Grüne stimmen Wahlkampfthemen ab: Nur ein Viertel will mitreden
Die Grünen lassen ihre Mitglieder über ihre „Schlüsselprojekte“ abstimmen. Die wählen die Klassiker – ignorieren aber das bisher zentrale Thema Steuern.
BERLIN taz | Sie haben es ganz schön spannend gemacht, die Grünen. Zunächst durften die Mitglieder im Internet debattieren, am Wochenende wurde in den Ortsverbänden abgestimmt, am Mittwoch wurden schließlich in Berlin die Ergebnisse dieses Prozesses vorgestellt, den Geschäftsführerin Steffi Lemke als „politisches Neuland“ bezeichnete: Aus 58 Vorschlägen in drei Kategorien durften die rund 61.000 Grünen-Mitglieder mit 10 Stimmen entscheiden, welche Forderungen im Wahlkampf und in einer möglichen Regierung die höchste Priorität bekommen sollen.
Spannend sind auch die Ergebnisse dieses Prozesses – wenn auch teils aus anderen Gründen als von der Parteispitze erhofft. Zum einen fiel die Beteiligung deutlich geringer aus als erwartet: Nur gut 26 Prozent der 61.000 Mitglieder gaben ein Votum ab. Inhalte findet die Basis offenbar weniger spannend als Köpfe: Als vor einigen Monaten die beiden Spitzenkandidaten gewählt werden durften, lag die Beteiligung noch bei 62 Prozent.
Fraktionschef Jürgen Trittin mochte sich davon nicht die Laune verderben lassen. „Die 16.000 Mitglieder bei uns sind etwa 1.000-mal mehr als jene 16, die im Kanzleramt das Wahlprogramm der CDU auskungeln“, sagte er. Auch Katrin Göring-Eckardt, die gemeinsam mit Trittin das Spitzenduo für den Wahlkampf bildet, empfindet nach eigenen Angaben „alles andere als Enttäuschung“ über die maue Beteiligung. Lediglich Bundesgeschäftsführerin Steffi Lemke räumte ein, die Beteiligung sei niedriger als erhofft: „Da ist noch Luft nach oben.“
Neun Themen, die Grünen besonders am Herzen liegen. Jeder konnte 10 der 58 Antworten ankreuzen.
Ökologie
1. Hundert Prozent erneuerbare Energien - für eine faire Energiewende in BürgerInnenhand: Dafür sprachen sich 52,55 % aus.
2. Die Massentierhaltung beenden- ein neues Tierschutzgesetz für artgerechte Haltung: 46,61 %
3. Wirtschaftswachstum ist nicht das Maß der Dinge - neue Indikatoren für Wohlstand und Lebensqualität: 36,34 %
Gerechtigkeit
1. Niedriglöhne abschaffen - einen allgemeinen Mindestlohn einführen: 42,05 %
2. Zwei-Klassen-Medizin abschaffen - eine Bürgerversicherung für alle: 38,03 %
3. Die Finanzmärkte neu ordnen - eine Schuldenbremse für Banken: 26,54 %
Moderne Gesellschaft
1. Keine Rüstungsexporte zu Lasten von Menschenrechten - ein Rüstungsexportgesetz beschließen: 38,65 %
2. Das Betreuungsgeld abschaffen - gute Kita-Plätze besser ausbauen: 37,92 %
3. Rechtsextremismus entschieden entgegentreten - Projekte gegen Rechtsextremismus systematisch fördern: 26,11 %
Auch inhaltlich gab es eine Überraschung: Das Thema Steuern, das im Wahlkampf der Grünen bisher eine zentrale Rolle spielt, schaffte es nicht auf einen der vorderen Plätze. Die Forderung nach einer Vermögensabgabe und nach einer Reform der Einkommensteuer landeten mit einer Zustimmung von jeweils rund 25 Prozent im Themenfeld „Gerechtigkeit“ nur auf den Plätzen 4 und 5; die Abschaffung des Ehegattensplittings schaffte es mit 9 Prozent nur auf Platz 13 (von 21). Wichtiger waren den Mitgliedern in diesem Themenblock die Einführung eines allgemeinen Mindestlohns (42 Prozent), die Einführung der Bürgerversicherung (38 Prozent) und eine Schuldenbremse für Banken (27 Prozent).
Auch hierin sieht die Parteispitze kein Problem. Die Forderungen, die es nicht auf die Spitzenplätze geschafft haben, seien keinesfalls „abgewählt“, sagte Göring-Eckardt. „Das Wahlprogramm gilt trotzdem in Gänze.“
Vorlage für die politische Konkurrenz
Für die politische Konkurrenz war das Fehler der Steuer-Forderungen hingegen eine willkommene Vorlage. Dies zeige, „dass Trittins Steuererhöhungspolitik nicht mal bei den eigenen Mitgliedern ankommt“, kommentierte FDP-Generalsekretär Patrick Döring. Der Linken-Vorsitzende Bernd Riexinger zeigte sich hingegen „etwas enttäuscht, dass die grüne Basis die Steuerthemen so weit hinten platziert hat“. Ohne Umverteilung sei Gerechtigkeit nicht möglich, sagte Riexinger der taz. „Ein Lagerwahlkampf um die Millionen der Millionäre wäre spannender.“
Im Themenfeld „Moderne Gesellschaft“ schaffte es überraschend die starke Einschränkung von Rüstungsexporten auf Platz 1, während die Kernthemen Frauenquote und Datenschutz nur im Mittelfeld landeten.
Weniger überraschend waren die Ergebnisse im Bereich Umwelt: Mit der Beschleunigung der Energiewende (53 Prozent) und dem Ende der Massentierhaltung (47 Prozent) setzten sich zwei Großthemen der Grünen durch. Auf den dritten Platz schaffte es die Forderung nach neuen Wohlstandsindikatoren, die das Bruttoinlandsprodukt ergänzen sollen – knapp vor einer Steigerung der Attraktivität der Bahn. Andere Grünen-Klassiker wie besserer Natur- und Artenschutz oder verstärkter Lärmschutz waren dagegen abgeschlagen.
Verbindlich ist die Abstimmung für die Parteispitze nicht. Sie sollen jedoch sowohl im Wahlkampf als auch danach eine zentrale Rolle spielen, sagte Trittin. „Das sind die neun Projekte, mit denen wir nach dem 22. September zuerst in Koalitionsverhandlungen gehen werden.“
Ein Partner für solche Verhandlungen ist derzeit allerdings nicht in Sicht. Rot-Grün allein ist in Umfragen derzeit weit abgeschlagen. Ein Bündnis mit den Linken lehnt die SPD ab. Und bei der Union gehen derzeit selbst die Befürworter eines schwarz-grünen Bündnisses auf Distanz. So sagte der nordrhein-westfälische Parteichef Armin Laschet am Dienstag, er sehe kaum noch Chancen für eine solche Koalition, weil sich die Grünen „weit links von der SPD“ positioniert hätten.
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