Grüne Fraktionschefs über Opposition: „Wir werden nicht nur draufhauen“
Bettina Jarasch und Werner Graf über zerstörtes Vertrauen zur SPD und die neue Rolle der Grünen in der Opposition im Berliner Abgeordnetenhaus.
![Bettina Jarasch und Werner Graf stehen angelehnt an einem Geländer Bettina Jarasch und Werner Graf stehen angelehnt an einem Geländer](https://taz.de/picture/6246717/14/32741609-1.jpeg)
taz: Herr Graf, Sie sind bekanntlich gut befreundet mit dem neuen Regierenden Bürgermeister Kai Wegner. Aber über dessen Wahl am Donnerstag möglicherweise nur dank der Stimmen der AfD waren Sie konsterniert und haben erklärt, er hätte die Wahl nicht annehmen dürfen. Gehen Sie trotzdem noch mit Wegner Essen?
Werner Graf: Es fällt mir gerade schwer, mir das vorzustellen. Aber man sollte immer miteinander sprechen können. Wenn wir aber das nächste mal Essen gehen, werden wir Tacheles sprechen müssen. Denn ich sehe nicht, wie die CDU und die SPD das Chaos, das sie angerichtet haben, gerade wieder heilen wollen.
Das wird auch nie passieren: Die Wahl war geheim.
Jarasch: Dass Wegner – und damit Schwarz-Rot – auf diese Weise ins Amt kam, ist eine schwere Hypothek für die ganze Stadt. Und es zeigt, wie zerstritten diese Koalition ist. Die CDU hat Rot-Grün-Rot immer vorgeworfen, wir würden die Stadt ins Chaos stürzen. Und nun hat die neue Koalition innerhalb von ein paar Stunden mehr Zerstrittenheit und Chaos gestiftet als Rot-Grün-Rot in sechs Jahren.
Manche sagen, es stärke bloß die AfD, wenn Sie und andere diesen Verdacht, dass Wegner mit Ihrer Hilfe gewählt wurde, weiter thematisieren.
Graf: Das ist abstrus, weil damit die Tatsachen verdreht werden. Nicht derjenige, der ein Problem anspricht, ist das Problem, sondern jene, die uns dieses Problem eingebrockt haben. Sie haben bis heute nicht bewiesen; eine eigene Mehrheit zu haben – so gesehen haben wir eine Minderheitsregierung in dieser Stadt.
Das wäre doch für die größte Oppositionsfraktion ein Grund zum Jubeln. Und statt einer stabilen Regierung könnten Sie deren Rücktritt fordern.
geboren 1968, Fraktionschefin der Bündnisgrünen im Abgeordnetenhaus, ehemalige Senatorin für Mobilität und Umwelt.
Graf: Wir haben immer gesagt, dass wir bereit sind; Verantwortung zu übernehmen. Wir können stabile Mehrheiten garantieren. SPD und CDU haben sich aber anders entschieden. Jetzt steht nicht das Wohl der Grünen an erster Stelle, sondern das Wohl Berlins. Dieses Desaster muss schnell behoben werden, damit nicht weiter spekuliert wird, welchen Einfluss die AfD auf die Wahl hatte.
Jarasch: Und ganz am Rande: Schwarz-Grün wäre schwierig geworden – keine Frage. Aber wenn die Partei dem letztlich zugestimmt hätte, dann wären wir das Ganze mit der gebotenen Verantwortung angegangen. Ein solches Debakel hätte es bei uns nicht gegeben. Da können Sie sicher sein.
geboren 1980, Experte für Mobilität und Sport, seit 2022 Fraktionschef der Grünen im Abgeordnetenhaus
Werden Sie diesen AfD-Makel jetzt in jeder Sitzung des Parlament – „ceterum censeo“ – thematisieren?
Graf: Es darf uns nicht um die AfD gehen. Diese Regierung muss beweisen, dass sie eine eigene Mehrheit hat, schließlich stehen jetzt die wichtigen Haushaltsverhandlungen an. Ein anderes Beispiel: Die Koalition will das Wahlalter auf 16 senken, wie Rot-Grün-Rot zuvor auch.
Dazu braucht es eine Zweidrittelmehrheit im Parlament, um die Verfassung zu ändern.
Graf: Wir stehen dafür bereit, so wie ich die Linksfraktion kenne, steht diese auch zu ihrem Wort. Das können wir also sofort umsetzen. Aber stehen SPD und vor allem die CDU noch dazu? Bringen sie genug Stimmen oder weichen wieder relevante Teile ab? Wir sind verhandlungsfähig, aber ist das auch die Gegenseite? Das wissen wir gerade nicht.
Was ist spontan der größte Unterschied zwischen Regierung und Opposition?
Jarasch: In der Regierung gestaltet man direkt; in der Opposition muss man die Regierung manchmal von den besseren Lösungen überzeugen. Das ist unser Anspruch als Opposition. Wir werden nicht nur draufhauen, das wäre die billige Nummer.
Vor uns sitzen die beiden Klima- und Verkehrsexpert*innen der Fraktion. Die Koalition hat ein milliardenschweres Sondervermögen für den Klimaschutz aufgelegt – was wollen Sie da besser machen?
Graf: Erstmal muss die Regierung beweisen, wofür dieses Sondervermögen wirklich benutzt werden soll. Das ist ja eine bekannte Taktik der SPD: Sie stellt eine Summe in den Raum, ohne zu wissen, was sie damit genau machen will, nur um zu suggerieren, dass man was tut. Dem Klima hilft aber keine Show-Politik sondern wir brauchen Taten. Wenn ich mir den Nahverkehrsplan anschaue, dann sind die angekündigten 5 bis 10 Milliarden Euro schnell ausgegeben – ohne dass es zusätzliche Mittel gäbe zu dem, was Rot-Grün-Rot beim Klimaschutz ohnehin schon beschlossen hat. Wir wissen auch noch nicht, ob das Geld nicht einfach aus dem regulären Haushalt in den Sondertopf verschoben wird. Dann wäre das Sondervermögen einfach eine Mogelpackung.
Immerhin war es ein Vorstoß, der der grünen Klientel gefallen dürfte.
Bettina Jarasch
Jarasch: Jeder Euro, der wirklich für Klimaschutz zusätzlich investiert wird, wird den Berliner*innen zu Gute kommen. Meine Sorge ist, dass die Koalition in der Umsetzung nicht weit kommen wird, auch weil viele der möglichen kurzfristigen Veränderungen von uns schon umgesetzt wurden und weil sich nicht alle Probleme einfach mit Geld lösen lassen.
Seit mehr als einer Woche versucht die Gruppe Letzte Generation mit zahlreichen Straßenblockaden, die Stadt „stillzulegen“, wie sie selbst sagen. Frau Jarasch, Sie haben in der Regierung immer gesagt, als Grüne brauchen Sie diesen Druck von der Straße. Gilt das auch für die Opposition?
Jarasch: Die neue Regierung braucht diesen Druck und zwar dringend, wenn mehr Klimaschutz umgesetzt werden soll. Ich glaube nicht, dass die Aktivistinnen und Aktivisten hauptsächlich auf die Opposition im Abgeordnetenhaus schauen.
Halten Sie die Aktionen für zielführend?
Jarasch: Darüber haben wir schon viele Diskussionen geführt – und das ist ein Teil des Problems. Das sind Menschen, die mit einer gewissen Verzweiflung darauf aufmerksam machen, dass uns die Zeit wegläuft. Aber durch die Aktionsform diskutieren wir am Ende nur über die Staus auf der Straße – und nicht über Klimaschutz. Genau diese Debatte bräuchten wir allerdings, damit wir klären, wie wir gemeinsam vorankommen.
FDP-Bundesverkehrsminister Wissing hat am Dienstag mit der Initiative gesprochen. Sollte Kai Wegner auch mit ihr reden?
Graf: Miteinander reden ist immer besser als nicht miteinander zu reden. Der Bürgermeister von Hannover hat das auch getan. Sich nur zu verweigern, weil man die Art und Weise des Protests nicht so gemütlich findet, finde ich ein komisches Herangehen.
Sie fordern also, Kai Wegner sollte mit den Aktivist*innen reden?
Jarasch: Bei der Gelegenheit könnte er auch aufzeigen, was mit der CDU in Berlin in Sachen Klimaschutz passiert. Dann würden wir alle mehr wissen als wir es jetzt tun.
Wegner könnte kontern: Warum hat eine Klimaschutzsenatorin Jarasch nie offiziell mit den Aktivist*innen geredet.
Jarasch: Ich war immer mit Initiativen im Gespräch, auch mit Extinction Rebellion und der Letzten Generation. Ich habe mit ihnen über Strategien diskutiert – und das gleiche gesagt wie gerade eben. Aber die Forderungen wie das 9-Euro-Ticket wenden sich ja an die Bundesregierung.
Kommen wir mal zur Friedrichstraße: Meinen Sie, jetzt da der Frühling kommt und die Straße begrünt wird, ist diese autofreie Zone zu retten?
Jarasch: Einzelhandel und Gastronomie haben in der Friedrichstraße seit vielen Jahren zu kämpfen. Wer die Geschäfte in der Straße retten will, braucht eine schön gestaltete Fußgängerzone. Aber als Symbol für die Verkehrswende taugt die Friedrichstraße nicht. Ein geschützter Radweg ist das bessere Symbol.
Im Wahlkampf wirkte das auch von Ihrer Seite ganz anders.
Graf: Wir haben die Friedrichstraße nicht ständig angesprochen, das wirkte viel mehr so, denn es kam ständig von anderer Seite, wie CDU, SPD, FDP und AfD.
Jarasch: Für uns ist die Friedrichstraße tatsächlich nur eins von vielen, vielen Projekten gewesen. Ich habe meiner Nachfolgerin…
…der CDU-Vizechefin Manja Schreiner…
…einen dicken Ordner an begonnenen und laufenden Projekten übergeben. Darin macht die Friedrichstraße zwei Absätze aus.
Werner Graf
Zum künftigen Selbstverständnis der Fraktion in der Opposition hat der Vorstand ein Papier beschlossen. Das ist manchen schon zu links, ihrem Fraktionskollegen Vasili Franco hingegen zu lasch: Wo es bislang im Text heißt, man wolle künftig alle Berliner ansprechen und in ihrer Lebenwirklichkeit wahrnehmen, will er das per Änderungsantrag auf mehr Berliner beschränken.
Graf: Wir sind zum Glück eine diskussionsfreudige Fraktion, und ich glaube jetzt nicht, dass das was mit zu links oder nicht zu links zu tun hat. Da geht es eben auch ums Werben für Wörter und die Debatte was wir wie genau meinen. Das gilt auch bei dem, was Sie ansprechen: Kann man überhaupt eine Politik machen, die allen gefällt?
Kai Wegner hat auf einem Wahlplakat gesagt: „Meine Politik muss nicht allen gefallen. Aber für alle funktionieren.“
Graf: Aber trotzdem gibt es in der Politik doch immer große verschiedene Ansichten und auch Weltansichten und Veränderungen, und sonst gäbe es ja auch nicht verschiedene Parteien.
Jarasch: Dieses Papier der Fraktion zeigt vor allem eines: Wir führen gerade sehr offen die Diskussion darüber, wie wir uns als Opposition bis zur nächsten Wahl 2026 aufstellen wollen. Und das bedeutet auch, dass wir noch stärker als bisher raus gehen werden und uns mit unterschiedlichen Lebenssituationen beschäftigen.
Sprechen wir mal über die SPD. Sind Sie noch sauer auf die?
Jarasch: Ich hätte mir gewünscht, dass die SPD-Führung einfach dazu gestanden hätte, dass sie lieber Schwarz-Rot machen wollte. Stattdessen haben sie den Schwenk zur CDU versucht als zwingend hinzustellen, indem sie einen Kübel Dreck über ihre ehemaligen Koalitionspartner ausgeschüttet haben. Das ist unfair und schlecht für Berlin. Sie hatten nicht den Mumm, einfach zu sagen, wir wollen lieber mit der CDU.
Das heißt, auch hier ist das mit dem gemeinsam Kaffeetrinken und Essengehen erstmal schwierig.
Graf: Ich werde auch weiter Kaffee trinken gehen, und ich finde, Emotionen sollten in der Politik keine große Rolle spielen. Wir machen hier Politik für die Berlinerinnen und Berliner und nicht, damit wir ein schönes Leben haben – das schöne Leben habe ich mit meinem Mann. Was mich umtreibt, ist, wenn auf einmal mit haarsträubenden Unwahrheiten versucht wird, Mehrheiten in der Partei zu gewinnen und zu begründen. Das ist demokratiegefährdend.
Okay, wie sieht es mit den Linken aus: Gibt es da Gespräche?
Jarasch: Ja. Wir werden zusammenarbeiten wo es sich anbietet…
…in Ihrem Papier heißt es „punktuelle Zusammenarbeit“…
…aber auch keine Koalition in der Opposition schmieden.
Die Frage ist bloß: Wo positionieren Sie sich strategisch? Richtung Mitte, um CDU und SPD Konkurrenz zu machen? Aber dann würden Sie alles links davon der Linksfraktion überlassen.
Jarasch: Ich glaube, diese Art von Überlegungen interessieren draußen die Leute relativ wenig. Die wollen, dass wir für konkrete Probleme konkrete Lösungen anbieten, und die fragen sich dann nicht, ob wir jetzt näher bei der Linkspartei oder eher in der Mitte angesiedelt sind.
Wäre es vom Vertrauen in die Demokratie nicht das Beste für Berlin, dass die Koalition bis 2026 durchhält? Bald nochmal Neuwahlen, nach Wahlpannen, Gerichtsurteil, Wahlkampf, Koalitionsgezerre? Das lässt einen doch schaudern.
Graf: Ich traue Schwarz-Rot halt gar nicht zu, dass sie gut und verlässlich regieren können. Und miteinander scheint es dort auch nicht zu funktionieren.
Sie meinen, Kai Wegners Koalition hält nicht bis 2026 durch?
Jarasch: Das müssen Sie Schwarz-Rot fragen, wie sie es hinkriegen wollen, doch noch stabil zu regieren. Die haben in ihren Koalitionsvertrag wahnsinnig viele Versprechungen reingeschrieben und dafür nur drei Jahre Zeit. Das heißt, sie sind wirklich zum Erfolg verdammt, und dafür braucht es eine stabile Basis.
„Wir sind zum Erfolg verdammt“, hat schon SPD-Fraktionschef Raed Saleh – im Dezember 2016 zum Start der rot-rot-grünen Koalition.
Jarasch: Wir haben auch wirklich gut und stabil regiert, und unsere Koalition hatte immer eine Mehrheit. Für die jetzige Koalition galt das bei der Wahl des Regierenden Bürgermeisters offensichtlich nicht.
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