Grüne Antje Möller verlässt Bürgerschaft: Abgang der letzten Linken
Nach 26 Jahren verlässt die Grüne Antje Möller Hamburgs Bürgerschaft. Als Kämpferin für die Rechte von Minderheiten wird sie wertgeschätzt.
Antje Möller, 1957 in Minden geboren, studierte Stadtplanung in Berlin und stieß 1990 zur Hamburger Grün-Alternativen Liste (GAL), zunächst als Fachreferentin für Abfall und Energie. Seit Oktober 1993 ist Möller ohne Unterbrechung Mitglied der Hamburgischen Bürgerschaft, fungierte dort als Fraktionschefin, Fraktionsgeschäftsführerin und Bürgerschafts-Vizepräsidentin. Nur die SPD-Frau Barbara Duden ist länger dabei.
In einer Partei, in der einst das Rotationsprinzip galt, war eine solche Karriere lange nicht vorgesehen. Da mussten Ausnahmebeschlüsse auf Parteitagen her, damit Möller wieder kandidieren durfte.
Ein wenig ist Möller aus der Zeit gefallen. Als die heute 62-Jährige Abgeordnete wurde, verstanden sich die Grünen vor allem als Anti-Partei mit antikapitalistischen Einsprengseln, gewillt, das Schlimmste zu verhindern: neue Atomkraftwerke, die gesellschaftliche Diskriminierung von Minderheiten, den Rechtsruck der Politik, den Abbau von Bürgerrechten im zunehmenden Überwachungsstaat. Die drei letztgenannten Themen, sie sind für Möller bis heute Herzensangelegenheit.
Viele Weggefährten wechselten zu „Regenbogen“
Eine der größten Einschnitte in Möllers politischer Laufbahn war die Spaltung der grünen Bürgerschaftsfraktion 1999, als fünf grüne Abgeordnete vom linken Flügel die Partei verließen und den „Regenbogen“ gründeten. Lange bearbeiteten die Fünf Möller, sich ihnen anzuschließen. Doch sie blieb, verlassen von ihren engsten politischen Weggefährten, bei den Grünen zurück. Seitdem wird sie oft als „die letzte Linke der Hamburger Grünen“ tituliert, und bezeichnet sich mitunter auch selbst so.
Den Weg der Grünen zur Volks- und Gestaltungspartei mitzugehen, die bestrebt ist, mit modernen Gesellschafts- und Mobilitätskonzepten mehrheitsfähig zu werden, gelang Möller aufgrund der ihr eigenen Balance zwischen radikalen Politikansatz und beinharter Realpolitik. Weil das, was veränderbar ist, doch dringend verändert werden muss.
Die Medien erleben Antje Möller oft als schmallippig. Sie scheut die Öffentlichkeit, wenn etwas nicht in ganz trockenen Tüchern ist, durch eine Kampagne noch gefährdet werden könnte. „Ich versuche, den Konsens zu finden, GesprächspartnerInnen nicht zu brüskieren und nicht über die Öffentlichkeit zu spielen“, beschreibt Möller ihren Politikstil, der viel zur überparteilichen Wertschätzung, die sie erfährt, beiträgt.
Wert geschätzt wird Möller etwa von der ebenfalls aus der Bürgerschaft ausscheidenden Christiane Schneider, die bei der Linkspartei – wie Möller bei den Grünen – für Flüchtlings- und BürgerInnenrechte streitet. Zwischen den Politikerinnen ergab sich im Laufe der gemeinsamen Bürgerschafts-Zeit oft eine rot-grüne Arbeitsteilung. Schneider formulierte aus der Opposition heraus das Wünschenswerte, Möller setzte das Machbare mit um.
Dazu gehört etwa, dass sie mit großem Einsatz hinter den Kulissen mit dafür sorgte, dass die Rote Flora alle Attacken der CDU überlebte, die auch die SPD wackeln ließen. Zuletzt hat sie an der Novellierung des Polizeigesetzes mitgearbeitet, darum gerungen, die polizeiliche Ermittlungsallmacht einzugrenzen. „Anders als in anderen Bundesländern wird es keine Online-Durchsuchungen in Hamburg geben“, sagt sie stolz.
Als eine ihrer schmerzhaftesten politischen Niederlagen begreift Möller, dass es ihr nicht gelang, zu verhindern, dass Olaf Scholz – getrieben vom Rechtspopulisten Roland Schill – im Juli 2001 als Innensenator die Zwangs-Verabreichung von Brechmitteln zur Beweissicherung bei mutmaßlichen Drogendealern einführte. Die grünen warnten vor dem schwerwiegender Eingriff in Persönlichkeitsrechte und die körperliche Unversehrtheit, trugen die Brechmitteleinsätze schließlich mit, zerbrachen aber fast daran.
Antje Möller war immer auch das Gewissen der Grünen. Jahrelang vertrat sie die Partei im Eingabenausschuss und in der Härtefallkommission, dort wo entschieden wird, ob ein Flüchtling bleiben darf oder gehen muss. Diese „Entscheidungen über das Schicksal von Menschen“ ist das, was sie am meisten berührt habe, sagt Möller. Und sie erinnert sich an viele „bittere Momente“, wenn sie eine Abschiebung auch mit guten Argumenten nicht verhindern konnte. Hier fällt es ihr schwer loszulassen, nicht mehr für eine Bleibeperspektive von Menschen zu kämpfen und ab und zu auch mal zu gewinnen.
Was ihr nach 26 Jahren in der Grünen-Fraktion am meisten fehlen wird? „Der Austausch mit den KollegInnen und die tägliche politische Diskussion“ blickt Möller voraus. Doch sie freue sich auch darauf, „keine öffentliche Person mehr“ zu sein, Zeit für sich, ihre beiden Kinder und Enkelkinder zu haben.
Was nun kommt? Bislang hätten ihr „die Kapazitäten gefehlt, meine Zukunft komplett zu planen“. Doch auch ohne Mandat und Posten werde sie natürlich „ein politischer Mensch“ bleiben und sich auch als einfaches Mitglied der Grünen einmischen. Ihre Stimme wird weiter Gewicht haben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
Künstler Mike Spike Froidl über Punk
„Das Ziellose, das ist doch Punk“
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Negativity Bias im Journalismus
Ist es wirklich so schlimm?