Grenzöffnungen in der Europäischen Union: Denkt europäisch!
Die Grenzöffnungen sind überfällig. Abriegelungen machen nur dann Sinn, wenn sie epidemiologisch begründet sind.
E ndlich: Ein Ende der innereuropäischen Grenzschließungen ist absehbar. Die Ankündigung der Bundesregierung, die Grenze zu Luxemburg bereits am Samstag wieder zu öffnen und die Kontrollen zu Frankreich, Österreich und der Schweiz schrittweise zu lockern, ist überfällig. Denn es war von Anfang an ein unangemessener nationaler Reflex, unabhängig vom tatsächlichen Infektionsgeschehen die Grenzen innerhalb Europas überhaupt zu schließen. Deutschland stand damit keineswegs allein in Europa. Aber das macht es nicht besser. Die Schlagbäume müssen wieder hoch.
Es gab etliche Öffnungsentscheidungen in den vergangenen Tagen, die höchst fragwürdig erscheinen. Trefflich ließe sich beispielsweise darüber streiten, ob es wirklich so sinnvoll ist, wenn Nordrhein-Westfalen in ein paar Tagen die Freibadsaison eröffnet. Nicht minder bedenklich ist es, wenn die dortige schwarz-gelbe Landesregierung jetzt Lehrkräfte aus Risikogruppen und Schwangere wieder zurück in die Schulen zwingen will.
Aber was immer man sonst Armin Laschet vorwerfen kann: Nordrhein-Westfalens CDU-Ministerpräsident lag richtig, als er sich Anfang April dem Begehren Seehofers widersetzt hat, auch die Grenzen zu Belgien und den Niederlanden zu schließen. Damit hat Laschet den in der „Euregio“ lebenden Menschen einen großen Dienst erwiesen – ohne dass dies einen negativen Einfluss auf das Infektionsgeschehen gehabt hätte. Wären doch auch andere seinem Beispiel gefolgt.
Die nationalen Alleingänge der vergangenen Wochen haben nicht nur gezeigt, wie fragil die europäische Idee ist, sondern auch unnötige Härten für viele Menschen gebracht. Wenn sich an der deutsch-schweizerischen Grenze am Bodensee Liebespaare, Freund:innen oder auch getrennt lebende Familien plötzlich nur noch an einem Doppelzaun im Zwei-Meter-Abstand begegnen können, dann ist das eine Absurdität, die schnellstmöglich beendet werden muss – und nicht erst in einem Monat.
Nein, das Virus orientiert sich nicht an Ländergrenzen. So sehr es vernünftig war und ist, Risikogebiete abzuriegeln: Wo Infiziertenraten und Ansteckungsrisiko diesseits und jenseits einer Grenze ähnlich sind, da sind Grenzschließungen nur als Schikane zu begreifen. Der frühere EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat es auf dem Länderrat der Grünen Anfang Mai treffend formuliert: „Wer denkt, nur um dem nationalen Publikum zu gefallen, es wäre jetzt angebracht, Binnengrenzen zu schließen, irrt sich fundamental.“ Höchste Zeit, diesen fundamentalen Irrtum zu korrigieren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“