Grüne gegen Ampel-Partner: Wir brauchen einen Klimakanzler
Robert Habeck sagt kurzgefasst: Was wir als Regierung abliefern, reicht nicht. Darf der das? Er musste. Es war dem Ernst der Lage angemessen.
B ei allen Errungenschaften haben wir Deutschen eines bisher nicht hingekriegt: eine Klimakanzlerin oder einen Klimakanzler, die/der zeitgemäße Wirtschafts- und Klimapolitik von der Spitze der Regierung aus vorantreibt und erklärt. Immerhin gibt es seit der letzten Wahl erstmals einen Vizekanzler, der das im Rahmen dessen macht, was die Weltlage und die Koalition von SPD, Grünen und FDP zulässt.
Letzteres ist aus seiner Sicht eindeutig nicht genug, wie man Robert Habecks spontaner Rede an die Nation entnehmen konnte, die er diese Woche im Rahmen eines längeren Fernsehinterviews gehalten hat. Kurzzusammenfassung: Was wir als Regierung abliefern, reicht nicht. Wir müssen uns ändern. Nun gibt es allerlei Ablenkungsdiskurse, etwa Stilfragen. Darf der das? Ich würde sagen: Er musste. Es war dem Ernst der Lage angemessen.
Habeck hat vor dem Koalitionsausschuss am Sonntag den Vorhang weggezogen und offengelegt, wie es in der Koalition läuft und warum es aus seiner Sicht derzeit nicht mehr läuft. Weil jeder sein Süppchen kocht. Und dass er das sooo nicht mehr mitmachen will. Das richtete sich sowohl an die in der Regierung, denen alles zu viel ist, als auch an die in der eigenen Fraktion, denen alles zu wenig ist. Vermutlich auch an sich selbst, der er ansonsten als geduldiger Ausbalancierer der heterogenen Koalitionsinteressen agiert.
Vor allem aber, meine Deutung, richtete es sich an die Leute, also an uns. Die Frage, die der Vizekanzler unausgesprochen in den Raum gestellt hat: Worum geht es der Mehrheitsgesellschaft: Um Zukunftssicherung des Verbrenners und der Ölheizung?
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Realität ist kein Schimpfwort
Nun ist in der medialen Öffentlichkeit der Eindruck vorherrschend, es handele sich bei Klimapolitik um ein Duell zwischen den Grünen (die wollen was ändern) und der FDP (die wollen davor bewahren). Da muss man die SPD loben (uns Medien eher weniger), dass sie es strategisch-kommunikativ geschafft hat, Christian Lindner und Volker Wissing für ihre Zwecke zu instrumentalisieren.
Die SPD ist – wie man diese Woche hören konnte – eine ultrakonservative Öl- und Gasheizungseinbau-Partei, der Kanzler will von seinen Rentnern wiedergewählt werden, in dem er eben keine neue Wirtschafts- und Klimapolitik zulässt. Und diese Apathie gegenüber der Zukunft, den eskalierenden Krisen und dem Pariser Klimaabkommen soll als „soziale Gerechtigkeit“ verkauft werden.
Die entscheidende Frage wird also sein, wie viele Leute es der SPD hoch anrechnen, dass sie Zukunft als „Gedöns“ einstuft und wir – wie im Land Berlin – auf eine große Anti-Klima-Koalition zutaumeln. Oder ob es nach dem brutalen Scheitern der fossilen Abhängigkeitsstrategie von Union und SPD gelingt, den 20. Jahrhundert-Spin zu beenden, „Klima“ sei parteipolitisch ein Hobby der Grünen und nicht die Grundlage für Wohlstand und Sozialstaat.
Realpolitik im Sinne von Politik auf Höhe der Realität ist kein Schimpfwort, sondern State of the Art. Dafür braucht es eine verlässliche parlamentarische Mehrheit, also am besten demnächst zwei mittelgroße Parteien, die sich darauf verständigen und dafür gewählt werden. Die sich, wegen mir, in der Gesellschaftspolitik streiten, dass es scheppert, aber die essenzielle Zukunftshardware (EU-, Geo-, Wirtschafts- und Klimapolitik) zusammen entwickeln.
Nun wird man zischen: Welche zwei Parteien sollten das denn sein? Tja: Dafür kann man sich jetzt bewerben. In der Regierung. Oder in der Opposition.
Ob Grüne, CDU oder SPD: Der nächste Kanzler muss ein Wirtschafts- und Klimakanzler sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren