung von Ressourcen, Vermögen und Wohnungen kümmert, dann gerät unsere Demokratie in die Schieflage. Keine spürbare Entlastung beim Bürger*innengeld, kein Klimageld, keine Kindergrundsicherung – wir haben als Ampel hier nicht geliefert und das ist fatal. Kein Wunder, dass das Heizungsgesetz bei den Menschen für Verlustangst gesorgt hat.
taz: Momentan läuft der Kanzlerkandidat der Grünen eher den aktuellen Migrationsdebatten hinterher. In seinem „10-Punkte-Plan“ fordert Robert Habeck eine härtere Gangart bei Abschiebungen, anstatt auf das grüne Kernthema der sozial-ökologischen Transformation zu setzen.
Schmidberger: Und deshalb gibt es dazu auch deutliche Kritik innerhalb unserer Partei. Beim Thema Migration müssen wir auf eine evidenzbasierte Politik setzen. Menschen anderer Herkunft verantwortlich für Missstände in Deutschland zu machen ist keine grüne Politik. Natürlich ist das Grundrecht auf Asyl nicht verhandelbar. Das haben wir übrigens auch als Partei Ende Januar so beschlossen auf unserem Bundesparteitag und das gilt selbstverständlich.
taz: Als die CDU vor gut zwei Wochen zusammen mit der AfD einen Antrag zur Migrationspolitik beschlossen hat, haben die Linken als einzige wirklich starke Widerworte gefunden. Den Grünen wurde vorgeworfen, dass sie sich zurückhielten, weil sie auf eine mögliche schwarz-grüne Koalition schielen. Wären die Grünen nicht besser in der Opposition aufgehoben?
Schmidberger: Das habe ich so nicht erlebt. Wir haben sehr hart und klar reagiert. Eine Zurückhaltung gab es da nicht. Allerdings mache ich mir Sorgen, welche Mehrheiten nach der Wahl überhaupt möglich sind. Klar geworden ist, dass Aussagen von Merz über Kooperationen oder Duldungen mit der AfD nichts wert sind. Aber je nach Mehrheitsverhältnissen ist vielleicht nur ein Dreierbündnis möglich und dann wird es kompliziert. Damit keine Missverständnisse entstehen, ich habe ja deutlich gesagt, dass ich niemanden wählen kann, der lieber mit Nazis stimmt als mit Demokraten zu verhandeln. Ich halte Merz für gefährlich. Er steht ja nicht nur für einen Rechtsruck, er steht auch für eine ganz kalte, neoliberale Umverteilung von unten nach oben. Mir fehlt die Phantasie, wie unsere grüne Programmatik, die mehr Umverteilung fordert, die endlich die Klimakrise in den Griff kriegen will, aber auch einen Sozialstaat erhalten will und ausbauen will, auch nur irgendwie mit jener der CDU zusammen passt.
taz: In Berlin sind Sie für ihr mietenpolitisches Engagement bekannt. Oft geht es dabei darum, einzelne Projekte oder Häuser vor Verdrängung zu schützen. Auch wenn es viele Rückschläge gab, die Zusammenarbeit von Mietenbewegung und linken Landesparlamentarier:innen von SPD, Linken und Grünen konnte in der Vergangenheit viel bewegen, man denke nur an den Mietendeckel. Warum nun Ihr Schritt Richtung Bundespolitik?
Schmidberger: Wir haben in der rot-grün-roten Koalition in Berlin zwischen 2016 und 2023 so gut wie alle Instrumente auf Landesebene versucht, um die Verdrängung und den Ausverkauf der Stadt zu stoppen oder zu korrigieren. Wir haben den Mietendeckel eingeführt, der über 1,5 Millionen Haushalte entlastet hat. Aber wir alle wissen, das Bundesverfassungsgericht hat geurteilt, dass nur der Bund ihn beschließen kann. Und genau das ist jetzt meine Mission. Ich will, dass die Städte endlich raus aus der politischen Ohnmacht kommen und selbst entscheiden können, wie sie ihre Wohnungsmärkte regulieren, um die Mietenexplosion zu stoppen.
taz: Angesicht der politischen Gemengelage scheint das keine leichte Aufgabe. Selbst in der Ampelkoalition war Mietenpolitik kaum ein Thema. Nicht einmal die Mietpreisbremse wurde verlängert. Das Feld ist größer, aber auch viel schwieriger. Wie viele Hebel gibt es denn da noch?
Schmidberger: Als ich im Berliner Abgeordnetenhaus 2011 angefangen habe, hatten wir auch noch keine links-grüne Mehrheit für eine progressive soziale Mietenpolitik. Das haben wir geschafft, zu ändern. Und sollten mir die Wähler*innen ihr Vertrauen schenken, dann sehe ich es als meine Aufgabe täglich für einen Paradigmenwechsel im Bund zu kämpfen. Selbst die Mehrheit der CDU-Wähler*innen ist für den Mietendeckel, daher bin ich sicher, dass es eine gesellschaftliche Mehrheit dafür gibt, wir müssen sie in eine politische Mehrheit verwandeln.
taz: Davon ist im Bundestag aber nicht viel zu spüren.
Schmidberger: Wichtig ist, dass wir Städterinnen und Städter uns mehr parteiübergreifend zusammenschließen. Ich sehe da im rot-grün-roten Lager viel Potenzial. Es ist ein dickes Brett, aber alle Argumente sind auf unserer Seite. Wir geben jetzt in Deutschland mittlerweile 20 Milliarden Euro im Jahr aus für Mietzuschüsse – etwa für Menschen, die Bürgergeld beziehen, sowie Wohngeld. Das sind staatliche Gelder, die wieder in die private Immobilienwirtschaft fließen. Das ist volkswirtschaftlich nicht nachhaltig, stattdessen sollten wir lieber die Mieten regulieren, was eine Menge Geld sparen würde. Und ganz nebenbei würden wir die Kaufkraft steigern, weil die Leute wieder mehr Geld zum Ausgeben hätten.
taz: Welche Baustellen gibt es noch?
Schmidberger: Die steigende Anzahl von Eigenbedarfskündigungen gefährdet das Zuhause von immer mehr Menschen. Wir haben in den Kiezen in Friedrichshain-Kreuzberg, aber auch im Prenzlauer Berg, bis zu 50 Prozent umgewandelte Wohnungen. Eigenbedarf darf nur noch absolute Ausnahme werden und vorgetäuschter Eigenbedarf muss endlich geahndet werden. Ende dieses Jahres läuft die Umwandlungsbremse aus. Auch das Instrument müssen wir dringend über den Bund verlängern. Sonst droht eine neue Verdrängungswelle in den Städten.
taz: Im Wahlkampf macht gerade nur die Linkspartei wahrnehmbar Mieten zum Thema, auch bei den TV-Duellen fällt das Thema weitestgehend unter den Tisch. Warum ist die Mietenkrise kein größeres Thema?
Schmidberger: Wir in Berlin reden ständig über dieses Thema. Aber im Bund führen wir viel zu viel Debatten über gefühlte Ängste. Wir müssen endlich wieder über die wirklichen Ursachen von Ungerechtigkeit sprechen. Steigende Mieten sind eine zentrale Ursache der immer weiter aufklaffenden Schere zwischen Arm und Reich. Natürlich haben Merz und die CDU darauf keine Lust und flüchten sich in Ablenkungsdebatten über Geflüchtete, „Masseneinwanderung in die Sozialsysteme“ oder „Bürgergeldbetrug“, ohne faktische Grundlage. Diese Debatten sollen von der großen Frage der Vermögensverteilung und einer sozialen Wohnungspolitik ablenken. Betrug beim Bürgergeld kostet uns im Jahr 60 Millionen Euro, Steuerhinterziehung und -schlüpflöcher hingegen 100 Milliarden im Jahr.
taz: Hätten die Grünen nicht auch deutlich mehr tun können, um auf eigene Themen wie Mietenpolitik zu setzen? Im Wahlprogramm steht es ja drin.
Schmidberger: Mehr geht immer. Und ja, ich hätte mir gewünscht, dass unsere Forderungen aus dem Wahlprogramm offensiver vom Bund vertreten werden. Bei der Mietenpolitik ist in der Ampel zu wenig passiert. Daran trägt aber nicht nur die FDP die Schuld. Es hätte auch von uns mehr Druck gebraucht. Aber machen wir uns nichts vor, das hat schon auch mit der Diskursverschiebung nach rechts zu tun. Die sorgt ja auch dafür, dass wir viel zu wenig über soziale Themen reden.
taz: Sie sind eine Nachfolgerin von Hans-Christian Ströbele, dem linken grünen Urgestein, er war damals ja auf fast jeder Demo in Kreuzberg am Start. Und im Parlament hat er dann immer mit Zwischenrufen genervt. Und auch die eigene Fraktion. Wie wollen Sie den Bezirk repräsentieren?
Schmidberger: Ich fände es vermessen zu sagen, dass ich in seine Fußstapfen trete. Dafür habe ich zu viel Bewunderung für ihn und sein Lebenswerk, weil er einfach eine Marke war. Er stand jahrzehntelang für eine ehrliche, unbestechliche Politik. Er sagte, was er dachte und war für die Menschen vor Ort da, immer dem Wahlkreis verpflichtet. Mit dieser Integrität möchte ich auch Politik machen.
taz: Wie wollen Sie das schaffen?
Schmidberger: Politik muss auch auf der Straße sein, man muss dahin gehen, wo die Menschen sind und wo es auch mal wehtut. Aber natürlich will ich auch unbequem sein und weiterhin geradlinig für die Menschen kämpfen, gerade für die, die keine Lobby haben, die nicht so laut und nicht so reich sind. Ich trete nur direkt an und kann nur mit der Erststimme gewählt werden, weil ich die Leute gerne unabhängig vertreten will. Friedrichshain-Kreuzberg – Prenzlauer Berg Ost war schon immer ein Wahlkreis, wo viele politische Probleme zuerst aufgetreten sind und wo auch progressive Forderungen zuerst diskutiert wurden. Es gibt viele Initiativen, wie zum Beispiel gegen den Weiterbau der A100, mit der es schon Absprachen gibt, nach der Wahl zusammenzuarbeiten.
taz: Was kann eine einzelne Abgeordnete da im Bundestag ausrichten?
Schmidberger: Ich bringe deren Anliegen ins Parlament durch diverse Anfragen und parlamentarische Initiativen. Wenn es sein muss, gehe ich eben auch innerhalb der Fraktion den Leuten auf die Nerven. Ich finde diese Verbindung zwischen Zivilgesellschaft und Parlament extrem wichtig und glaube auch, dass das in kaum einem anderen Wahlkreis so gut funktioniert wie hier.
taz: Canan Bayram, ihre direkte Vorgängerin als Kandidatin in dem Wahlkreis, ist nicht mehr angetreten mit der Begründung, sie wolle kein linkes Feigenblatt mehr für die Grünen sein. Wie stehen Sie zu der Kritik?
Schmidberger: Ich finde, sie hat super Arbeit im Bundestag gemacht und ich bin ihr dankbar dafür. Gleichzeitig teile ich ihre Kritik nicht. Gerade hier in Friedrichshain-Kreuzberg, aber auch in Berlin, sind wir keine Feigenblätter. Im Gegenteil. Wir stehen klar für eine links-progressive grüne Politik. Und das wird auch so bleiben – ob beim Thema Asylrecht oder beim Kampf gegen den Rechtsruck.
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