Grüne Spitzenkandidatin zu Mietendeckel: „Kein Grund für Häme“
Bettina Jarasch fordert nach der Mietendeckel-Entscheidung ein Signal der Vermieter. Diese müssten ihrer sozialen Verantwortung nachkommen.
taz: Frau Jarasch, das Bundesverfassungsgericht hat den Mietendeckel für verfassungswidrig erklärt. Ein schwerer Schlag für Rot-Rot-Grün?
Bettina Jarasch: Die Entscheidung ist bitter – vor allem für jene Mieterinnen und Mieter, die jetzt fürchten müssen, ausstehende Mietanteile zurückzuzahlen. Die wichtigste Botschaft von mir ist deswegen: Wir werden die Mieterinnen und Mieter nicht allein lassen.
Was schwebt Ihnen vor?
Es braucht eine Art Schutzschirm für Härtefälle. Durch Corona sind viele ja schon gebeutelt genug, fürchten um ihre Existenz oder sind auf Kurzarbeit – und wissen deshalb nicht, wie sie die Miete zahlen sollen.
Wie soll dieser Schutzschirm aussehen?
Das werden wir in der Koalition diskutieren. Die Vorlage muss von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung von Sebastian Scheel (Linke) kommen.
Wie bewerten Sie die Situation für die Regierungskoalition nach der Entscheidung?
Wir wussten, dass wir rechtliches Neuland betreten und dass es strittig ist, ob wir als Land die Zuständigkeit für eine solche Gesetzgebung haben. Die haben Länder laut Verfassungsgericht nicht. Dennoch war es richtig, den Versuch zu wagen, denn der Berliner Mietmarkt ist durch Immobilienspekulation wirklich aus den Fugen geraten. Wir wollten nicht einfach aufgeben und resignieren.
52, ist Spitzenkandidatin der Grünen für die Abgeordnetenhauswahl am 26. September. Sie war von 2011 bis 2016 Co-Chefin des grünen Landesverbandes; seit 2016 ist sie Mitglied des Abgeordnetenhauses
Für Rot-Rot-Grün war der Mietendeckel das Leuchtturmprojekt. Ist damit die Koalition insgesamt gescheitert?
Unser grünes Leuchtturmprojekt ist immer noch das Mobilitätsgesetz. Aber es ist klar, dass wir beim sehr wichtigen Thema Faire Mieten ein Instrument aus der Hand geschlagen bekommen haben. Aber das darf nicht das Ende von Mietenpolitik sein, und auch nicht von Mietenregulierung auf Landesebene.
Das heißt?
Der Stadtentwicklungssenator darf sich jetzt nicht zurücklehnen. Wir müssen schauen, was jetzt geht: Wir brauchen neben dem Schutzschirm Beratung für Mieterinnen und Mieter. Es gibt viele Schattenmieten…
… mit den Vermieterinnen und Vermietern vereinbarte Mieten, die greifen sollten, falls der Mietendeckel nichtig ist…
Und die sind häufig sogar höher als von der bundesweiten Mietpreisbremse erlaubt. Dagegen müssen die Mieterinnen und Mieter vorgehen können. Und wir Grünen haben darauf gedrungen, einen qualifizierten Mietspiegel vorzubereiten. Ich erwarte, dass er in Kraft gesetzt wird, um Mieten zu regulieren.
Wird Mietenpolitik stärker als bisher ein bundespolitisches Thema, auch im Wahlkampf?
Für uns Grüne auf jeden Fall. Wir haben viele Vorstellungen in unserem Wahlprogramm, wie ein soziales Mietrecht aussehen muss. Vor allem erwarte ich vom Bund nach dieser Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, dass zügig eine Öffnungsklausel eingeführt wird, damit Bundesländer mit einem angespannten Wohnungsmarkt wie hier in Berlin Mieten regulieren und einen Mietendeckel erlassen können. Die Kritik von Bauminister Seehofer ist doch zynisch: zu sagen, der Mietendeckel war der falsche Weg, aber gleichzeitig hat der Bund den Ländern die Möglichkeit genommen, selbst tätig zu werden.
Wie beurteilen Sie den Jubel von CDU, FDP und Immobilienbranche nach der Entscheidung?
Um es ganz klar zu sagen: Für Häme oder Triumpf der Immobilienbranche gibt es wirklich keinen Grund. Im Gegenteil: ich erwarte von allen Vermieterinnen und Vermietern, dass sie gerade jetzt zeigen, dass sie es ernst meinen mit ihrer sozialen Verantwortung. Eigentum verpflichtet bekanntlich.
Glauben Sie an diese Einsicht der Immobilienbranche?
Ich habe in den vergangenen Wochen viele Gespräche mit Vermieterinnen und Vermietern geführt. Sie haben mir immer versichert, wie wichtig ihnen die soziale Mischung in der Stadt sei und dass es ihnen ein großes Anliegen sei, genügend bezahlbaren Wohnraum bereitzustellen. Jetzt ist der Moment der Ehrlichkeit.
Das heißt?
Ich erwarte ein Signal von Vermieterinnen und Vermietern, dass sie die Mieterinnen und Mieter schützen und jetzt niemanden rauswerfen, weil jene die Miete nicht bezahlen können. Und dass sie bezahlbare Wohnungen anbieten, und zwar dauerhaft.
In wie weit wird das Karlsruher Urteil dem Volksbegehren Deutsche Wohnen und Co. enteignen helfen?
Auch wenn es hier um etwas anderes geht dürfte die Debatte eine neue Dynamik bekommen. Denn das Grundproblem ist ja nicht gelöst: wir haben einen Markt, der durch Immobilienspekulation getrieben wird. Es gibt überzogene Renditeerwartungen und schädliche Geschäftsmodelle, die die Bodenpreise in die Höhe treiben. Da müssen wir ran.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!