Grüne Spitzenkandidatin Ramona Pop: Die Frau aus der Mitte
Die Grüne Ramona Pop könnte in Berlin Regierende Bürgermeisterin werden. Das muss ihre Partei erst einmal verkraften.
Vier Wochen vor den Abgeordnetenhauswahlen gewinnt der Berliner Wahlkampf an Fahrt. Vier Parteien liegen in den Umfragen quasi gleichauf, zwischen 16 und 21 Prozent. Ein „Weiter so“ mit der Großen Koalition, die unter Michael Müller seit 2011 regiert, ist sehr unwahrscheinlich. Alles scheint möglich, nicht nur Rot-Rot-Grün, sondern auch Grün-Rot-Rot.
Und das würde heißen: Ramona Pop könnte Regierende Bürgermeisterin werden, eine schlanke 38-jährige Frau mit dunklen schulterlangen Locken, die mehr als ein Drittel ihres Lebens schon Abgeordnete ist. Mit 24 zog sie 2001 erstmals ins Parlament ein. Damals war sie die Jüngste. Heute gehört sei zu den erfahrensten Politikerinnen im Landtag, der hier Abgeordnetenhaus heißt. Wenn die Grünen in Berlin ein Gesicht haben, dann ihres.
Ein Viererteam für alle Flügel
Dass ihre Partei dieses Gesicht noch einmal brauchen würde, überrascht die Grünen. Schließlich ist einer der wichtigsten Gründe, warum es in Berlin keine Spitzenkandidatin gibt, dass es lange nicht so aussah, als könnte Pops Partei vielleicht die Regierungschefin stellen. Im März haben sie dieses Viererteam aus den grünen Landeschefs Bettina Jarasch und Daniel Wesener sowie den beiden Fraktionsvorsitzenden Antje Kapek und Ramona Pop aufgestellt. Das sollte in erster Linie alle Parteiflügel beruhigen.
Bis ins Frühjahr hinein hatte die SPD Umfragewerte von 27 bis 29 Prozent, es sah nach einem sicheren Weiterregieren in Berlin aus. Seit 2001 stellt die SPD den Regierungschef, seit 1989 regiert sie im Senat mit. Die Grünen stabilisierten sich bei 17 bei 18 Prozent und schienen damit durchaus zufrieden – bei der jüngsten Wahl 2011 kamen sie auf 17,3 Prozent.
Das war Rekord für die Partei und eine große Enttäuschung: Es war das Jahr von Fukushima und des ersten Kretschmann-Erfolgs in Baden-Württemberg. In Umfragen lagen die Grünen in Berlin lange bei 30 Prozent. Zum ersten Mal hatten sie mit Exbundesministerin Renate Künast nicht nur eine Spitzenkandidatin benannt, sondern auch den Posten des Regierungschefs als Wahlziel ausgegeben. Künast scheiterte.
Bis heute schmerzt und spaltet dieses Ergebnis die Partei, in Linke und Realos, in solche, die mehr Personalisierung für richtig halten, und jene, die das ablehnen. Als die Grünen ihr Spitzenquartett nominierten, sprach Parteichef Jarasch kühl von einer „starken personalisierten Zuspitzung auf eine Spitzenkandidatin in der jüngeren Vergangenheit“ – ohne den Namen Künast zu nennen. Auf dem Parteitag stimmten dann nur 60 Prozent dafür, die wie Künast aus dem Realo-Flügel kommende Ramona Pop auf Platz eins der Landesliste zu setzen.
Pop ging danach mit mühsam aufrechterhaltenem Lächeln durch den Tagungsraum und wirkte noch schmaler als sonst. Sie kannte den herben Umgangston innerhalb ihrer Partei allerdings schon. 2014 drohte ihr ein linkes Fraktionsmitglied mit Abwahl und verbat sich „unerbetene Ratschläge aus der dritten Reihe“.
Keine Integrationsfigur nach innen
Das schlechte Wahlergebnis versuchte Pops Umfeld noch schönzureden. Doch als bei einem weiteren Parteitag fünf Wochen später, dieses Mal zum Wahlprogramm, nach einer Rede von Ramona Pop ein großer Teil der Parteilinken weder klaschte noch aufstand, während der Pop-Anhang stehend applaudierte, war die Kluft offensichtlich. Pop mag außerhalb der Partei als das Gesicht der Berliner Grünen gelten, eine Integrationsfigur nach innen ist sie nicht. Sie hat auch nie versucht, das Linke bei den Grünen mal wenigstens ein bisschen zu bedienen.
Als Pop 2001 in das Abgeordnetenhaus einzog, führte die taz ein Interview mit ihr. Darin spricht dieselbe pragmatisch-nüchterne Frau, die heute die Fraktion im Landesparlament führt. Pop kam zwar als vormalige Bundeschefin der Grünen Jugend ins Parlament, war aber nie für den Lautsprecherton zu haben, mit dem Jugendverbände aller Parteien auf sich aufmerksam machen.
Klar, sie klopfte Sprüche. An der Spitze ihrer Partei seien graue Männer in grauen Anzügen, das war in Richtung Jürgen Trittin, Joschka Fischer, Rezzo Schlauch gemeint. Aber sonst war sie 2001 schon die Reala, die sie heute ist: Ansprüche könne man erst anmelden, wenn man mit dem neuen Umfeld klarkommt, sagte sie damals im Café Strandbad Mitte zu ihrer neuen Rolle als Abgeordnete. Oder: „Ich bin Feministin und rasiere mir trotzdem die Beine.“
15 Jahre später gibt es dieses Café immer noch, was alles andere als normal ist im Bezirk Berlin-Mitte, der noch mehr als andere von Mieterwechsel und Verteuerung geprägt ist. Keine 200 Meter entfernt will Pop an diesem Nachmittag an einem Wahlkampfstand ihrer Partei stehen. Sie hat diesen Wahlkreis 2011 gewonnen; es war der einzige Direktwahlsieg der Grünen außerhalb ihrer Hochburgen in Friedrichshain-Kreuzberg und Neukölln.
Einen weiten Weg gegangen
200 Meter Distanz zwischen damals und heute. Pop ist einen weiten Weg gegangen. Abgeordnete, Haushaltspolitikerin, seit 2009 Kofraktionschefin neben dem später von der Fraktionslinken weggemobbten Volker Ratzmann, ebenfalls Realo, ein Jahr lang alleinige Vorsitzende, danach erneute Doppelspitze. 2011 schien sie kurz davor, ein Regierungsamt zu übernehmen – doch dann koalierte der damalige Regierungschef Klaus Wowereit (SPD) lieber mit der CDU.
Ist Ramona Pop eine, die einfach nur viel aushalten kann? Eine, die so lange sitzen bleibt und nichts falsch macht, bis niemand außer ihr mehr übrig bleibt?
Sie kann anders. Pop wollte im Januar 2013 nach der erneuten Verschiebung der Eröffnung des Berliner Flughafens das Ende von Klaus Wowereit erzwingen und setzte ein Misstrauensvotum durch. Sie verschätzte sich. Die SPD-Genossen wollten Wowereit zwar loswerden, sich aber nicht von den Grünen dazu drängen lassen. Pop hielt Wowereit im Amt. Der Versuch, ihn abzuwählen, war aus heutiger Sicht ein Fehler, zeigt aber: Pop ist keine Aussitzerin, sie kämpft. Klaus Wowereit war der eine laute Mann, mit dem sie sich angelegt hat. Gerade ist es Frank Henkel von der CDU.
Zwei Staatsbürgerschaften
Als Zehnjährige war Pop mit ihrer Familie als Spätaussiedlerin aus Rumänien nach Deutschland gekommen, sie studierte Politologie in Münster und Berlin. Sie hat die rumänische und die deutsche Staatsangehörigkeit und wäre die erste nach Deutschland eingewanderte deutsche Ministerpräsidentin.
Pop hat ihren Migrationshintergrund nicht oft erwähnt, bis 2015. Als Tausende Flüchtlinge in Budapest am Hauptbahnhof festsaßen, erzählte Pop, dass sie als Kind ebenfalls über Budapest einreiste. Dann forderte CDU-Spitzenkandidat Frank Henkel ein Ende der doppelten Staatsangehörigkeit. Pop nahm das persönlich.
Sie sei drauf und dran gewesen, zur rumänischen Botschaft zu gehen und wieder einen Reisepass zu beantragen, erzählt sie in dieser Woche bei einem Pressegespräch.
Seit Langem hat sie Kontakte zu CDU-Politikern gehalten und kein Bündnis ausgeschlossen, um nicht von der SPD abhängig zu sein. Doch an diesem Tag, bei diesem Gespräch, ist Ramona Pop sehr klar: Eine Koalition mit der CDU werde es nicht geben.
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