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Grüne in Schleswig-HolsteinKurs auf Jamaika

Die Ökopartei gibt grünes Licht für Koalitionsverhandlungen mit CDU und FDP. Nur wenige stimmen dagegen.

Da geht's nach rechts: Robert Habeck auf dem Grünen-Parteitag Foto: dpa

NEUMÜNSTER taz | Umweltminister Robert Habecks Prognosen im Vorfeld der grünen Landesdelegiertenkonferenz klangen so: „Wird knapp“, „Ausgang offen“, „50:50“ – und sowieso: „Alles möglich“. Solche Analysen hört man sonst eher vor Fußballspielen zwischen Real Madrid und Bayern München. Nur: Da stimmen sie halt auch.

Habecks Grüne machten es bei der Entscheidung über die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit CDU und FDP aber viel eindeutiger als ihr Umweltminister das vorher prognostizieren mochte. 112 Delegierte votierten dafür – 86,8 Prozent.

Auffällig oft war auf dem Parteitag von „Stärke“ und „Kraft“, „Gestaltungswille“ und „Verantwortung fürs Land“ die Rede. Vokabular, das sonst als Vorbote einer Großen Koalition herhalten muss. Im hohen Norden heißt es nun aber: Auf nach Jamaika! Und das mit Grünen, die Selbstbewusstsein auf allen Ebenen demonstrierten.

Bloß nichts herschenken zugunsten machtpolitischer Interessen, lautete die Botschaft der Delegierten an ihre Verhandlungsgruppe. In der Neumünsteraner Stadthalle präsentierte sich deshalb eine Partei, die einerseits den Skeptizismus vieler Mitglieder gegenüber Jamaika aufgenommen hat. Und die es andererseits geschafft hat, die vielen Bedenken gegenüber Schwarz-Gelb souverän abzumoderieren.

Ihre Spitzenkräfte Habeck und Finanzministerin Monika Heinold haben der Partei den Glauben eingeimpft, dass die eigene Politik auch ohne die bisherigen Partner SPD und SSW möglich sei. „Wir können das“, warb Heinold für Koalitionsverhandlungen mit CDU und FDP. Habeck betonte: „Wir brauchen nicht Jamaika, aber eine grüne Regierung für das Land.“

Natürlich gilt der Zusatz: Jamaika soll doch bitteschön richtig begrünt werden. Sonst, so die mit viel Verve vorgetragenen Anmerkungen der Delegierten, werde es mit einem schwarz-gelb-grünen Bündnis nichts. Das machten fast alle 30 RednerInnen in der Aussprache deutlich.

„Blaupause für den Bund“

Gegen Koalitionsverhandlungen argumentieren nur zwei Delegierte. „Was hier passiert, ist eine Blaupause für den Bund. Eine grüne Wende ist mit der CDU nicht möglich“, riet Regina Klünder vom Kieler Kreisverband gleich im ersten Debattenbeitrag von Verhandlungen ab. Insbesondere die Flüchtlingspolitik der CDU sei abstoßend, bei CETA und TTIP sei man auch anderer Meinung.

Christine von Bargen aus Steinburg befürwortete zwar Verhandlungen, merkte aber an: „Wenn das Ergebnis Jamaika heißt, werde ich meine gesamten Ämter und Mandate zurückgeben.“

Wir können jederzeit Stopp sagen. Wir müssen keine roten Linien beantragen

Das traf den Nerv der anderen in keiner Weise. Die pragmatisch denkenden VertreterInnen bestimmten den Diskurs. „Jamaika ist ganz weit weg, kann aber gelingen. Wenn wir es nicht versuchen, haben wir gar nichts erreicht“, meinte einer. Viele wiesen daraufhin, man solle möglichst ergebnisoffen in die Gespräche gehen. Heinold versprach: „Wir können jederzeit Stopp sagen. Wir müssen keine roten Linien beantragen.“

Auch in diesem Punkt folgten die Delegierten Heinold und Habeck; den Antrag, klare inhaltliche Grenzen in den Verhandlungen festzulegen, lehnten sie mit großer Mehrheit ab. Am Ende der Koalitionsverhandlungen dürfen alle 2.411 Mitglieder über das Ergebnis in einer verbindlichen Online-Wahl abstimmen. Nicht ganz unwichtig: Der Antrag auf eine 2/3-Mehrheit bei der Online-Wahl kam nicht durch – auch das lehnten Habeck und Heinold ab, auch in diesem Punkt erfüllten die Delegierten ihnen den Wunsch.

Am heutigen Mittwochmorgen wurde zwischen den drei Jamaika-Parteien den Fahrplan ausgearbeitet, Ende Juni soll das zweite Bündnis dieser Art nach dem Versuch im Saarland (2009 – 2012) stehen. Von einem „offenen Ausgang“ spricht Robert Habeck übrigens erneut.

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6 Kommentare

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  • 6G
    64938 (Profil gelöscht)

    Man muß nicht mit einer Partei koalieren, die einen Schweinefleischzwang in Schulkantinen einführen will. Man muß nicht mit einem Neoliberalen reden, der selbst Koalitionen ausschließt um von anderen das Gegenteil zu verlangen.

    Wenn man doch mit solchen Leuetn verhandelt und die eigenen Inhalte hintenanstellt, dann geht es sicherlich nicht mehr um Inhalte und Demokratie. Dann ist das Motto: Macht um jeden Preis.

  • Wareme Gedanken für die Umwelt und soziale Kälte, die sich in der Wahl der Koalitionspartner ausdrückt? Da fragt sich, wie sehr die Grünen in dem Bundesland noch hinter Hartz IV stehen.

     

    SPD udn Grüne als ehemals linke Parteien werden weiter schrumpfen, wenn sie die soziale Frage nicht ernst nehmen.

  • 86,8 Prozent stimmt für Jamaika und glaubt, CDU und FDP so beeinflussen können, dass die Koalition grünen Ideen entsprechen kann. Das glaube ich irgendwie nicht, dazu scheinen mir die Positionen zu weit auseinander. Auch die Idee, es einfach zu versuchen, wirkt auf mich reichlich naiv, schließlich ist die CDU in SH schon an der Macht gewesen, deren Stil und deren Ziele sind durchaus bekannt. Wenn dann noch die FDP mit Kubiki dazu kommt, wird es richtig interessant, ob das grün werden kann, da habe ich Zweifel. Immerhin nach Schwarz-Grün in Hamburg, der zweite Versuch im Norden neue Konstellationen in Leben zu rufen. Jeder kann mit jedem - in einer bürgerlichen Demokratie durchaus ein wichtiger Grundsatz. Verspielt werden kann aber die Glaubwürdigkeit und das riskieren die Grünen jetzt - im Wahljahr mit einer SPD, die nicht gewinnen kann, jedenfalls zeigen das Saarland, SH und NRW auf, wie schwer der Partei Wahlkampf und Ergebnis fallen. Offene Grüne könnten auch im Bund die Landschaft ändern.

  • Es herrschte in Neumünster ein konstruktiver Diskussionsstil beim Parteitag von Die Grünen SW!

    Ausschließeritis hatte keine Chance!

    "Verstehen sich die Grünen als linke Partei, die sich in den Gräben ideologischer Kämpfe versenken lässt? Oder geht es ihnen wirklich um den ökologischen Umbau der Gesellschaft, um Menschenrechte und soziale Gerechtigkeit? Um Themen also, für die sie auch kämpfen, wenn die Koalitionspartner andere Weltbilder mit sich herumtragen als sie? In Neumünster gab es einen Eindruck davon, wie das aussieht, wenn eine Partei ernsthaft mit sich ringt und am Ende versteht, dass nachhaltige Politik auch bedeutet, sich mit ungeliebten Gegebenheiten zu arrangieren." http://www.sueddeutsche.de/politik/schleswig-holstein-mein-herz-sagt-autsch-eine-ampel-waere-besser-1.3519969

  • 3G
    39167 (Profil gelöscht)

    Das war zu erwarten, ist trotzdem unfassbar!

    • @39167 (Profil gelöscht):

      Sorry, was sind die Alternativen? Im Landtag von SW sind 6 Parteien. Nur zwei können alleine eine Koalition bilden, CDU und SPD zusammen. Die wollen das aber nicht. Sonst braucht mindestens 3 Parteien. FDP will Ampel nicht, SPD hat dafür auch keine Signale gesendet. Soll nun Grün dafür nicht Jamaika machen? Was wäre die Alternative? Koalition der CDU mit AfD? Solange wählen lassen, bis das Wahlergebnis passt? Die neue Mehrheiten werden dadurch aber garantiert nicht linker. Oder etwas von den grünen Erfolgen in SW (ja, die gab es) über die Jahre retten?

      Früher gab es mal die Devise, demokratische Parteien sollten untereinander koalieren können, oder auch die Diskussion, was ist sinnvoller, Gesinnungsethik oder Verantwortungsethik.