Grüne Studierendenwohnheime: Nachhaltig wohnen
In Rosenheim entsteht das wohl nachhaltigste Studierendenwohnheim Deutschlands – nur soll es nicht so heißen. Ein Besuch.
A lso die Küchenlampen gehen ja nun mal überhaupt nicht. Ein Angriff auf das ästhetische Empfinden einer jeden Studentin, eines jeden Studenten. Die Kritik an den Hängeleuchten ist einhellig. Markus Mühlbacher hat die Lampe in seinem Appartement auch gleich mal abgehängt; hier in der benachbarten WG, wo er gerade mit seinen Kommilitoninnen Zoe Dudek und Luise Bussjäger am Küchentisch zusammensitzt, haben sie sie zumindest etwas höher gehängt, damit man sie nicht so sieht.
Harsche Kritik, und doch: Wer solche Kritiker hat, braucht keine Freunde mehr. Denn viel mehr fällt den dreien aber nicht ein, wenn sie über den Campus RO in Rosenheim lästern sollen. Die drei gehören zu den ersten 70 Bewohnern, im Dezember sind sie hier eingezogen und noch immer sehr zufrieden mit der neuen Behausung. „Schon cool“ sei es hier. Die beiden Frauen kommen aus dem Münchner Speckgürtel. Einen vergleichbaren Studiengang hätten sie auch in München gefunden. Eine Wohnung dagegen? In München? Eher schwierig.
Es war deshalb nicht zuletzt der Wunsch, daheim auszuziehen, der den Ausschlag für Rosenheim gegeben hat. Dudek und Bussjäger, beide 20, studieren BWL, im dritten und im ersten Semester. Mühlbacher ist bereits 25 und gelernter Schreinermeister. Der Traunsteiner studiert im dritten Semester Ingenieurspädagogik, will Berufsschullehrer werden. Aktuell befinden sie sich alle im Prüfungsstress, aber hier lässt er sich aushalten.
Campus RO, das ist das wohl nachhaltigste Studentenwohnheim Deutschlands. Der CO2-Fußabdruck wird sowohl beim Bau als auch im Betrieb niedrig gehalten, unter anderem dank recyceltem Bauschutt, dem Verbau von sehr viel Holz und selbst produziertem Ökostrom. Auch andere Wohnheimprojekte gehen ökologisch ähnliche Wege. So heizt ein Wohnheim in Würzburg mit Erdwärme und Solarthermie, in Wuppertal und Münster können die Studentinnen und Studenten in Passivhäusern wohnen. Und in Münchfeld bei Mainz hat das Studierendenwerk vorgeführt, wie mit nachträglicher Dämmung und effizienter Anlagentechnik auch Bestandsgebäude nachhaltig saniert werden können.
Campus, nicht Wohnheim
Die meisten Studentenwohnheime in Deutschland sind davon jedoch weit entfernt. Überhaupt: Wohnheim, das ist wieder so eine Sache. Denn Peter Astner – das ist gewissermaßen der Erfinder des Campus RO –, der wird nicht müde zu erwähnen, dass er diesen Begriff im Zusammenhang mit dem Campus RO überhaupt nicht schätzt.
Ortswechsel, über den Laubengang mal schnell zwei Stockwerke weiter nach oben. Von hier aus überblickt man das Gelände ganz gut. Es ist kalt und windig. Astner, ein Mann von fast zwei Metern, hat sich warm angezogen, trägt eine graue Mütze. Er zeigt auf die künftigen Dachterrassen, auf die beiden Häuserblocks, die im Frühjahr als nächstes bezogen werden, erzählt, wie das alles mal aussehen werde, wenn es fertig sei. In ganz Deutschland habe er sich Studentenwohnheime angesehen. Alles total heruntergekommen. Deshalb verbittet sich Astner den Begriff Wohnheim für das, was hier gerade Gestalt annimmt. Quartier, okay. Oder eben Campus.
Angefangen hat das Projekt recht unspektakulär – bei der Zeitungslektüre. Vor etwa zehn Jahren muss das gewesen sein, da stieß Astner auf einen Text über das Studentendorf in München, dem ehemaligen Olympischen Dorf, seitdem hat ihn das Thema studentisches Wohnen nicht mehr losgelassen. Gut, ein bisschen vom Fach ist der 55-Jährige als Anwalt für Baurecht natürlich. Außerdem lehrt er Baurecht an der Technischen Hochschule in Rosenheim. Als er dann noch mitbekommen hat, dass die Studentinnen und Studenten hier zu Semesterbeginn teilweise im Auto schlafen, weil sie kein bezahlbares Zimmer finden, dachte er, da müsse man doch was tun. Und „man“, das war halt dann er.
Als Erstes galt es, einen passenden Ort zu finden. Hochschulnähe war dabei das wichtigste Kriterium. Die Studenten sollten praktisch vom Bett in den Hörsaal fallen können. Die Suche dauerte ein paar Jahre, doch dann fand sich 2015 das ideale Grundstück. Am Rand eines Gewerbegebiets, gleich nebenan hat ein großer Schuhhändler sein Outlet-Center. Aber auf der anderen Seite geht es direkt auf das Hochschulgelände. Astner fand eine Bank, die ihm Geld zur Verfügung stellte, steuerte selbst ein bisschen Kapital bei und legte los.
Auf dem Grundstück stand eine 8.000 Quadratmeter große Lagerhalle. Insgesamt hatte das Gelände 15.000 Quadratmeter. Ein Drittel davon verkaufte Astner an die Stadt, die darauf nun ein Projekt für geförderten Wohnraum und ein Schwesternwohnheim errichtet. Den verbleibenden Hektar behielt der Bauherr für „seine“ Studenten. Im August 2020 war Spatenstich, und nicht einmal anderthalb Jahre später, im Dezember 2021, wurde bereits der Gebäudekomplex A bezogen. In den B- und C-Häusern sind aktuell noch die Handwerker am Werk.
Holz, Holz, Holz
Peter Astner führt in das letzte noch nicht bezogene Appartement des Blocks A. 23 Quadratmeter, einfach, aber modern eingerichtet. Allenfalls könnten Boden und Möbel für manchen Geschmack etwas zu dunkel geraten sein. Gleich neben der Tür ist die Kochnische, Astner setzt sich an das kleine Küchentischchen und deutet auf die Sitztruhe. Sie sei genau so konzipiert worden, dass zwei Tragerl Bier hineinpassten.
Vom Bier kommt Astner schnell zurück auf das große Ganze: „Wir verbauen hier 1.800 Kubikmeter Holz“, erzählt er. „Der gesamte Campus ist aus Holz, alle tragenden, alle nicht tragenden Wände, die Decken. Wie lange, schätzen Sie, dauert es, bis diese 1.800 Kubikmeter in den bayerischen Staatsforsten nachwachsen? Nur in Bayern? Der gesamte Campus?“ Astner macht eine Pause, freut sich über das ratlose Gesicht des Gegenübers und antwortet schließlich selbst: „50 Minuten.“
Das Holz kommt aus Bayern und Österreich, aus zertifiziert nachhaltiger Waldbewirtschaftung. Nur auf den Decken ist aus Statikgründen noch eine zusätzliche Schicht Ortbeton, und die Laubengänge sind wegen des Brandschutzes aus Beton-Fertigteilen. Schon bald sollen sie hinter vertikalen Gärten aus Kiwipflanzen verschwinden.
Der Campus RO war von Beginn an als nachhaltiges Vorzeigeprojekt konzipiert. Die Holzhybridbauweise, die den CO2-Fußabdruck beim Bau um die Hälfte reduzieren soll, ist dabei nur ein Aspekt. Die alte Logistikhalle ließ Astner von Schadstoffen befreien, schreddern und auf dem Gelände wieder verbauen, zum Beispiel als Füllmaterial. 5.500 Kubikmeter Abraum. Das sind schon fast 140 Bauschuttcontainer, und zwar die richtig großen.
Höchste Energieeffizienzstufe
Die Innenhöfe sollen möglichst grün werden, auf verschiedenen Ebenen gibt es bepflanzte Dachterrassen, dort können sich die Bewohnerinnen und Bewohner auf ein Bier treffen oder gemeinsam in einem der Hochbeete Gemüse ziehen. Nur ganz oben, da ist weniger Platz – wegen der Photovoltaikanlagen. Schließlich wird der gesamte benötigte Strom hier selbst produziert. Die Heizung ist an das Fernwärmenetz der Rosenheimer Stadtwerke angeschlossen, unterm Strich erreichen die Gebäude die höchste Energieeffizienzstufe KfW 40 plus.
Nun ist Nachhaltigkeit das eine, aber sie macht per se noch keinen Wohnkomfort. Und dass sich die Menschen, die hier leben und studieren sollen, auf dem Campus auch wohlfühlen, das ist Astner eigentlich das Wichtigste. Astner hat deshalb im Vorfeld viel mit Studentinnen und Studenten zusammen am Konzept gearbeitet, gefeilt. Dabei kam etwa heraus, dass sich die meisten von ihnen Einzelappartements wünschen, keine WGs.
Entsprechend wurde dann der Schlüssel festgelegt: 32 WG-Plätze wird es nun geben, zwei Familienwohnungen und 173 Einzelappartements. Aber jeder allein in seinem Kämmerchen – ist das wirklich noch studentisches Wohnen? Moment mal! Astner erhebt Einspruch: Was heißt hier allein? Gemeinschaftliches Wohnen sei hier ganz wichtig. Und überhaupt, die Studentinnen und Studenten lebten sehr wohl in einer WG: „Es ist halt keine Zweier- oder Vierer- oder Achter-WG; es ist eine 211er-WG. Und gleichzeitig hat jeder die Möglichkeit, sich in seine Bude zurückzuziehen.“
Treffen kann man sich zum Beispiel im Waschraum. Wobei man sich dabei natürlich keinen dieser dunklen Kellerräume vorstellen darf, in dem ein paar alte Waschmaschinen rumstehen. Nein, es ist ein Waschsalon mit Loungeatmosphäre und Getränkeautomat. Einer von Astners Lieblingsräumen auf dem Gelände. „Mein wunderbarer Waschsalon“, sagt er nur. Eine Anspielung, die hier freilich kaum jemand verstehen dürfte, denn als der Film von Stephen Frears in den Kinos lief, da war Astner selbst noch nicht einmal im Alter seiner jetzigen Mieter.
Ein bisschen Luxus
Gegenüber gibt es eine Community Kitchen zum gemeinsamen Kochen oder Partyfeiern. Dazu ein großer Veranstaltungsraum, Coworking Spaces, eine komplett eingerichtete Fahrradwerkstatt. Ein Sharing-System für E-Bikes wird auch nicht fehlen. Der Höhepunkt des Campus, zumindest rein topografisch gesehen, soll das sechsstöckige Boarding House werden, dessen Keller sie gerade ausheben. Hier können beispielsweise Eltern günstig logieren, die ihre studierenden Kinder besuchen, oder Gastdozenten.
Die Gemeinschaftsräume sind selbstverständlich in der Miete inbegriffen wie auch ein eigener Internetanschluss im Zimmer sowie W-LAN auf dem ganzen Gelände. Gut, die Miete ist etwas höher als in „normalen“ Wohnheimen, aber das, da sind sich Zoe Dudek, Luise Bussjäger und Markus Mühlbacher einig, ist es auf jeden Fall wert. Derzeit liegen die Mieten etwa zwischen 400 und 700 Euro.
Die Höhe orientiert sich in erster Linie an der Lage der Wohnung. Wer ganz oben wohnt, zahlt am meisten. Aber der hat dann auch ein „Penthouse mit Bergblick“, wie es Astner nennt. Was will man da mehr?
Gut, da wären noch die Küchenlampen …
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen