Grüne in Sachsen-Anhalt: Bewährungsfrist für Kenia
Der kleinste Koalitionspartner will Demütigungen durch die CDU nicht mehr schlucken. Der Sonderparteitag der Grünen fordert „ein glaubwürdiges Signal“.
Zu dem Parteitag in der Landeshauptstadt hatte der grüne Landesvorstand kurzfristig eingeladen, nachdem die im Frühjahr 2016 geschlossene Koalition von CDU, SPD und Grünen wegen eines Skigebiets im Harzer Wintersportort Schierke dem bislang härtesten Stresstest unterzogen worden ist.
Anlass der heftigen Verstimmung bei den Grünen war die Anweisung von Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) an die grüne Umweltministerin Claudia Dalbert, einem Flächentausch des Landes mit der Stadt Wernigerode zuzustimmen. Damit wird die von einem Privatinvestor geplante Seilbahn begünstigt, Fördermittel für ein bereits errichtetes Parkhaus können fließen.
Dalbert hatte gezögert, nachdem ein Gutachten die Neubewertung gefährdeter Moorflächen gefordert hatte. „Das Vertrauensverhältnis ist schwer geschädigt“, bewertete sie das Vorgehen des Ministerpräsidenten über ihren Kopf hinweg.
Die Ministerin und zahlreiche weitere Redner bezeichneten den jüngsten Eklat als den sprichwörtlichen Tropfen, der das Fass der Demütigungen zum Überlaufen gebracht habe. Die frühere grüne Bundesgeschäftsführerin Steffi Lemke erinnerte daran, dass die Koalition im Dezember schon einmal vor dem Bruch stand. Teile der CDU-Fraktion stimmten damals dem AfD-Versuch zu, den grünen Innenpolitiker Sebastian Striegel aus der Parlamentarischen Kontrollkommission abzuwählen.
Die grüne Jugend verlangt den Ausstieg
Einen ähnlichen Affront musste bereits die grüne Fraktionsvorsitzende Cornelia Lüddemann hinnehmen. Für eine Verschlechterung des Klimas hatte jüngst auch CDU-Generalsekretär Sven Schulze gesorgt, als er die Streichung staatlicher Zuschüsse für den demokratiefördernden Verein „Miteinander“ anregte.
Deshalb dürfe es kein „Weiter so“ geben, heißt es in einem Positionspapier des Landesvorstands. Die Grüne Jugend verlangte sogar den Ausstieg aus der Koalition. Letztlich stimmte etwa jeder Fünfte der 70 Delegierten gegen den Verbleib in der Koalition. 2016 hatten noch 98 Prozent dem Koalitionsvertrag zugestimmt.
Nordrhein-Westfalen Auf ihrem Landesparteitag in Kamen haben die nordrhein-westfälischen Grünen am Samstag den 28-jährigen Duisburger Felix Banaszak zum neuen Landesvorsitzenden gewählt. Mit 56,6 Prozent der Stimmen setzte er sich gegen seine Mitbewerber Wolfgang Rettich und Felix Naumann durch.
Doppelspitze Banaszak, der dem linken Flügel zugerechnet wird, führt nun gemeinsam mit der 40-jährigen Düsseldorferin Mona Neubaur den mit über 13.200 Mitgliedern stärksten Landesverband der Grünen an. Sein Vorgänger Sven Lehmann, der seit 2010 an der Spitze der NRW-Grünen stand, hatte sein Amt wegen seiner Wahl in den Bundestag im September zur Verfügung gestellt. (pab)
Im Juni soll nun ein weiterer Parteitag das Koalitionsklima erneut bewerten. Von der CDU erwartet man „ein glaubwürdiges Signal, dass sie in Gänze mit uns den im Koalitionsvertrag vereinbarten Weg gehen wollen“, so die Formulierung im Positionspapier. Denn auf diesen Vertrag und seine teilweise Umsetzung sind die Bündnisgrünen nach wie vor stolz. Ausführlich zählte Fraktionschefin Lüddemann vermeintliche Erfolge auf den Feldern Energie, Ökologie, Radverkehr, Bildung oder Bürgerrechte auf.
Einig war sich der Parteitag, dass von einer de facto gespaltenen Union unter schwacher Führung die größte Gefahr für die Kenia-Koalition ausgehe, während sich die Grünen als Stabilitätsfaktor erwiesen. Von einer realen Viererkoalition war in der Debatte häufig die Rede, weil ein unberechenbares Drittel der Unionsfraktion faktisch gegen die Grünen opponiert und häufig mit der AfD stimmt.
Vor Neuwahlen hat die 5,2-Prozent-Partei nach eigenem Bekunden keine große Angst. Sie fürchtet für den Fall des Scheiterns von Kenia eher eine von der AfD tolerierte CDU-Minderheitsregierung. Auch um dies zu verhindern, will man sich nun erst mal noch ein wenig mehr „Leidensfähigkeit“ zumuten. Aber vielleicht nicht mehr lange.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Die Wahrheit
Der erste Schnee
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja