piwik no script img

Grenzkontrollen zu PolenWer steht für Europa?

Uwe Rada
Kommentar von Uwe Rada

Brandenburgs Grüne haben die Verlängerung der Kontrollen an der Grenze zu Polen kritisiert. Zustimmung bekommen sie nur aus dem Nachbarland.

Annelena Baerbock und ihr polnischer Kollege Radosław Sikorski (links daneben) sehen die Grenzkontrollen kritisch Foto: Patrick Pleul/dpa

I st das grenzenlose Europa nur noch sentimentales Erinnern? Als sich am 1. Mai Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) und ihr polnischer Kollege Radosław Sikorski in Frankfurt (Oder) und dem benachbarten polnischen Słubice trafen, um das 20-jährige Bestehen der EU-Osterweiterung zu feiern, deutete der polnische Außenminister an, was er von den deutschen Kontrollen an der Grenze zu Polen hält. Es gebe zwar noch Kontrollen, sagte Sikorski. Aber: „Das wird vorbeigehen.“ Es gehe darum zu kämpfen, dass es keine Grenzen mehr gebe.

Auch Frankfurts Oberbürgermeister René Wilke (Linke) ließ durchblicken, wie unzufrieden er mit der derzeitigen Situation ist. „Früher musste man sich beim Rüberlaufen keine Gedanken machen, heute nehmen die Kontrollen ein wenig die Leichtigkeit weg“, sagte Wilke und erwähnte die Staus, zu denen es auf polnischer Seite regelmäßig kommt. Allerdings brauche es auch Antworten auf die hohe Anzahl illegaler Einreisender im vergangenen Jahr.

Dieses Argument haben in dieser Woche allerdings die Brandenburger Grünen in Frage gestellt. In einem Gutachten, das am Dienstag vorgestellt wurde, werden die Erfolgsmeldungen von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) kritisch hinterfragt. Zwar seien die Zahlen der irregulären Einreisen inzwischen rückläufig, sagte der Autor des Gutachtens, der Migrationsforscher Marcus Engler. Dies könne aber auch darauf zurückzuführen sein, dass Geflüchtete auf andere Grenzübergänge ausweichen.

Die grüne Landtagsabgeordnete Sahra Damus sagt es so: „Kontrolliert wird in Brandenburg nur an der Stadtbrücke in Frankfurt, der A12 und der Autobahn in Forst.“ Insgesamt gebe es aber 20 Grenzübergänge sowie die Möglichkeit, über die grüne Grenze zu gehen.

Polen kritisieren Kontrollen

Vor allem auf polnischer Seite, so die Grüne, würden die Kontrollen sehr kritisch gesehen. Tatsächlich haben die Verantwortlichen in Słubice wiederholt auf die Probleme hingewiesen. Von einer „tragischen Situation“ sprach bereits im November der ehemalige Bürgermeister Mariusz Olejniczak. Bei größeren Rückstaus sei die Sicherheit der Bewohner von Słubice bedroht.

Von negativen Auswirkungen auf die Bewohner der Doppelstadt und die regionale Wirtschaft geht auch die Grünen-Abgeordnete Damus aus. „Diese Auswirkungen tauchen in der bundesweiten Debatte aber nicht auf“, sagte sie bei der Vorstellung des Gutachtens. Ähnlich argumentierte der grüne Europaabgeordnete Erik Marquardt: „Ich würde mir wünschen, dass das Innenministerium das Thema Freizügigkeit höher auf die Agenda stellt.“

Doch Nancy Faeser hat die festen Kontrollen gerade erst verlängert. Bis zum 15. Juni sollen sie nun möglich sein. Danach folgt die Fußball-EM in Deutschland, bei der ohnehin schon länger Kontrollen geplant waren. Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD), der ebenfalls bei den Feiern am 1. Mai dabei war, hat sich bereits für die Beibehaltung der Kontrollen ausgesprochen. Sein Innenminister Michael Stübgen (CDU) hält sie sogar für mehrere Jahre für notwendig.

So sind die Grünen derzeit die einzigen, die sich im Vorfeld der Europawahl mit den „politisch motivierten“ Kontrollen nicht arrangieren wollen. So jedenfalls formuliert es der Europaabgeordnete Marquardt. Seine Parteifreundin, die Außenministerin, ist da etwas diplomatischer: „Brücken sollen verbinden und nicht trennen“, sagte Annalena Baerbock.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Uwe Rada
Redakteur taz.Berlin
Jahrgang 1963, ist Redakteur für Stadtentwicklung der taz. Weitere Schwerpunkte sind Osteuropa und Brandenburg. Zuletzt erschien bei Bebra sein Buch "Morgenland Brandenburg. Zukunft zwischen Spree und Oder". Er koordiniert auch das Onlinedossier "Geschichte im Fluss" der Bundeszentrale für politische Bildung. Uwe Rada lebt in Berlin-Pankow und in Grunow im Schlaubetal.
Mehr zum Thema

6 Kommentare

 / 
  • Die EU ist nicht Europa und eine Befürwortung der Aufrechterhaltung von begründeten Grenzkontrollen ist nicht mit einer Ablehnung der EU gleichzusetzen.

  • Ist das Festhalten an solchen Kontrollen nicht auch ein Kotau vor rechter Gesinnung? Will man mal wieder den Faschos mit solchen Mätzchen die Argumente nehmen? Ist es nicht besser, realistisch zu sein?

    • @Perkele:

      Was wäre realistisch Ihrer Meinung nach?

    • @Perkele:

      Realistisch gesehen, ist Polen gegen Grenzkontrollen, weil sie keine zurückgewiesenen Migranten im Kand haben wollen und die unkontrollierte Einreise nach Deutschland bevorzugen.

      • @Puky:

        Es geht auch um den unbehinderten Warenverkehr sowie um die zahlreichen Berufspendler an der D/PL-Grenze.



        Ein Großteil der dort betroffenen Speditionen und Arbeitnehmer stammt aus Polen.

      • @Puky:

        Das mag zu PIS Zeiten ein Motiv gewesen sein, doch das lässt nach. Und: wer hat diese Migranten denn zurückgewiesen?