Griechisches Flüchtlingscamp geräumt: Staatsgewalt gegen Geflüchtete
Das Geflüchtetencamp im Athener Stadtteil Eleonas wird geräumt – gegen den Willen vieler BewohnerInnen. Auf Proteste folgen Festnahmen.
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„Es gab dabei extreme Gewalt“, sagt Miriam, eine Aktivistin der Gruppe Solidarity with Migrants, am Telefon der taz. Sie ist eine von insgesamt sechs UnterstützerInnen, die an dem Tag festgenommen wurden. Sie schätzt, dass etwa 40 Frauen und Kinder bei der Aktion verletzt wurden. Auf Videoaufnahmen ist zu sehen, wie Polizisten Insassen mit Schilden, Tränengas und Knüppeln abdrängen.
Migrationsminister Notis Mitarakis schrieb auf Twitter, die Räumung von Eleonas sei nötig, weil der Stadtteil „modernisiert“ werde und es in anderen Camps Platz gebe.
Seit den Zusammenstößen am Wochenende protestieren die rund 300 verbliebenen BewohnerInnen zusammen mit linken Gruppen, Anwälten der Verhafteten und ehemaligen SozialarbeiterInnen des Lagers. In einer Erklärung warfen sie der rechten Néa-Dimokratía-Regierung und Athens Bürgermeister Kostas Bakogiannis einen „kriminellen“ Umgang mit den Flüchtenden vor. Sie erinnerten daran, dass diese in Eleanos eine Bleibe gefunden hatten, nachdem sie in den „Höllenlöchern Moria und Amygdaleza“ hatten leben müssen.
Bedingungen in Eleonas waren besser
Dabei handelt es sich um zwei der vielen EU-finanzierten Internierungslager Griechenlands, in denen der Staat Ankommende in der Regel einsperrt. Nach ihrer Entlassung sind sie häufig sich selbst überlassen und müssen auf der Straße leben. Dabei hat Griechenland seit 2016 mehr internationale Hilfe pro im Land befindlichem Flüchtling bekommen als jeder andere Staat der Welt.
Die Bedingungen in Eleonas sind nach Meinung vieler BewohnerInnen besser als anderswo. Kein anderes Lager der Region ist so gelegen, dass die Bewohner die Innenstadt leicht erreichen können. Der Zugang war lange offen, sodass NGOs dort Unterstützungsarbeit leisteten.
Ende Juni aber ließ die Verwaltung die Arbeitsverträge der SozialarbeiterInnen auslaufen. Anfang August wurde allen NGOs, die im Camp gearbeitet hatten, der Zugang verboten. Dies sei ein Schritt, mit dem die Regierung Flüchtlinge aus Athen vertreibe, um sie „an abgelegenen Orten zu verstecken, viele von ihnen obdachlos zu machen und einige, die sie für illegal hält, sogar zu verhaften,“ heißt es in einer Erklärung der NGO Project Elea. Allein seit 2016 haben nach Angaben von Project Elea insgesamt rund 12.000 Geflüchtete in dem Camp gewohnt, rund 2.500 Freiwillige hätten sich dort engagiert.
In Eleonas lebten auch Geflüchtete mit abgelehntem Asylverfahren oder ohne Papiere. Sie fürchten nun, dass ihnen Abschiebung oder Obdachlosigkeit drohen, wenn sie das Camp verlassen.
Serie von Schließungen
Die Polizei hatte sich am Freitag zurückgezogen. Der nächste Transfer ist von der Campleitung für kommenden Dienstag angesetzt. Die BewohnerInnen fürchten, dass die Polizei diesen erneut mit Gewalt durchzusetzen versucht.
Die Räumung in Eleonas folgt auf eine Serie von Schließungen zivilgesellschaftlich betriebener Unterkünfte für Geflüchtete in Griechenland. Im Juli 2019 kam das berühmte gewordene, aktivistisch geführte City Plaza Hotel mit seiner Schließung einer Räumung zuvor. Zwei Tage zuvor hatte die Néa Dimokratía die Wahl gewonnen und der neue Zivilschutzminister Michalis Chrisochoidis hatte die Schließung des City Plaza zu seiner Priorität erklärt. Im Oktober 2020 schloss die Polizei das Camp Pikpa auf der Insel Lesbos, das von einem Solidaritätsnetzwerk geführt wurde.
2022 sind bislang knapp 8.000 Geflüchtete auf dem See- und Landweg in Griechenland angekommen – etwa doppelt so viele wie im gesamten Vorjahr. Die meisten Ankommenden stammen aus Palästina, Afghanistan, Somalia, Sierra Leone und Syrien. Griechenland setzt auf eine zunehmend brutale und offene Politik von Pushbacks in der Ägäis und an der Landgrenze zur Türkei. Das Projekt Alarm Phone Aegean Border Archive spricht in einem Bericht von Mitte August von „eskalierender Gewalt“ gegen Flüchtlinge in der Region. Nach UN-Angaben sind seit Januar deshalb in der östlichen Mittelmeerregion 101 Menschen gestorben.
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