Graphic Novel aus Finnland: Eine recht archaische Jungsjugend
Es ist eine liebevolle Coming-of-Age-Story mit schrägem Titel. Tikkanens „Blitzkrieg der Liebe“ erzählt vom Aufwachsen in der finnischen Provinz.
Vor rund einem Jahr war ich bei der Vernissage einer Comic-Ausstellung im Berliner Finnland-Institut. Eine Frau sang Volkslieder, die nach Birkenwäldern rochen, und ein bärtiger fetter Mann in einem zerrissenen Wrestlingtrikot stellte sich auf eine Klappleiter, spielte E-Gitarre und schrie dazu. In eines der ausgestellten Comics verliebte ich mich so sehr, dass ich extra zum Bankautomaten fuhr, um es mir kaufen zu können.
Es handelt von Eero, einem vielleicht zwölfjährigen Jungen mit schwarzer Haarmatte, der in ein viel größeres, reiferes Mädchen verliebt ist. Man sieht Eero mit seinem Vater sein Fahrrad pimpen, heimlich und sehr aufgeregt Pornoheftchen lesen und hin und wieder seinen Opa besuchen, der im Krieg gekämpft hat und der Eero mit zum Fischen nimmt.
Auf den letzten Seiten hat Eero dann seinen ersten Samenerguss und ihm wächst eine Idee von Bartflaum auf der Oberlippe. Dass der Text dazu auf Finnisch war, machte mir nichts: Dies war im wahrsten Wortsinne eine Bildergeschichte, von so einer erzählerischen und grafischen Klarheit und zu einem derart universellen Thema, dass ich sie auch so verstehen konnte.
Seit Kurzem weiß ich endlich, was Eero, sein Opa, seine Eltern und die von ihm angebetete Kanerva so geredet haben, denn beim Berliner Avant-Verlag sind alle vier Teile von Petteri Tikkanens Coming-of-Age-Geschichte in einem Buch erschienen. Dass dieses etwas reißerisch „Blitzkrieg der Liebe“ heißt, liegt wohl daran, dass der schon deutlich ältere Eero in der dritten Episode zu Karneval als Rocker verkleidet geht, mit Hakenkreuzen auf dem Stahlhelm.
Er will aussehen wie Conan, der Barbar
Ein Foto im Einband legt nahe, dass Petteri Tikkanen, geboren 1976, das in seiner Jugend in der finnischen Provinz auch einmal getan hat. Jetzt kenne ich also auch die Vorgeschichte: Wie Eero im Grundschulalter merkt, dass mit seiner besten Freundin etwas anders ist als früher („Kanerva spielt nicht mehr mit mir“ – „Warum?“ – „Sie hat Titten.“). Wie er seine Mutter überredet, ihm die blonden Haare schwarz zu färben, weil er aussehen will wie Conan, der Barbar.
Petteri Tikkanen: „Blitzkrieg der Liebe". Aus dem Finnischen von Elina Kritzokat, Avant-Verlag, Berlin 2014, 262 S., 19,95 Euro.
Und die Nachgeschichte: Wie Eero, inzwischen wieder so groß wie Kanerva, als Teenager in einer Band spielt und dabei durchaus Eindruck auf sie macht – der Schlagzeuger nur leider auch. Wie Eeros Vater ihm eine Harley verspricht, wenn er nicht in der Schule mit dem Trinken anfängt (anders als er selbst). Wie Eero nach dem Abitur zum finnischen Militär gehen muss, und wie sehr er es dort hasst.
Rockerromantik, Tittenträume, Schnurrbartwunsch: Es ist eine recht archaische Vorstellung von „Jungsjugend“, die Petteri Tikkanen hier mit dickem Strich und großen Flächen inszeniert. Plakativ wirkt sie dennoch nicht, dafür sorgt die Liebe, mit der sich Tikkanen den Nebengeräuschen des Alltags widmet, seine Beobachtungsgabe und sein Sinn für Dynamik und Dialoge.
Mitunter wird es richtig ernst, etwa wenn Eero mit seinem Opa darüber redet, dass jetzt auch Frauen zum finnischen Militär dürfen, und der Opa erst ganz zum Schluss die erschütternde Begründung gibt, warum er dagegen ist.
Der bärtige Mann im Wrestlingtrikot vor einem Jahr war übrigens Petteri Tikkanen selbst, der als sein Alter Ego Black Peider aufgetreten ist. Als der Zeichner mir später mein neues Comic signierte, wirkte er sehr liebenswürdig und ein wenig schüchtern.
Rund 250 Seiten hat „Blitzkrieg der Liebe“, auf den meisten sind nur zwei Bilder, oft gibt es gar keinen Text. Man kann das Buch in weniger als einer Stunde durchlesen – dann aber hat man sehr viel verpasst.
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