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Graphic Novel von Adam GreenDie Mutter aller Verschwörungen

Mit Künstlerkollegen hat der New Yorker Popstar Adam Green eine Sci-Fi-Graphic Novel ersonnen: „Krieg und Paradies“ gibt es nun auf Deutsch.

Ein Mix aus Historien­erzählung, Videospiel, tibetischer Jenseitsvorstellung und US-Konsumkultur Foto: Starfruit Publications

Nichts ist unangenehmer als die Kunstpause des Comedians nach dem Gag. „Krieg und Paradies“ folgt dem exakt gegenteiligen Prinzip: Keine Pointe ist so gut, dass sie nicht gleich von der nächsten schon wieder überschrieben werden könnte. Auf Entfaltung beim Publikum wird nicht gewartet.

So stürmt man auch über Kalauer lässig hinweg, denn im nächsten Bild könnte schon wieder die nächste Erkenntnis oder zumindest eine lustige Beobachtung lauern. „Eine Seele ist so urig. Ein rustikales Ding, Streitsache der Nerven“, charakterisiert der einfühlsame Sexroboter da zum Beispiel die menschlichen Wesen; und später, durchaus anschlussfähig an aktuelle Diskurse: „Wenn wir sprechen, unterdrücken wir die Stimmen aller anderen.“

Der New Yorker Musiker Adam Green, Willy Wonka der DIY-Art, hat nun nach diversen Alben, Filmen, Malereien und Zeichnungen auch einen Comicband herausgebracht. Die Erzählung schrieb er selbst, stellenweise im Zwiegespräch mit seiner Frau Yasmin, die bei Google künstliche Intelligenzen fürs Aufspüren von Propaganda und Hasskommentaren trainiert und die als Storyline-Autorin genannt wird.

Zwei Zeichner hat sich Green außerdem an die Seite geholt: Toby Goodshank, mit dem er seinerzeit schon bei der Antifolkband Moldy Peaches auf der Bühne stand und später gemeinsam mit dem Schauspieler Macaulay Culkin das temporäre Künstler-Trio Three Man and a Baby bestritt. Als später Tom Bayne hinzustieß, nannte man sich Four Men and a God.

Über vieles lässt sich auf Englisch einfacher schreiben

Ende 2019 wurde das Werk in den USA veröffentlicht, jetzt ist eine deutschsprachige Übersetzung erschienen. Für die zeichnete die Schriftstellerin Ann Cotten verantwortlich, die für das Buch außerdem ein Interview mit den drei Künstlern führte. Und obwohl wirklich gut übersetzt, bleibt das eine ungewohnte Angelegenheit: Über vieles lässt sich halt immer noch einfacher auf Englisch singen oder hier schreiben.

Cottens „polnisches Gendering“, das sie auch in eigenen Texten als experimentelle Form des Genderns verwendet, verleiht dem englischsprachigen Original aber eine zusätzlich kapriziös-versponnene Note, die dann wieder sehr treffend erscheint – so kommen hier „alle für alle Geschlechter nötigen Buchstaben in beliebiger Reihenfolge ans Wortende“.

Der Comic

Adam Green: „Krieg und Paradies“. Aus dem Englischen von Ann Cotten. Graphic Novel, gezeichnet von Toby Good­shank, Tom Bayne und Adam Green. Starfruit Publications, Nürnberg, 2021, 192 Seiten, 25 Euro.

„Krieg und Paradies“ ist fest verankert im Green’schen Universum. Ein kausal subjektives Konglomerat aus großer Historienerzählung, Videospiel, russischer Literatur, tibetischer Jenseitsvorstellung und US-Konsumkultur. Ein Prequel gewissermaßen zu „Aladdin“, dem 2016 produzierten Film mit seinen komplett selbstgebauten Pappmaschee-Kulissen (für die seinerzeit übrigens Toby Good­shank verantwortlich zeichnete).

In den Hauptrollen agieren unter anderem Pausanias, Regreta, die schöne Königin und Napoleon, „der emphatischste Insex der Welt“; man begegnet einem Rabbi, einem Kriegsheer natürlich und schließlich gar Gott. Es geht um Zeitdehner-Pillen, interspeziestische Begegnungen mit den Insex (gute Liebhaber, aber ohne Liebe), Gangbangs, Krieg, Kunst und Immobilienhandel.

Fliegende NFTs und Genitalien

Eine Göttliche Komödie mit den Mitteln des Comics, ausstaffiert wie ein Computerspiel der Neuzeit, in dem Bitcoin-Channel, Genitalien, NFTs und allerlei anderer Schabernack herumfliegen. Wie der Versuch, das Internet abzuzeichnen und sich einen eigenen Reim drauf zu machen, so sieht das streckenweise aus.

Zwischen Üblichewelt und Jenseits werden Trans- und Posthumanismus, künstliche Intelligenzen, politische und religiöse Ideologien, Kriegs- und Paradiesvorstellungen durchdekliniert. Dabei schafft es Green meist, auch die zeitgenössischsten Phänomene angenehm ihrer Zeitlichkeit zu entledigen.

Ein wenig Jewish Utopia gibt es obendrein noch mit. Mal geht’s in die Jüdische Wildnis, mal zu Rabbi Bagelheart, dem zweitweisesten Mann der Welt, der das namengebende Gebäck als Amulett um den Hals trägt. Natürlich ist alles, wie man das auch in Greens Zeichnungen kennt, streng fragmentiert. Comic-Gliedmaßen aus „Asterix & Obelix“, der US-Fassung von „Sesamstraße“, Super Mario und Garfield treffen auf Geschlechtsteile en masse, die aus Wolken baumeln oder wie Fern- und Sprachrohre aus allerlei Ecken lugen.

Die Handlung schlägt regelmäßig Haken, die Handelnden changieren zwischen Ego und Selbstauflösung. Und so ist, wie Goodshank anmerkt, jeder Liebende am Ende immer ein ganz anderer Mensch als der, mit dem man ursprünglich zusammentraf. „Krieg und Paradies“ hat eine gute, nervöse Grundspannung. Das dürfte nicht nur an Greens gewohnt assoziativer Erzählweise liegen, die der schlafwandlerischen Selbstverständlichkeit einer Traumlogik gleicht.

Gezeichnet im DIY-Stil

Sondern auch an den zahlreichen Sollbruchstellen, die sich durch künstlerische oder schlicht pragmatische Entscheidungen ergeben haben: Gezeichnet wurde mit Bleistiften aus Opa Green’s Staed­ler-Sammlung (mehrere Kisten Stifte haben die Künstler für das Werk verbraucht), sie verleihen den Szenen und Figuren eine handschriftliche, softe DIY-Qualität.

Coloriert wurde dann aber digital – aufwändig genug war das Unterfangen ohnehin, wie die drei Macher im Interview zum Schluss berichten. Wenngleich die handkolorierte Probezeichnung natürlich viel schöner ausschaute.

Schließlich dürfte auch die künstlerische Kollaboration von Green, Goodshank und Bayne einiges gewolltes Knirschen in die Sache gebracht haben. Die handwerklichen Skills des Trios sind nämlich durchaus unterschiedlich gelagert, was man, wenn man beispielsweise Goodshanks Arbeiten kennt, leicht erraten kann: Wo viel Liebe zum Detail gepflegt wird, war er vermutlich am Werk; die „koksigeren“ Zeichnungen, wie Adam Green das selbst nennt, stammen aus seiner Feder.

Bayne schließlich brachte seine Erfahrungen aus Werbe- und Animationsfilm mit ein. Er fertigte die Storyboards der einzelnen Comicpanels und lachte über den übermäßigen Detailreichtum, mit dem einzelne Figuren ausgestattet wurden. Das würde so niemals in einer professionellen Produktion durchgehen, erklärt Bayne, viel zu aufwändig. Aber wenn ein Schritt einmal getan war, ging das Trio nicht mehr zurück, sondern vertraute auf den eigenen Prozess.

Leitmotiv Verschwörungstheorie

Das Endresultat sieht ergo überhaupt nicht wie aus einem Guss aus und scheint im Kern zugleich von einer großen Kraft im Kern zusammengehalten zu werden. Damit folgt das Werk auch ästhetisch dem Leitmotiv, um das es auf der Metaebene ein bisschen kreist: der Verschwörungstheorie. Man weiß, wie viele Biegungen und Dehnungen der Geist mithin unternehmen muss, um da bisweilen mitzukommen.

Welche Paradoxien er schlucken oder in neuen Auswüchsen als Ausnahmen begründen muss. Kurzum, Verschwörungsglaube ist eigentlich eine ganz schön kreative Angelegenheit – und aus dieser mentalen Eigenleistung wird auch ihre unangreifbare Attraktivität fast schon zwingend. „Krieg und Paradies“ exerziert den Wahnsinn als Methode und vielleicht gar als Urzustand der Conditio humana.

Es wäre vermessen, hieraus allzu tagesaktuelle Dinge ableiten zu wollen. Der Titel triggert diesen Wunsch verständlicher Weise. Der brutale Angriffskrieg in der Ukraine ist echt, Greens Groteske ist es nicht und Kunst kein Ersatz für Politik. Allenfalls könnte man noch die Formel bemühen, dass die Realität wieder einmal die Fiktion eingeholt habe.

Man könnte über Cyberwar und ähnliche Schlagworte sprechen, die Green allerdings vor allem ästhetisch interessieren. Aber da verwässern auch schon die Begriffe und Vorstellungen, da lauern die Plattitüden, und so würde man weder den Menschen, deren Lebensräume in diesen Minuten ganz analog zerbombt werden, gerecht noch dem immerhin bereits 2019 erschienenen Kunstwerk, das ja in seinen drastischen Szenen purer Bewältigungsmechanismus der Welten Schrecken ist.

Zu lernen gibt es nichts

Zu lernen gibt es in „Krieg und Paradies“ konsequent nichts, mindestens nicht in einem didaktisch-anwendbaren oder gar politisch akuten Sinne, aber auf eine Art von Happy End in fetten Regenbogenfarben wird nach den kapriziösen Abenteuern keineswegs verzichtet.

Tröstlich ist daran also vielleicht gerade, dass es sich um eine so konsequent künstlerische Angelegenheit handelt – der vielleicht tauglichste Versuch, irgendwie die Oberhand in dem ganzen Schlamassel zu behalten, ohne anderen Menschen zu schaden. „Gott ist die Mutter aller Verschwörungstheorien“, lässt der Künstler auf dem Buchdeckel noch wissen. Wir lassen das mal so stehen.

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