Graffitisprayer in Berlin: Vom Tunnel aufs Dach
Eine Doku folgt den Graffitisprayern „Rocco und seine Brüder“ durch Berlin. Zum Glück ignoriert sie die langweiligste aller Fragen.
Wer eine Warnweste trägt, bleibt in der Großstadt unsichtbar. „Das orangene Camouflage“ nennt es Rocco, ein weltweit aktiver Graffitisprayer. Lange Zeit malte er vor allem Züge an. Das orangene Camouflage, erfährt man in der Doku „Rocco und seine Brüder“, ist ihm als Tool genauso treu wie die Spraydose.
Die Doku folgt Rocco und seinen Brüdern (Bruder ist dabei geschlechtslos) durch Tunnel und auf Dächer Berlins und ignoriert die langweiligste aller Fragen: „Graffiti – Kunst oder Vandalismus?“
Es zeigt sich: Graffiti ist vieles zugleich. Kunst, Aktionismus, Aktivismus, Egoismus, Vandalismus. Und Rocco, ein verschmitzter Typ, der zwar offen spricht, aber immer mit verpixeltem Gesicht und bearbeiteter Stimme auftritt, ist ehrlich: beim Besprühen von Zügen produziere man vor allem Bilder für die Szene. Was also tun?
Rocco und seine Brüder entschieden sich dazu, ihr subkulturelles Kapital und all die angelernten Tricks zu nutzen, um sich auf sozialpolitische Kunst zu fokussieren. 2016 bauten sie ein Zimmer in einen U-Bahn-Schacht. Seitdem fahren weniger Züge mit „Rocco“-Schriftzug. Dafür werden die Aktionen immer ausgefeilter – und mittlerweile auch im institutionellen Rahmen ausgestellt.
Die Aktionen werden immer ausgefeilter
„Rocco und seine Brüder – Radikale Aktionskunst aus Berlin“ in der ARD Mediathek
Der Film folgt einer Gruppe nicht mehr ganz so junger Männer und Frauen, die von Graffiti irgendwann mehr wollten, als ihrem eigenen Ego zu schmeicheln und Katz und Maus mit der Polizei zu spielen. Heraus kommen Arbeiten, die sich mit Gentrifizierung, der Waffenindustrie oder Überwachung beschäftigen und wirklich Menschen erreichen, anregen, provozieren. Doch trotz der inhaltlichen Ernsthaftigkeit geht es weiter um eins: Das System aus Spaß mit seinen eigenen Mitteln zu untergraben.
Glück bedeutet für Rocco, als Bauarbeiter verkleidet ein präpariertes Dixiklo vorm Ordungsamt aufzustellen, darunter den Noteingang zum U-Bahn-Schacht aufzusägen und eine Etage tiefer unbemerkt sein Werk zu verrichten. Denn natürlich kommt in Deutschland niemand auf die Idee, die Ordnungsmäßigkeit eines aufgestellten Baustellenklos anzuzweifeln.
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