Grüne Kanzlerkandidatin Baerbock: Sie kann die Sache groß machen
Annalena Baerbock präsentierte sich wenig provokant. Aber als Kanzlerin müsste sie feministische Fragen ganz anders pushen als ihre Vorgängerin.
S ie schreibt grüne Geschichte: Annalena Baerbock ist die erste grüne Kanzlerkandidatin und die jüngste aller KandidatInnen, die sich hierzulande je zur Wahl gestellt haben. Am Montag um 11 Uhr lüftete ihr Co-Chef Robert Habeck das in den vergangenen Monaten bestgehütete Geheimnis der Partei. Es beginne „ein neues Kapitel für unsere Partei und, wenn wir es gut machen, auch für unser Land“, sagte Baerbock in ihrer Bewerbungsrede.
Eine andere als diese Entscheidung in der K-Frage wäre für die Grünen, die seit ihrer Gründung auf die Frauenfrage pochen und dennoch vor allem ihre Macker pushten, frauenpolitisch vernichtend gewesen. Habeck, der sich als Feminist präsentiert – und wenn es darauf ankommt, doch nach vorn prescht und gönnerhaft Stellvertreterinnen benennt? Nahezu unvorstellbar.
Und trotzdem: Die sicherere Bank wäre er wohl gewesen. Laschet, Söder, Scholz und ein Schwiegermuttertraum dazu, fertig ist das Immergleiche. Eine Frau hingegen, eine junge noch dazu, gilt in der bundesdeutschen Politik noch immer als Wagnis. Die Referenzgröße ist der Mann, Abweichungen müssen erklärt werden.
Das weiß Baerbock – und so hielt sie ihre Rede. Sie präsentierte sich als Kandidatin für die Breite der Gesellschaft. Sie betonte ihre Rolle als Mutter, als künftige Großmutter. Sie gab sich als mittige Versöhnerin und Reala, die „Angebote“ machen will und auf Klima, Kitas, Schule, Pflege, starke Wirtschaft und sozialen Zusammenhalt setzt. Frauenpolitik? Fehlanzeige. Zu provokant, zu nischig scheint das, was die Hälfte der Gesellschaft betrifft, an solch prominenter Stelle wie der Rede zur Kanzlerinnenkandidatur noch immer zu sein.
Vertreterin einer neuen und jungen Generation von Frauen
Dabei sind die Zeiten in dieser Hinsicht für Baerbock besser, als sie es noch für Merkel waren, das ja. Aber noch immer müssen sich Frauen gegen misogyne Muster wehren, noch immer wird es für manche so aussehen, als ob sich da eine nehmen will, was ihr qua Geschlecht nicht zusteht: Macht. Doch darin liegt auch eine Chance. Möglich, dass die Völkerrechtlerin, Klima- und Umweltexpertin Baerbock nicht die mittelmäßige Nummer Sicher ist, die Habeck gewesen wäre. Baerbock kann untergehen, klar – aber sie kann die Sache auch groß machen.
Aus feministischer Perspektive ist dabei nun entscheidend, wie der Wahlkampf aussieht, wie ihre Politik aussehen wird. Wen holt sie, wie spricht sie, wie führt sie, wo setzt sie Schwerpunkte? Welche Rolle spielen Parité, Gewaltschutz, Equal Pay, Equal Pension, der Paragraf 219a? All das sind Themen, zu denen sich Baerbock zumindest in der Vergangenheit klar positionierte.
Angela Merkel hat Frauenfragen erst gegen Ende ihrer Karriere angesprochen, und auch da nur punktuell. Als Vertreterin einer neuen und jungen Generation von Frauen, als Feministin, als die sich Baerbock bisher recht glaubhaft inszenierte, muss die neue potentielle Kanzlerin das anders halten.
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