Grüne-Jugend-Sprecher über Klimaprotest: „Eine Partei allein kann die Klimakrise nicht aufhalten“
Wie viel Klimabewegung steckt noch in den Grünen? Ein Gespräch mit Grüne-Jugend-Chef Jakob Blasel über Gasausstieg, Migrationspolitik und enttäuschte Aktivisten.
![Jakob Blasel reckt die Faust inmitten von Klimaaktivisten wie Greta Thunberg und Luisa Neubauer Jakob Blasel reckt die Faust inmitten von Klimaaktivisten wie Greta Thunberg und Luisa Neubauer](https://taz.de/picture/7529353/14/25786176-1.jpeg)
taz: Herr Blasel, Sie sind einst mit Fridays for Future angetreten, heute sind Sie Co-Chef der Grünen Parteijugend. Wie viel Klimaaktivist steckt noch in Ihnen?
Jakob Blasel: Ich fühle mich den Leuten aus der Bewegung nach wie vor sehr verbunden. Der Großteil meines politischen Lebens ist durch gemeinsame Arbeit und Erfahrungen bei Fridays for Future geprägt. Seit ich Vorsitzender der Grünen Jugend bin, habe ich bisher keinen Klimastreik mehr organisiert. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass sich weiterhin ein wesentlicher Teil meiner politischen Arbeit darum dreht, wie wir die Klimakrise eindämmen können. Vergangenes Wochenende habe ich auf Borkum gemeinsam mit unserem Parteivorsitzenden und der Umweltministerin für einen Gasausstieg geworben. Die Aktion haben wir auch gemeinsam mit Klimaaktivist*innen geplant, die in den vergangenen Monaten gegen die Gasbohrungen im Wattenmeer protestiert haben.
taz: Fridays for Future hatte den Grünen einen fehlenden Gasausstieg vorgeworfen.
Ein konkretes Datum fehlte lange im Wahlprogramm, das stimmt. Das konnten wir nicht einfach hinnehmen, deshalb haben wir als Grüne Jugend den vollständigen Gasausstieg bis 2045 und einen Ausstieg aus der Stromproduktion mit Gas bis 2035 reinverhandelt. In Borkum haben wir dann auch die klare Absage an neue fossile Förderprojekte erwirkt. Die Gasbohrung vor Borkum darf nicht in Betrieb gehen, das muss ganz klar sein! Der Riss verläuft in dieser Frage also nicht zwischen Klimabewegung und Grünen. Es war Olaf Scholz, der versucht hat, dieses Projekt durchzudrücken. Wir stehen fest entschlossen an der Seite der Klimabewegung, um auch für ein Ende der Öl- und Gasförderung bis 2035 zu kämpfen.
taz: In der Ampelkoalition wurde das Klimagesetz abgeschwächt, Lützerath abgebaggert, Verkehr- und Gebäude reißen ihre Klimaziele. Richtet sich der Klimaprotest am 14. Februar nicht auch gegen die Grünen?
Blasel: Ich bin wahrlich nicht mit allem zufrieden, was die Grünen klimapolitisch machen. Aber das Thema Gasausstieg ist ein Beweis dafür, wie man Vertrauen wiedergewinnen kann. Die Grünen haben in Klimafragen nicht nur die meiste Expertise von allen Parteien, die zur Wahl stehen. Sondern auch bis ins Detail das klarste Programm, wenn es darum geht, die Klimakrise einzudämmen. Gleichzeitig ist klar: Es ist ein Problem, die Menschheitsaufgabe Klimaschutz einfach an die Partei auslagern zu wollen, die hier am meisten tut. Klimaschutz ist Aufgabe aller Parteien.
taz: Warum machen Sie dann nicht mehr Werbung mit Ihrem Kernthema?
Blasel: Es wäre strategisch sinnvoll gewesen, Klimaschutz von Anfang an in den Vordergrund zu stellen. Als Grüne Jugend haben wir das getan: Wir haben Menschenrechte, Klimakrise und soziale Gerechtigkeit als Themenschwerpunkte im Wahlkampf klar benannt.
taz: Doch das Verhältnis zur Klimabewegung hat unter der Ampel gelitten. Viele junge Menschen sind enttäuscht und wenden sich anderen Akteuren zu.
Blasel: Wegen Robert Habeck läuft aktuell der schnellste Ausbau erneuerbarer Energien in der Geschichte der Bundesrepublik. Ja, die Grünen hätten mehr über den sozialen Ausgleich in der Klimapolitik nachdenken müssen, aber immerhin haben sie etwas getan. SPD und FDP haben nur die Hände gehoben und blockiert. So wie ich die Stimmung in der Bewegung wahrnehme, richtet sich der Protest am stärksten gegen Friedrich Merz, der noch vor ein paar Monaten gesagt hat, Windräder müsse man eines Tages abreißen, weil sie hässlich seien.
taz: Klingt, als spürten Sie aktuell neuen Zulauf?
Blasel: Ja, das führt auch zu einer größeren Zugewandtheit für uns Grüne. Gleichzeitig erhöht es den Druck: Wenn die Grünen nicht für konsequenten Klimaschutz eintreten, tut es niemand. Klimaschutz stünde dann gar nicht mehr auf dem Wahlzettel. Die Erwartung der Klimabewegung, dass alle Parteien für Klimaschutz einstehen, ist deshalb so richtig wie notwendig. Wir leben in einer parlamentarischen Demokratie, eine Partei allein wird die Klimakrise nicht aufhalten können.
taz: Auch für die Linke und Volt gibt es in der Klimabewegung Sympathien.
Blasel: Und andersherum gibt es auch in der gesamten politischen Linken Sympathien für die Klimabewegung. Das ist gut so, darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Kleinparteien keine gute Entscheidung sind, wenn man mehr Klimaschutz möchte. Volt zum Beispiel ist bei jungen Leuten präsent, wird aber ganz sicher nicht im Bundestag sitzen. Eine Stimme für Volt wird am Ende unter allen Parteien im Bundestag aufgeteilt. Auch auf die AfD. So stärkt man eher rechte Kräfte als sozial gerechten Klimaschutz.
taz: Sie sind seit Herbst 2024 im Amt, zuvor trat der gesamte Jugendvorstand zurück und aus der Partei aus. Ein Grund war neben der Klima- auch die Asylpolitik. Was tun Sie, um das Verhältnis zu kitten?
Blasel: Den Gedanken des alten Bundesvorstands, die politische Wirksamkeit der Zivilgesellschaft gegen den Parlamentarismus auszuspielen, teilen wir nicht. Beides geht Hand in Hand, das beste Beispiel dafür waren die Klimaproteste 2019 und die Wirkmacht der Grünen aus der Opposition heraus. Vor zwei Wochen haben wir gemeinsam mit Menschen aus der Klimabewegung Proteste gegen die CDU und ihre Zusammenarbeit mit der AfD organisiert, ein Wochenende später den Gasausstieg ins Wahlprogramm der Grünen verhandelt. Beides geht, und das unterscheidet uns vielleicht auch von unseren Vorgänger*innen. Ich kann niemandem versprechen, dass die Grünen nicht auch in Zukunft Dinge beschließen, die wir falsch finden. Aber ich kann garantieren, dass wir uns dann als Machtfaktor innerhalb der Partei dagegen zur Wehr setzen werden.
taz: Haben sich die Grünen nicht längst mitreißen lassen? Stichwort Habecks Zehn-Punkte-Plan, mit dem er eine „Sicherheitsoffensive“ in Migrationsfragen fordert.
Blasel: In der vergangenen Woche haben alle das Wahlprogramm ein bisschen für sich interpretiert. Der Kanzlerkandidat hat sein Sicherheitsverständnis veröffentlicht. Und wir haben da andere Prioritäten.
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taz: Wie bewerten Sie es, dass Habeck in seinem 10-Punkte-Plan psychologische Untersuchungen bei Erstanträgen von Asylbewerber*innen fordert?
Blasel: Ich lese es als Versuch, die psychische Gesundheitsversorgung für Asylbewerber*innen zu verbessern. Ein zentraler Punkt von psychischen Erkrankungen ist, dass sie oft viel schwieriger behandelt werden können, weil sie im Vergleich zu allen anderen Krankheiten viel später erkannt werden. Deswegen ergibt das gesundheitspolitisch viel Sinn. Allerdings finde die Idee, dass nur auf Asylbewerber*innen zu reduzieren, ein bisschen kurz gegriffen, weil ich glaube, dass es insgesamt unsere Sicherheit erhöhen würde, würden wir die psychische Gesundheitsversorgung verbessern.
taz: Als Grüne Jugend haben Sie mit eigenen Forderungskatalog reagiert. Wen bekommen die Wähler*innen?
Blasel: Unser 10-Punkte-Plan ist nah am Wahlprogramm, in dem sich auch viele Positionen der Grünen Jugend wiederfinden. Das ist eine gute Grundlage für Koalitionsgespräche. Der inhaltliche Aushandlungsprozess wird auch nach der Wahl andauern.
taz: Warum verbinden Sie das Thema Migration nicht viel mehr mit der Klimakrise? Schließlich sagen alle Prognosen große Klimaflucht vorher.
Blasel: Der größte Fehler im Diskurs der letzten Monate war die Vermischung einer sicherheits- mit einer migrationspolitischen Debatte. Erst dadurch wurde dieses rassistische Narrativ möglich, den wir jetzt erleben. Migration ist nicht per se ein Sicherheitsproblem, sondern wir haben Sicherheitsprobleme, weil die soziale Infrastruktur immer weiter abgebaut wird. Es geht auch am Kern der Sache vorbei, da wir eigentlich mehr Migration brauchen, für den Arbeitsmarkt und gerade für eine sozial-gerechte ökologische Transformation. Wir sind eine viel zu geburtenschwache Generation, um alle Jobs und Aufgaben, die es in diesem Land gibt, zu verteilen.
taz: Stehen Sie zu Ihrer Forderung, nach der gemeinsamen Abstimmung der Union mit der AfD eine Koalition mit Friedrich Merz auszuschließen?
Blasel: Friedrich Merz ist kein verlässlicher Partner für demokratische Parteien, das hat er mit beeindruckender Klarheit die letzten Wochen im Parlament bewiesen. Ich sehe nicht, dass Merz fähig ist, eine stabile Regierung anzuführen, die auch real Probleme in diesem Land löst. Grüne sind gut beraten, Merz’ klimazerstörerische und rassistische Politik nicht mitzutragen.
taz: Wäre eine Zusammenarbeit mit der Union nicht genau dann staatspolitisch geboten, um weitere Exzesse in der Klima- und Asylpolitik zu verhindern?
Blasel: Das finde ich demokratietheoretisch unwürdig. Wir wollen, dass es nach der Wahl eine demokratische Regierung in Deutschland gibt. Und wir wollen verhindern, dass sich die rückwärtsgewandte Agenda von Herrn Merz durchsetzt. In diesem Spannungsfeld bewegen wir uns.
taz: Mit „Zuversicht“ wirbt Ihre Partei im Wahlkampf. Woraus soll die entstehen?
Blasel: Autoritäre und rechte Kräfte wollen uns das Gefühl geben, wir seien dem Lauf der Geschichte wehrlos ausgeliefert. Unsere Antwort darauf muss sein, um so entschlossener für ein besseres Leben für alle zu werben. Wir Grünen stellen doch den einzigen Kanzlerkandidaten, der tatsächlich eine positive Erzählung und einen Plan für die Zukunft hat. Ich weigere mich, einem Verteidigermodus des Status quo zu erliegen. Zuversicht ist der Gegenentwurf zur Politik der extremen Rechten. Mit konkreten Ideen, wie es besser werden kann, haben wir eine Zukunft zu gewinnen.
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