Großbritannien nach der Unterhauswahl: Zu Weihnachten gibt's Brexit
Schon diese Woche soll das neue britische Unterhaus den Brexit bestätigen. Die Tories wollen Englands abgehängten Regionen jetzt etwas bieten.
Am Freitag sollen dann die Abgeordneten das Gesetz zur Umsetzung von Johnsons Brexit-Deal mit der EU verabschieden, das zu Großbritanniens Austritt aus der Europäischen Union am 31. Januar 2020 führen soll.
Die Kampagne „People’s Vote“ für ein zweites Brexit-Referendum hat daraus die Konsequenz gezogen, sich offiziell aufzulösen. Einzelne Aktivisten wollen trotzdem darauf drängen, dass Großbritannien nach dem Brexit möglichst eng an die EU gebunden bleibt.
Die Regierung widmet sich jetzt vor allem innenpolitischen Reformen. Sie sollen die von Labour abgefallenen Wähler und Regionen dauerhaft für die Konservativen sichern. So soll die Queen’s Speech die Ankündigung enthalten, kräftige reale jährliche Ausgabensteigerungen für den staatlichen Gesundheitsdienst NHS erstmals gesetzlich festzuschreiben, ähnlich wie bisher nur bei der Entwicklungshilfe. Es geht um umgerechnet 40 Milliarden Euro zusätzlich über vier Jahre.
Medien berichten über Infrastrukturprogramm
In Medienberichten ist auch von einem Sofortprogramm zur Erneuerung maroder Infrastruktur in abgehängten Regionen Nordenglands im Umfang von 78 Milliarden Pfund (95 Mrd. Euro) die Rede. Dafür müsste eventuell die geplante Hochgeschwindigkeitsstrecke der Eisenbahn aus London Richtung Norden geopfert werden, die zunächst nur nach Birmingham führen soll und die schon jetzt auf 88 Milliarden Pfund kalkuliert wird, bevor auch nur die Bauarbeiten begonnen haben. Neue konservative Abgeordnete fordern, erst in Nordengland zu investieren.
Johnson weiß, dass sein Erfolg langfristig von einer Verbesserung der Lebensverhältnisse in alten Labour-Hochburgen abhängt. Am Samstag besuchte er Sedgefield, den Ex-Wahlkreis Tony Blairs im Nordosten Englands, den jetzt erstmals seit 84 Jahren ein Konservativer vertritt. Mit teils wortgetreuer Übernahme der Rhetorik Blairs sagte Johnson, die Politik müsse „den Menschen dieses Landes dienen“.
Reformen im Staatsapparat, ein neuer Staatshaushalt und ein neu zugeschnittenes Kabinett werden für Februar, nach dem Brexit erwartet.
Schottland für Johnson schwieriger wie Labour
Johnson muss sich auch überlegen, wie er mit Schottlands Forderung nach einem neuen Unabhängigkeitsreferendum umgeht. Nachdem die schottische Regionalpremierministerin Nicola Sturgeon dies am Freitag verlangt hatte, erteilte ihr Johnson umgehend eine Absage und verwies auf die Vereinbarung, dass das Referendum von 2014 eine einmalige Angelegenheit gewesen sei. Das wird aber den Streit nicht beenden.
Die Schottland-Frage wird für den konservativen Premier schwieriger als der Umgang mit der Labour-Opposition, die bis auf Weiteres mit sich selbst beschäftigt ist. Parteichef Jeremy Corbyn will zwar abtreten, aber erst dann, wenn die Nachfolge steht – also frühestens im Frühjahr 2020 –, statt wie sonst üblich einer neutralen Interimsführung zu weichen.
In Interviews behauptete Corbyn, Labour habe im Wahlkampf „das Argument gewonnen und die politische Debatte verändert“. Für die Niederlage machen seine Anhänger auf dem linken Labour-Flügel vor allem die Medien verantwortlich.
Wenig Selbstkritik bei Labour
Auf Twitter kursierten am Wochenende unter dem Hashtag #SocialistSunday Aufrufe, keine Zeitungen mehr zu lesen, kein Radio und Fernsehen mehr zu konsumieren und sich abzuschotten, bis man irgendwann neue Kraft schöpfen könne. Von Selbstkritik ist wenig zu spüren.
Der linke Flügel kontrolliert Labours Parteiorgane und kann daher die Modalitäten der Wahl von Corbyns Nachfolge bestimmen. Während der rechte Flügel den bisherigen Brexit-Sprecher Keir Starmer favorisiert, rufen viele Stimmen dazu auf, nicht einen geschliffenen Londoner Juristen zu wählen, sondern erstmals in Labours Geschichte eine Frau, am besten mit Arbeiterhintergrund – mit der unausgesprochenen Annahme, dass die nächsten Wahlen wohl sowieso verloren gehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Die Wahrheit
Der erste Schnee
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja