Grenze Polen zu Belarus: Abriegeln zerstört Öko-Paradies
Der Wald an der polnischen Ostgrenze ist Heimat für Wisente und Wildpferde. Jetzt errichtet die Regierung dort eine Mauer, um Flüchtlinge fernzuhalten.
Es kann aber sein, dass er das nächste halbe Jahr nicht übersteht: Am 25. Januar begann Polen mit den Bauarbeiten für eine Anti-Flüchtlings-Mauer entlang seiner Ostgrenze. Schon im Sommer soll sie fertig sein – und auf 50 Kilometern mitten durch den 150.000 Hektar großen Białowieża-Wald führen, neue Zufahrtswege inklusive.
Der Wald beginnt hinter der Kleinstadt Hajnowka: hohe Eichen, Kiefern, Sümpfe. Auch jetzt, im Winter, sind die Moose auf den abgestorbenen Stämmen, die Gräser an den gefrorenen Wasserlöchern grün. Der äußere Teil des Waldes ist mit einigen Wegen für Besucher:innen und Waldarbeiter:innen erschlossen, die Kernzone ist unzugänglich. Hier leben Wisente, Elche, Luchse, Wölfe, Wildpferde.
Der Wald liegt in der „Emergency Zone“, einem Sperrgebiet, das die Regierung im September eingerichtet hatte, um Hilfsorganisationen und Beobachter:innen von den ankommenden Flüchtlingen fernzuhalten.
Früher zog der Wald Naturliebhaber an
Katarzyna Wappa, eine Englischlehrerin aus Hajnowka, ist trotzdem fast jeden Tag im Wald unterwegs, um dort ausharrenden Flüchtlingen Kleidung und Essen zu bringen. Anwohner:innen wie sie dürfen hinein, Begleiter nicht. Wappa hat sich ein einjähriges Sabbatical vom Schuldienst genommen, um den Ankommenden im Wald helfen zu können. Weil sie in polnischen Medien die Regierung kritisiert hat, wurde sie öffentlich als „Freundin Putins“ diffamiert.
An dem Weg, den sie einschlägt, gibt es keine Markierung. Dass hier die Rote Zone beginnt, sieht nur, wer seine GPS-Position mit einer Online-Karte abgleicht. „Kann sein, dass es Ärger gibt“, sagt Wappa, und geht unbeirrt weiter. Bald darauf tauchen Grenzschützer:innen mit einem Jeep auf, bleiben aber darin sitzen.
Der Wald war eine Attraktion, zog Naturliebhaber:innen an, bevor er Sperrgebiet wurde. Viele in der Region sorgen sich um seinen Erhalt. „Wenn die Mauer wirklich gebaut wird, hätte das immense Auswirkungen“, sagt Wappa. „Ich würde keinen Urlaub in der Nähe eines Zauns machen. In Berlin gab es eine Mauer, jeder wollte sie niederreißen, jetzt soll hier eine neue entstehen.“
Angesichts der Klimakrise ein ökologisch derart wertvolles Gebiet zu zerstören – dafür fehlt Wappa jedes Verständnis. Der Wald sei eine „grenzüberschreitende Einheit“, in der sich viele Tierpopulationen bewegen. „Ohne den Austausch mit anderen Populationen in Weißrussland sind sie stark gefährdet.“
Ökologisches Gesamtgefüge würde zerstört
Im November 2021 hat das Parlament in Warschau beschlossen, dass für die Grenzmauer weder das reguläre Baurecht, noch das Wasser- und Umweltrecht gelten. Privatflächen dürfen umstandslos enteignet werden. Die 184 Kilometer lange Mauer soll neben dem Białowieża-Urwald noch fünf weitere „Natura-2000“-Gebiete durchqueren: den Augustów-Wald, den Ostoja-Knyszyńska-Wald, die Biebrza-Sümpfe, sowie zwei Schutzgebiete entlang des Grenzflusses Bug.
Am 31. Januar ging bei der EU-Kommission ein Brief ein, den über 700 Wildbiolog:innen, Forst- und Umweltwissenschaftler:innen, darunter zahlreiche Lehrstuhlinhaber:innen unterzeichnet hatten. „Wir fordern die Europäische Kommission auf, alle möglichen Maßnahmen zu ergreifen, um den Bau der Mauer entlang der Grenze zwischen Polen und Weißrussland sofort zu stoppen“, steht darin.
Zwischen zahlreichen bedrohten Lebensräumen in Mittel- und Osteuropa bestehen Verbindungen, erläutern die Forscher:innen. Die Mauer würde diese Korridore unterbrechen und so ein ökologisches Gesamtgefüge zerstören, das weit über den Białowieża-Urwald hinausreicht. Die Folgen wären „verheerend“.
Schon 2017 hatte Polen – angeblich wegen Befalls mit dem Buchdrucker-Käfer – im Białowieża-Urwald massenhaft Bäume fällen lassen. Die EU-Kommission hatte das Land deshalb verklagt und 2018 beim EuGH gewonnen. Der urteilte, dass die Abholzung gegen das EU-Naturschutzrecht verstieß. Doch im Oktober 2021 klagten Umweltschützer:innen erneut, dass die Holzfäll-Arbeiten wieder aufgenommen wurden. Die zuständige polnische Forstbehörde bestätigte auf ihrer Webseite „Arbeiten zur Erhaltung des Waldes“.
Die Regierung in Warschau ist indes fest entschlossen, den Mauerbau im Białowieża-Urwald durchzuziehen. Eine Sprecherin des Grenzschutzes sagte kürzlich taz-Korrespondentin Gabriele Lesser, man werde dort „so waldschonend wie möglich bauen“.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krise bei VW
Massiver Gewinneinbruch bei Volkswagen
VW-Vorstand droht mit Werksschließungen
Musterknabe der Unsozialen Marktwirtschaft
Verfassungsgericht entscheidet
Kein persönlicher Anspruch auf höheres Bafög
Kamala Harris’ „Abschlussplädoyer“
Ihr bestes Argument
Zu viel Methan in der Atmosphäre
Rätsel um gefährliches Klimagas gelöst
Nahostkonflikt in der Literatur
Literarischer Israel-Boykott