Grenzkontrolle in Westafrika: Gegen Terror – und Migration
An Nigers Südgrenze soll eine neue Einheit Islamisten und Migranten aus Nigeria abwehren – finanziert auch durch deutsche Gelder.
Nigers Regierung ordnete eine dreitägige Staatstrauer an. Die islamistische bewaffnete Gruppe Boko Haram aus Nigeria meldete sich mit einem Video. Während des bevorstehenden Weihnachtsfestes werde es „keinen Frieden geben“, heißt es darin. Am 27. Dezember sind in Niger Präsidentschaftswahlen.
Die meisten Toten waren lokalen Berichten zufolge geflohene Nigerianer, und wahrscheinlich kamen auch die Angreifer aus Nigeria, über die nur wenige Kilometer entfernte Grenze, hinter der Boko Haram seit Jahren die Bevölkerung terrorisiert und jüngst wieder aktiver geworden ist.
Einer der Männer, die in Niger den grenzüberschreitenden Dschihad bekämpfen, ist Haro Ammani. Seit 2019 befehligt er eine neu gegründete Polizeieinheit, die Compagnie Mobile de Contrôle des Frontières (CMCF).
„Wir sind auch ein Instrument gegen den Terrorismus“, sagt er. Die Betonung liegt auf „auch“. Ammanis Einheit zeigt, wie sehr sich Sicherheits-, Migrations- und Entwicklungspolitik heute im Sahel vermischen. „Die Hauptaufgabe unserer Truppe ist die Sicherung der Grenzen“, sagt Ammani. „Die Bekämpfung der illegalen Einwanderung ist dabei ein wesentlicher Bestandteil.“
Deutsche Polizei in Niger
Niger, eins der ärmsten Länder der Welt, hat eine Nationalpolizei, eine Gendarmerie, eine Nationalgarde und eine Armee. Alle sind auch mit Grenzschutz befasst und seit 2016 mit dem Kampf gegen Schlepper. Trotzdem hat die EU mit der CMCF noch eine weitere Grenzschutztruppe aufgebaut. Deutschland hat PolizistInnen in das Land entsandt. „Ein Schwerpunkt ihrer Tätigkeit war die Planung eines zu großen Teilen von Deutschland finanzierten Projekts zum Aufbau mobiler Grenzkontrollkompanien“, teilte die Bundesregierung im Juni mit.
Die CMCF besteht derzeit aus 245 Männern und 7 Frauen. Deutschland und die Niederlande haben dafür einen zweistelligen Millionenbetrag gegeben, Polizisten aus Belgien, Deutschland und den Niederlanden haben sie ausgebildet. Ihr Hauptquartier in der Kleinstadt Birnin Konni an der Grenze zu Nigeria hätte im Oktober 2020 eingeweiht werden sollen. Die Feier wurde allerdings auf Januar vertagt – die Sicherheitslage war zu schlecht.
„Unsere Partner sind die EU und vor allem Deutschland und die Niederlande“, sagt Ammani. Es sei schon viel geliefert worden. „Es wird ein modernes Gebäude für die Kompanie errichtet, mit einer modernen Küche, Kommunikationsausrüstung, aber auch viel persönliche Ausrüstung, Schuhwerk, Rettungsausrüstung für Kampfeinsätze, Ambulanzen.“
Die Grenzen in den Wüsten Westafrikas sind bis heute meist unmarkiert. In der Vergangenheit konnte die lokale Bevölkerung sie überqueren, ohne Pässe vorzeigen zu müssen. Das soll anders werden. „Unsere Truppe besteht aus mobilen Einheiten, denn viele Phänomene entziehen sich der Kontrolle der Polizeistationen an den offiziellen Grenzübergängen“, sagt der Kommandant. „Unsere Patrouillen sollen die Menschenhändler und Schmuggler auch jenseits davon verfolgen und festnehmen.“
Angst vor Migration aus Nigeria
2016 hat die EU begonnen, stärker gegen die Migration aus Westafrika vorzugehen. Damals zählte die UN-Migrationsagentur IOM 298.000 Menschen, die über Niger nach Libyen kamen – die meisten wohl mit dem Ziel Europa. 2019 waren es nur noch 50.000.
Ein wichtiger Faktor dabei war ein neues Gesetz in Niger, das den bis dahin legalen Transport von Migranten in Richtung Libyen als „Menschenschmuggel“ einstuft und bestraft. Die Zahl der Ankünfte von WestafrikanerInnen in Italien ging in der Folge um über 90 Prozent zurück. Und insgesamt bekam Niger seit 2016 weit über eine Milliarde Euro aus Europa. Das ist deutlich mehr als die Entwicklungshilfe für vergleichbare Staaten.
2018 dann kündigte die EU an, die CMCF aufzubauen. Formal ist diese für ganz Niger zuständig. Doch dass ihr Hauptquartier an der Grenze zu Nigeria liegt, kommt nicht von ungefähr. Etwa 20.000 NigerianerInnen stellen pro Jahr in Europa einen Asylantrag – mehr als aus jedem anderen afrikanischen Land.
2050 wird Nigeria bevölkerungsmäßig das drittgrößte Land der Erde sein. Die EU rechnet damit, dass sich von dort immer Menschen auf den Weg nach Europa machen. Nigeria war der erste Staat in Afrika, mit dem die EU-Grenzschutz-Agentur Frontex ein Abkommen zur Zusammenarbeit schloss.
Und gleichzeitig ist Nigers Grenze zu Nigeria auch eines der Einfallstore für islamistische Kämpfer. In den letzten zwölf Monaten stieg der Zahl der Nigrer, die innerhalb ihres eigenen Landes vor dem Terror fliehen mussten, um über ein Drittel auf nun fast 270.000 Menschen. Gegen den Terror setzen Staaten wie Mali und Niger unter anderem auf die Unterstützung der EU. Die hilft, Militär und Polizei schlagkräftiger zu machen. Und die kämpfen dann später gegen Islamisten – und Schlepper.
Armeeangehörige lassen Menschen verschwinden
„Diese Border Units passen ziemlich gut in das Schema, wie sich das Grenzmanagement entwickelt hat“, sagt zum Aufbau der CMCF die Juristin Carolyn Moser vom Heidelberger Max Planck Institut für Völkerrecht. „Die sollen sich mit irregulärer Migration beschäftigen und dazu beitragen, dass Terroristen nicht über die Grenzen kommen.“
Moser hat mit ihrem Projekt Borderlines erforscht, wie die EU in den Sahel-Staaten Sicherheitsbehörden aufbaut. Der Kampf gegen Migration, Kriminalität und Terror sei unter dem „Prisma Sicherheit“ zusammengefasst worden, sagt sie. Das biete „andere Eingriffsmöglichkeiten“.
Am Mittwoch um 19 Uhr sendet der RBB zum Thema dieses Textes das einstündige Feature „Unsere fremden Grenzen“ von Christian Jakob aus Togo, Nigeria und Niger. Es schildert, wie die Träume junger AfrikanerInnen von einem Leben in Europa mit den Grenzschutzbemühungen der EU in Afrika kollidieren. Es ist die erste Produktion einer neuen Kooperation von taz und RBB. Weitere Sendetermine: MDR Kultur 16. Dezember, 22 Uhr, RBB Kultur 19. Dezember, 14 Uhr, sowie als Podcast auf RBBkultur.de
Amnesty International hat dokumentiert, dass Soldaten in Mali, Niger und Burkina Faso allein zwischen Februar und April 2020 mindestens 199 Menschen unrechtmäßig töteten oder gewaltsam verschwinden ließen. Nigers Nationale Menschenrechtskommission bestätigte am 5. September: „Unsere Mission entdeckte mindestens 71 Leichen in sechs Massengräbern. Armeeangehörige sind für Hinrichtungen verantwortlich.“
Diese Vorwürfe richten sich nicht gegen die Truppe von Kommandant Haro Ammani, sondern gegen andere Einheiten. Doch wenn Deutschland Polizei und Militär ausbildet, stellt sich die Frage, welche Mitverantwortung Deutschland für deren Taten trägt.
Die Völkerrechtlerin Moser ist da zurückhaltend: „Man würde Niger dann seine Souveränität absprechen und sagen: Ihr befehligt ja eigentlich gar nicht eure Polizei. Das macht ja Deutschland irgendwie aus Berlin.“ Die Frage sei „eher politisch“, sagt sie. „Wir wissen, dass wir Einheiten ausbilden und dass diese Einheiten später dann aber in der Praxis Sachen machen, die mit unseren Wertvorstellungen nicht einhergehen.“
Auf abgelegenen Routen Richtung Libyen
Weil die Fahrer der MigrantInnen heute als Kriminelle verfolgt werden, ist der Weg durch die Wüste nur noch auf verschlungenen Wegen möglich. Immer wieder kommt es zu Vorfällen wie Anfang September: Da rettete ein Team der IOM 83 Menschen tief in der Sahara. Die Gruppe hatte eine Woche zuvor in der Transitstadt Agadez vier Pick-up-Trucks bestiegen. Sie fuhren auf abgelegenen Routen nach Libyen, um nicht entdeckt zu werden. Als Militärfahrzeuge in Sicht kamen, setzten die vier Fahrer ihre Passagiere aus. Das komme „häufig vor“, schreibt die IOM.
Die UN schätzen, dass heute doppelt so viele Menschen in der Wüste als im Mittelmeer zu Tode kommen könnten. „Gerade die Maßnahmen zur Migrationskontrolle, die auf Wunsch der europäischen Staaten eingeführt wurden, haben das Todesrisiko für Reisende auf Trans-Sahara-Routen erhöht“, sagt die Initiative Alarm Phone Sahara, die in Not geratene MigrantInnen in der Wüste unterstützt.
„Dass die UNO diese humanitäre Tragödie beklagt, ist völlig legitim“, sagt dazu Kommandant Ammani. Doch das habe nichts mit einem Mangel an legalen Wegen für die MigrantInnen zu tun. „Wer andere durch die Wüste schickt, wo sie sterben können, soll bestraft werden.“ Doch die meisten schickt niemand. Sie ziehen aus freien Stücken los.
Der Autor ist derzeit Journalist in Residence am Max Planck Institut für Völkerrecht in Heidelberg.
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